Paul Thomas Anderson hat sich schon lange unter Cineasten als ‚großer’ Filmemacher etabliert und mit „Boogie Nights“ und „Magnolia“ bereits zwei potentielle spätere Klassiker geschaffen. Mit „There Will Be Blood“ gelang ihm sein erstes Meisterwerk, das dieses Prädikat mit beinahe hundertprozentiger Sicherheit erlangen wird. Dieser Film wird nicht in Vergessenheit geraten. Nach „Punch-Drunk Love“ nahm sich Anderson eine längere Auszeit vor seinem neuen Projekt, dessen Dreharbeiten planmäßig und routiniert verliefen. Mit rund dreißig Millionen Dollar Budget beweist der Film, das es keine Unsummen braucht, um Großes zu leisten. Um Andersons neuem Werk gerecht zu werden muss man zwangsläufig Vergleiche ziehen mit großen Ästheten wie Sergio Leone und Stanley Kubrick, in dessen Liga sich der amerikanische Autorenfilmer langsam aber sicher hochgearbeitet hat.
Diesen Eindruck erweckt schon die bestechende Eingangssequenz, die den Hauptcharakter so einführt wie er durchs Leben geht: Allein. Der Zuschauer lernt Daniel Plainview kennen als jungen, hart arbeitenden Schürfer. Bis zum ersten Dialog vergehen über zehn Minuten, „There Will Be Blood“ ist ein ruhiger, aber nicht langsamer Film, der sich Zeit nimmt für einen intensiven Blick auf die Seele seines Protagonisten. Dieser wird schon bald als der egozentrische, misanthrope Machtmensch entlarvt, der er zeitlebens bleiben wird. Jede Entscheidung gilt nur dem eigenen Vorteil, alles Interesse Daniels gilt der Vermehrung seiner Reichtümer. Das Leben und die Arbeit in der rauen Einsamkeit haben ihn gegerbt und jedem Bedürfnis nach Zuneigung beraubt, falls er es je besessen hat. Selbst die Entscheidung, den kleinen Waisenjungen seines verunglückten Partners zu adoptieren, geschieht aus reiner Zweckmäßigkeit um Sympathiepunkte bei einem Geschäft zu gewinnen. „There Will Be Blood“ zeichnet die Lebensgeschichte des Protagonisten anhand von Zeitsprüngen über mehrere Jahrzehnte nach und entwirft das wohl bitterste erdenkliche Psychogramm einer Hauptfigur in aller Konsequenz. Das zeigt sich auch in der kleinfamiliären Beziehung zu seinem Ziehsohn H.W., den Plainview beinahe gleichwertig behandelt, mit großem Ernst, wie einen Erwachsenen. Als dieser sein Gehör verliert und Daniel nichts dagegen tun kann, wächst sein Hass auf die gesamte Welt weiter. Im ganzen Leben spielt romantische Liebe keine nennenswerte Rolle, Frauengeschichten bleiben allenfalls Randnotizen, die der Film gänzlich ausspart. Plainviews Weltbild ist gänzlich patriarchalisch bestimmt, für eine starke Frauenfigur bleibt kein Platz.
Obwohl jedes Bild brillant in Szene gesetzt wurde ergeht sich Anderson nicht darin seinen Film künstlich aufzupumpen und sich auf der exzellenten Ausstattung und Kameraarbeit auszuruhen. Um eine zeitgenössische Optik zu kreieren die zugleich für einen magischen Anstrich sorgt nutzte der Regisseur eine altmodische, nur höchst selten verwendete Kameralinse, die schon 1910 entwickelt wurde und in einigen Sequenzen zum Einsatz kommt. Ohne Frage ist die Inszenierung von makelloser Perfektion, der ruhige Schnitt und die beeindruckenden Panoramaaufnahmen veredeln das Gesamtbild mühelos. Besondere Aufmerksamkeit verdient aber der eigentümlich-geniale Score von Peter Greenwood, dessen erste Filmmusik zu einem Spielfilm gleich ein ganz großer Wurf gelungen ist. Erinnerungen an die stärksten Momente von Bernard Herrmann werden wach doch die Töne von Greenwood finden ihren ganz eigenen Weg sich langhaltig im Gehör des Zuschauers fest zu setzen. Die anspruchsvoll arrangierte Musik verzichtet auf jeden Pathos, leistet entscheidenden Anteil an der beklemmend dichten Atmosphäre, bietet ein akustisches Äquivalent zum Abstieg in die bitterkalte, unberechenbare Welt des Daniel Plainview. Ein Fest für die Sinne, dabei eine intellektuelle Herausforderung denn „There Will Be Blood“ gibt dem Zuschauer nur soviel, wie er bereit ist selbst zu investieren. Um hinter der pompösen Oberfläche eine Moral zu kristallisieren muss man den Film unweigerlich reflektieren. Wer die Intention des Films einfach betrachtet, wird sie leicht reduzieren auf bloßen Moralismus. Doch die Tragik liegt weder in den Taten Daniels, noch in deren Konsequenzen – sie resultiert aus seinem Wesen.
Der Titel weist auf ein gewalttätiges Werk hin doch die wenigen Gewalteruptionen brechen nur selten hervor, wenn, dann aber mit voller Wucht. Bis dahin wird aber dennoch viel Schweiß und vor allem Blut vergossen, die damalige Ölbranche forderte von ihren Arbeitern den Einsatz des eigenen Lebens. Das gerade in Zeiten des internationalen Kampfes um Erdölreserven das schwarze Gold wichtigstes Material im Film ist, lässt sich offensichtlich als Statement verstehen, was die Wahl einer Romanvorlage vom amerikanischen Moralisten Upton Sinclair ebenfalls bestätigt. Öl ist gleichzusetzen mit Blut. Damit das Öl fließt wird Blut vergossen. Dabei ist „There Will Be Blood“ aber kein primär politischer Film, er ist ein komplexer Abgesang auf den amerikanischen Traum und darauf was er kostet. Was sich vielleicht nach einem hinlänglich bekannten Schicksalsdrama anhört entpuppt sich als dämonische Abrechnung mit dem Bösen im Menschen. Daniel Plainview ist durchweg ein schlechter Mensch und er sieht keinen Grund sich zu ändern.
Wann immer ein Film vom Aufstieg und Fall eines Machtmenschen berichtet zeigt er einen Zuspitzung der Ereignisse vor einem meist tragischen Ende. Entweder bereut der Protagonist seinen Lebensstil im Angesicht des Todes oder einer speziellen Erkenntnis („Citizen Kane“), andernfalls geht er in seinem Wahnsinn unter („Scarface“). Diesen Endpunkt wählt Anderson bewusst nicht sondern entlässt den Zuschauer mit einem geradezu apokalyptischen Gewaltakt. Daniel Plainview ist unfähig sich seinen inneren Dämonen zu stellen, zerstört die Dinge, die er zumindest ansatzweise liebt und findet sich alleine und ungeliebt. Mit dieser Erkenntnis ist der Egozentriker aber alles andere als unzufrieden, Glück scheint es für ihn auf der Welt nicht mehr zu geben. Bis zuletzt bleibt die Hauptfigur ein zutiefst unglücklicher Mann voller Hass, Wut und ohne Einsicht – ein tragischer Soziopath, kein skurril oder cool gezeichneter Antiheld.
Daniel Day-Lewis spielt diesen Wahnsinnigen mit einer schier unglaublichen Ausstrahlung, beängstigend authentisch wirken seine Gewaltausbrüche, sein Zorn. Ohne Frage eine schauspielerische Meisterleistung von selten gesehener Wucht, Day-Lewis verdient für diese beispiellos charismatische Darstellung fast zweifellos den zweiten Oscar seiner Karriere nach „Mein linker Fuß“. Der gesamte Film wird getragen von dieser Brillanz des Engländers, der in den letzten Jahren leider nur noch wenig Präsenz gezeigt hat. Ähnlich impulsiv und kraftvoll verkörperte Day-Lewis schon den Gangsterboss in Scorseses Epos „Gangs of New York“, diese eigene Leistung überbietet er in „There Will Be Blood“ leichtfertig und ohne sich der bekannten Muster dieser Rolle hinzugeben. Auch der restliche Cast spielt ausnahmslos erstklassig, doch alleine der Hauptdarsteller prägt den Charakter des Films. Schließlich ist es die Geschichte eines Mannes der sein Leben allein lebt. In seine Vaterrolle wächst er niemals vollständig hinein, später zieht er den Hass seines Stiefsohnes auf sich. Ein interessanter Aspekt ist auch der religiöse, wenn Anderson Plainviews großkapitalistische Egozentrik auf die fanatische Hingabe der sektenhaften Kirchengemeinschaft trifft, zeigt sich der Film als pessimistisches Sittenbild, das die gesellschaftlichen Umstände treffend entlarvt und nicht spart mit teilweise sarkastischen Seitenhieben auf aktuelle Problematiken. Seine zwischenmenschliche Problematik fasst das Drehbuch exzellent in einem kultverdächtigen Monolog am Ende, mit dem Day-Lewis seinen Wahn glaubhaft auf die Spitze treibt.
„I don’t like to explain myself“ – Daniel bleibt verschlossen also zieht der Film es ebenfalls vor, sich nicht weiter zu erklären. Plainviews Lebensgeschichte bleibt unabgeschlossen, „There Will Be Blood“ wohl eines der ersten unumstrittenen Meisterwerke des neuen Jahrtausends. Wortkarg, schmerzhaft, gigantisch. Ein rauschhaftes Filmerlebnis allererster Güte.
10 / 10