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Long live the New Flesh!

Max Renn (James Woods) ist Produzent eines kleinen Kabelsenders in Toronto, der sich auf die Ausstrahlung von sex- und gewaltlastigen Programmen "spezialisiert" hat, da nur so der Platz im Mediendschungel gefestigt werden kann. Wie seine Zuschauer, ist auch Max staendig auf der Suche nach dem "Kick" - in Form von immer schockierenderem Sendematerial. Dabei wird er auch alsbald fuendig, als er mit Hilfe eines Angestellten das Signal eines Piratensender abfaengt, der gerade das Folter-Programm Videodrome sendet. In schlechter Bildqualitaet sind dort zwei vermummte Maenner zu sehen, die eine hilflose Frau scheinbar zu Tode foltern. Max ist sogleich regelrecht besessen von Videodrome und auch seiner masochistisch veranlagten Freundin, der Radiomoderatorin Niki Brand (Deborah Harry), gefaellt diese neue Sendung sehr - sie wuerde sich selber gern bewerben. Von der Idee seiner Freundin zwar wenig begeistert, begibt sich Max dennoch auf die Suche nach den Produzenten von Videodrome, um jene fuer seinen Sender zu gewinnen. Eine Spur fuehrt ihn, nicht wie zuerst erwartet nach Malaysia, sondern nach Pittsburgh, USA, zu dem Medienprofessor Brian O'Blivion (Jack Creley). Von Halluzinationen geplagt, hervorgerufen durch Videodrome, beginnen sich die Ereignisse zu ueberschlagen.

David Cronenberg, Meister des sogenannten Body-Horrors, uebt sich hier in wenig subtiler Medienkritik, die zwar wie alles in "Videodrome" schwer zu decodieren ist, dann aber durchaus berechtigt erscheint. Den Rezipienten der hiesigen Fernsehwelt zeichnet Cronenberg als ein nicht-hinterfragendes, amoralisch anmutendes Konsumwesen, dessen einziges Beduerfnis nach Unterhaltung moeglichst spektakulaer, grausam gestillt werden muss. Im Umkehrschluss werden die Macher, die Versorger der Zuschauer in ein noch schlechteres Licht gerueckt. Der sorglose Umgang Max Renns mit der Materie Videodrome, und die Reduktion dessen auf den Unterhaltungswert, ohne sich ueber etwas anderes als die bestmoegliche Vermarktung und etwaige Einschlatquoten Gedanken zu machen, verdeutlicht das Bild eines kalten Erfolgsmenschen, der egoistische Ziele verfolgt. Insgesamt kann man Cronenbergs Versuch, die Beduerfnisse der Medien und der jeweiligen Rezipienten als charakterlos, moeglichst kurzweilig profitabwerfende Projekte darzustellen, ausgezeichnet an der heutigen Fernsehlandschaft festmachen, auch wenn der Gehalt an "realen Grausamkeiten" nicht wie bei "Videodrome" graphischer Natuer ist, sondern in der psychologischen Ausbeutung sozial schlechter gestellter Personen liegt. Darueber hinaus wird die Frage aufgeworfen, inwiefern bzw inwieweit gewalttaetiges Fernsehprogramm zu realen Uebergriffen fuehren kann: auch das ist, im heutigen Kontext betrachtet, mehr als aktuell, sind doch Diskussionen um sogenannte Killerspiele in aller Munde. Bezeichnend dafuer ist Max' Talkshowbesuch zu Beginn des Films, in dem ihm vorgeworfen wird, durch sein Programm gewalttaetige Ausschreitungen auf den Strassen zu foerdern. Max' Antwort, dass Film die Realitaet kopieren wuerde und nicht andersherum, wird von ihm selbst im Film widerlegt, naemlich am Ende des Films, wenn Max sichtlich gezeichnet nicht mehr in der Lage ist, Realitaet und Halluzinationen auseinanderzuhalten, und zu dem letzten, von dem Fernseher ihm gegenueber propagierten Mittel greift - dem Suizid.

Cronenbergs medientheoretischer Diskurs ueber die Wahrnehmung und Wirkung des Mediums Fernsehen ist radikal und, wie koennte es anders sein in einem (Cronenberg) Film, sehr graphisch - auf der Ebene der Gewaltdarstellung - dargestellt. An dieser Stelle findet eine Kopplung der filmischen Motive statt: das gewalttaetige Programm von Videodrome findet Einzug in die Realitaet - durch Max Renn. Zum Spielball seiner Halluzinationen und Barry Convex degradiert, erlebt der Protagonist erhebliche Veraenderungen seines Koerpers. Anders als in seinem spaeteren Werk "Die Fliege", wo die Veraenderung fuer die Hauptperson zumindest am Anfang einen positiven Charakter aufweist, laesst Cronenberg Max Renn keinen Gefallen an dessen Veraenderungen finden. Die fuer die Zeit phantastisch in Szene gesetzten Veraenderungen an Max, so z.B. die Oeffnung des Bauches oder das Verwachsen von Pistole und Hand sind handwerklich grandios gestaltet und wirken, wie auch die anderen zahlreich vertretenen Spezialeffekte, auch im Vergleich zu heutigen computerbearbeiteten Szenarien sehr authentisch. Langeweile kommt in diesem, Cronenbergs bestem Film, zu keiner Zeit auf, sei es durch die grandios aufspielenden Hauptdarsteller, die wirklich beaengstigende Musik, die geschickt gewaehlt und noch besser platziert ist, sowie die dichte Inszenierung - zusammen ergibt dies die wunderbar schreckliche Symbiose zu einem visionaeren Schocker, der viel mehr ist, als nur das.

Abschliessend bleibt zu sagen, dass Cronenberg ein beaengstigendes Szenario der Bedrohung durch Massenmedien in Form von "Videodrome" entworfen hat, das seinesgleichen sucht: schwer zugaenglich, schockierend und phantastisch.

Death to Videodrome!
9/10

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