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Der Filmtitel "Before the Devil knows you're dead" beschreibt sehr schön den Zustand einer ausweglosen Situation - weshalb man gegenüber dem belanglosen deutschen Titel nur die Augen schließen sollte - und um nichts anderes geht es in Sidney Lumets neuestem Film. Ausweglosigkeit kann verschiedene Gründe haben, wenn etwa ein Indiana Jones vor einem gähnenden Abgrund steht, während sich ihm gerade wütende Horden nähern, aber Lumet entwickelt hier eine psychisch unumkehrbare Situation, deren Auslöser weit in der Vergangenheit liegt.

Vielleicht greift er deshalb zu einem Stilmittel, dessen Sinn sich vordergründig nicht erschließt. Er erzählt den Film in nicht chronologischer Reihenfolge und verrät die Hintergründe entsprechend scheibchenweise. In einer frühen Szene wird der Betrachter Zeuge eines Überfalls auf einen Juwelierladen, ohne das die handelnden Personen und die Hintergründe bekannt sind. Der Überfall eskaliert und endet in einer Katastrophe, worauf hektisch der vor der Tür wartende Fahrer davon fährt.

Es handelt sich um Henry "Hank" Hanson (Ethan Hawke), der kurz vorher als geschiedener Vater einer Tochter vorgestellt wurde, dessen Ex-Frau nicht mehr das Geringste von ihm hält. Hawke spielt hier geschickt mit seinem Image, wenn er einerseits seine Attraktivität für das weibliche Geschlecht bewahrt, andererseits einen ängstlich, unsicheren Typen mimt, der Niemandem etwas vormachen kann. Ganz anders tritt sein Bruder Andy (Philipp Seymor Hoffmann) auf, der ein erfolgreicher Geschäftsmann zu sein scheint. Allerdings hat Lumet diese Illusion für den Zuschauer gleich in der ersten Szene zerstört, wenn er Andy beim Sex mit seiner Frau in Rio de Janeiro zeigt, und das anschliessende Gespräch erhebliche Schwierigkeiten verdeutlicht.

Üblicherweise werden familiäre Konstellationen erst in ihrem schönen Schein dargestellt, um sie dann genüßlich auseinander zu nehmen, doch Lumet lässt diese Eindruck gar nicht erst aufkommen, sondern geht den umgekehrten Weg. Durch die einzelnen Szenen, die sich nach und nach zu einem Puzzle fügen, wird die Lebenslüge und die darin verankerte psychische Krankheit schon in einem fortgeschrittenen Zustand beschrieben. Längst ist keiner der Protagonisten mehr in der Lage, auf normalem Weg die Probleme zu lösen, sondern hat sich in einen unumkehrbaren Zustand manövriert.

Der Überfall, der durch den Tod der Mutter die Geschehnisse endgültig ins Rollen bringt, wird von Lumet wie eine logische Konsequenz beschrieben. Durch die jahrelange Flucht vor sich selbst und der sich daraus ergebenden Lebenlüge, erfolgreich und tough sein zu müssen, hatten die beiden Brüder ganz unterschiedlich über ihre Verhältnisse gelebt - Andy, dem als ältestem Sohn immer die gesamte Erwartungshaltung des Elternhauses zusetzte, brauchte sein Geld für Drogen, Hank, der immer der verhätschelte kleine Liebling war, übernahm nie Verantwortung und konnte seinen Lebensunterhalt nicht selbstständig bestreiten. Jahrelang lavierten sie sich durch, aber inzwischen haben sie jeden Kredit verspielt, weshalb ihnen ein Überfall als die einzige mögliche Lösung aus ihrem Dilemma erscheint.

Das sie dabei den Laden der eigenen Eltern überfallen, ist von perverser Konsequenz. Einerseits sind sie viel zu bürgerlich, um ein "direktes" Verbrechen zu begehen (ähnlich lässt sich auch Andys Manipulation in der Buchführung betrachten), andererseits verdeutlicht es die Sprachlosigkeit gegenüber dem eigenen Elternhaus, dem sie so wenig vertrauen, als dass sie es direkt nach finanzieller Hilfe fragen - letztlich ein Zeichen von Schwäche und Versagen. Doch selbst dieses Verbrechen überfordert ihre Möglichkeiten, weshalb Hank sich einen Strohmann sucht, der für ihn den Laden überfällt...

Durch die unchronologische Erzählweise werden immer mehr Personen vorgestellt. Darin ist auch der Sinn dieses Stilmittels zu erkennen, mit dem Lumet die Komplexität der Situation und die Spirale der Ausweglosigkeit noch betont. In den Mittelpunkt gerät dabei immer mehr der Vater der beiden Brüder, Charles Hanson, von Albert Finney souverän gespielt. Sein Charakter, der vordergründig freundlich wirkt und überzeugend ist in der Trauer um seine Frau, zeigt immer unerbittlichere und an Sturheit grenzende Züge, die verständlich machen, warum seine Söhne sich ihm nicht anvertrauen.

Lumet ist mit dieser Betrachtungsweise der amerikanischen Familie auf der Höhe der Zeit und kann in seiner kritischen Haltung in einem Atemzug mit "No Country for old Man" und "There will be Blood" genannt werden. Er nimmt nicht nur die allgemeine Lebenslüge des ständigen Erfolgs auseinander, sondern verdeutlicht auch die moralische Kleingeistigkeit, die dahinter verborgen ist. Sein Film zeigt einerseits das große Drama und die scheinbar unlösbare Verstrickung, andererseits die völlige Profanität und letzliche Unwichtigkeit der persönlichen Probleme, die sich mit einem offenen Gespräch lösen liessen. Doch zu diesem ist Niemand mehr in der Lage und so gelingt es dem Film, zu verdeutlichen, daß hier nicht das Schicksal oder ein unvorhersehbares Unglück schuld an der Situation ist, sondern nur die Beteiligten selbst.

Leider verwässert Lumet diesen sehr guten analytischen Ansatz mit zunehmender Laufzeit, in dem er noch viele weitere Handlungsstränge mit hinzufügt. So greift noch der Bruder der Freundin des Mannes ins Geschehen, der den Überfall als Ersatzmann ausführte, Andys Drogenhändler bekommt eine weitere Funktion als Besitzer großen Kapitalsvermögens und natürlich treibt es Andys Frau Gina (Marisa Tomei) auch mit seinem Bruder Henry. Dabei hätten so großartige Momente genügt, wie der, als Gina Andy verlässt. Philipp Seymor Hoffmanns "kontrollierter" Wutausbruch, bei dem er fast jedes Steinchen einzeln aus der Schüssel herausfallen lässt, zeigt mehr über die inneren Zustände seiner Protagonisten, als irgendwelche überladenen Plottwists, die nur ablenken (7/10).

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