„Sie leben!“ ist eine düstere Zukunftsvision von John Carpenter, die sich vor allem durch die Grundidee auszeichnet, mit welcher Carpenter den kapitalistischen Zeitgeist der Reagan-Ära auf die Schippe nimmt.
Bauarbeiter Nada (Roddy Piper) ist auf der Suche nach Arbeit. Zwar findet er bald einen Job, muss aber weiter auf der Straße leben. In der Nähe des Armencamps, in dem er vorerst lebt, ist eine Gruppe aktiv, die von Beeinflussung der Menschen predigt. Hier baut Carpenter eine Atmosphäre der Bedrohung auf. Schließlich spielt „Sie leben!“ in der typischen Gegenwart, aber trotzdem scheint sich etwas Geheimnisvolles, Größeres hinter dem (anscheinend wahren) Gefasel der Unheilspropheten verbergen.
Nada und die anderen Obdachlosen führen sich zuerst allerdings eher gestört von der Truppe. Als Nada in der Kirche, in der sich die Truppe versteckt, herumschnüffelt, fällt ihm ein Karton mit Sonnenbrillen auf. Trotzdem hält er sich lieber fern von den Mitgliedern. Doch als die Polizei mit größter Härte das Armencamp stürmt, die spärlichen Behausungen der Obdachlosen niederwalzt und selbst harmloseste Mitglieder der Unheilsprediger zusammenschlägt, beginnt Nada nachzudenken. In der Erstürmungsszene kommt es aus der schleichenden Bedrohung zum Ausbruch. Dies ist von Carpenter sehr stimmungsvoll inszeniert worden, vor allem die bedrohliche, stumme Front der Polizisten, die Erinnerungen (nicht zum letzten Mal) an die teilweise entmenschlichten Konfliktparteien in Carpenters „Assault on Precinct 13“ erinnern.
Nada findet schließlich eine der seltsamen Sonnenbrillen und setzt sie auf: Doch was er sieht, verschlägt ihm den Atem. Er sieht die Welt, wie sie wirklich ist. Auf Werbetafeln stehen Aufforderungen zu Konsum und Vermehrung, Überwachungsdrohnen kreisen über der Stadt und viele Menschen sind in Wahrheit Außerirdische...
„Sie leben!“ baut auf dieser stimmigen Grundidee auf, die Carpenter mit Liebe zum Detail umsetzt. So sind die Blicke durch die Brille sind im Stil der 1950er Jahre (und deren Invasionsfilme) gehalten, was auch die teilweise budgetbedingt billigen Effekte (etwa das Zerschießen einer Überwachungsdrohne) geschickterweise als Hommage erscheinen lässt. In Sachen Aliendesign setzt Carpenter auf einfache, aber effektive Masken, die das Budget nicht allzu sehr strapazieren.
Wo es ein wenig hakt, das ist bei der Dramaturgie. Knappe 90 Minuten Zeit nimmt sich Carenter, doch die szimmige Exposition, welche die Atmosphäre aufbaut, ist recht lang geraten (vor allem wenn man auf die Spieldauer des Films schielt). Ab dem Punkt, an dem Nada die Bedrohung erkannt und mit ihr umzugehen gelernt hat, stürzt den Film regelrecht von Station zu Station, die Ereignisse wirken zu sehr aneinandergereiht; als ob es keine wirklichen Hindernisse gäbe. Das Finale klärt nicht nur in (nicht unbedingt zufriedenstellender) Rekordzeit immerhin rudimentär über die Hintergründe der Alienstory auf, Kollege Zufall hilft Nada plus Mitstreiter Frank (Keith David) sehr und regelrecht überhastet wird der Revoluzzerplot abgeschlossen, wenn auch mit amüsanter Pointe.
Im letzten Filmdrittel streut Carpenter diverse Ballereien ein, was leider nur bedingt seine Stärke ist. Einerseits wirken die Konflikte und die Kontrahenten etwas statisch, andrerseits holt „Sie leben!“ inszenatorisch das Maximum aus den eher steifen Szenen heraus: Kontinuierlich bewegt sich die Kamera und erzeugt dadurch Dynamik, der Schnitt gibt den gnadenlos geführten Gefechten zwischen die nötige Wucht. Etwas lang wirkt die fast fünfminütige Schlägerei zwischen Nada und dem ungläubigen Frank am Ende des zweiten Filmdrittels, die aber immerhin mit roher Kraft auf Zelluloid gebannt wurde und auch diverse Wrestlingmoves einbaut.
Dies dürfte der Verpflichtung von Roddy Piper in der Hauptrolle geschuldet sein und der Ex-Wrestler schlägt sich durchaus ordentlich, wobei Carpenter ihn auch vor allem durch Physis überzeugen lässt und ihn in bester 1980er-Actionhelden-Tradition zu einem Mann der wenigen Worte macht. Keith David und Meg Foster leisten Brauchbares in den wichtigsten Nebenrollen des Films, die sonstigen Darsteller sind auch okay, aber der Film bleibt auf die Entdeckungs- und Erweckungsreise seiner Hauptfigur zugeschnitten.
Und hier kann „Sie leben!“ Pluspunkte, vor allem bei der Atmosphäre sammeln; schließlich ist Atmosphäre auch das Fachgebiet des Regisseurs. Das Flair der Bedrohung im sehr langen Auftakt wird stimmig vermittelt und auch seine Darstellung des nach der Erkenntnis beinahe durchdrehenden Nada kann überzeugen: Ein Mann, für den der Glaube an harte Arbeit und amerikanische Werte der letzte Halt in wirtschaftlicher Not ist, muss feststellen, dass auch dies ein abgekartetes Spiel ist, was zu einem schwarzhumorigen Ausraster mit Amoklaufanwandlungen führt. Tatsächlich versteht sich „Sie leben!“, trotz seiner Actionszenen und seiner an den Horrorfilm gemahnenden Stimmung vor allem als Satire im Sci-Fi-Gewand, die mit den Reaganomics der 1980er abrechnet.
Als solche funktioniert Carpenters Film auch weitgehend, auch wenn der Regisseur und (unter dem Pseudonym Frank Armitage) Drehbuchautor dabei stellenweise mit der groben Kelle austeilt. Manche Dialogzeilen Franks und Nada bezüglich ihrer Motive und ökonomischen Stellung sind überdeutlich und unsubtil, so wie manche Oneliner, darunter auch der berühmte Kaugummi-Spruch, zwar cool wirken, aber nicht ganz butterweich in den Kontext passen. Dafür sorgt die Paarung von Nada und Frank für typische 1980er-Buddy-Stimmung, die Carpenter aber mit seiner Dystopie in einen etwas anderen Kontext einbaut, in dem die Helden mal keine Cops sind, beide wirklich ganz unten angekommen sind, die Konflikte untereinander eine Nummer handgreiflicher werden und deren Partnerschaft nicht ganz so verläuft wie die anderer Buddys ihrer Ära.
„Sie leben!“ ist ein durchaus gelungener Carpenter-Film, der durch seine Prämisse, seine Atmosphäre und seine satirischen Spitzen überzeugen kann, allerdings zum Ende hin nicht ganz durchhält: Etwas zu schnell haspelt Carpenter die zweite Filmhälfte runter, nicht jeder inszenatorische Kniff sitzt, wenn auch die meisten es tun. Giftig und durchaus gelungen, aber nicht hervorragend.