Höher, schneller, weiter – brutaler. Das Motto, das die „Saw“-Filme zu umjubelten Millionensellern gemacht hat, ist in jüngster Zeit auch in Frankreich das Credo der Regisseure. „High Tension“ hat es vorgemacht und mit minimalistischem Soundtrack, düsteren Bildern und gnadenloser Gewalt selbst den eingefleischtesten Horrorfans eine nicht mehr erwartete Gänsehaut beschert. Wenn man jetzt über einen Film liest, dieser sei brutaler als Alexandre Ajas Meisterwerk, stellt sich sofort die Frage: Kann er dann überhaupt noch eine Geschichte erzählen? Nach Sichtung des neusten Frankreich-Import-Schockers „À l’intérieur“ muss man sagen: Jein.
Der Film beginnt düster-pessimistisch mit einem Verkehrsunfall. Während die schwangere Sarah schwer verletzt überlebt, ist ihr Ehemann auf dem Beifahrersitz sofort tot. Dieser Szene folgt ein Zeitsprung von vier Monaten. Es ist Weihnachten, Sarah ist kurz davor, zu entbinden und möchte den heiligen Abend gerne allein verbringen. Daraus wird leider nichts, denn zu nachtschlafender Stunde steht plötzlich eine unheimliche Frau vor ihrer Tür. Als Sarah ihr den Eintritt verwehrt, verschafft sich die Abgewiesene gewaltsam Zutritt. Was nun folgt, ist ein blutig-sadistischer Alptraum.
Genau so konventionell, wie die Geschichte klingt, ist sie auch. Auf vermeintlich kreative Twists gegen Ende wird verzichtet; eine Entscheidung, die auch „High Tension“ gut getan hätte. Was „Inside“, so der englische Titel, zum Thema Nr. 1 in der Horrorszene gemacht hat, gründet dann auch weniger in einer originellen Handlung. Frei nach dem Motto „Gewalt gleich Erfolg“ wird hier ein Splatter-Feuerwerk abgebrannt, das Seinesgleichen sucht. Sicher, ähnlich gelagerte Kommentare liest man jeder zweiten Kritik. Im Falle von „Inside“ sollte man diesen aber tatsächlich gesonderte Aufmerksamkeit zukommen lassen. Der Magen des Zuschauers bekommt keine zehn Minuten am Stück Schonung, Bestialität reiht sich hier an Bestialität. Die ausufernde Gewalt und die bedrückende Atmosphäre sind sicherlich auch die Gründe dafür, warum das Werk der beiden Regie-Neulinge Alexandre Bustillo und Julien Maury sofort mit „High Tension“ verglichen wird. Allerdings, und das stellt keine Übertreibung dar, wirkt letztgenannter Schocker trotz beachtlichem Magenumdreh-Potential gegen „Inside“ auf graphischer Ebene wie ein harmloser Film für die ganze Familie.
Atmosphärisch geht es hier allerdings nicht halb so gnadenlos zu, wie in „High Tension“, obwohl beide Filme das gleiche Stilmittel sehr gekonnt einsetzen: Die Musik, oder besser gesagt: Die Differenz zwischen Musik und Nicht-Musik. Wie auch Alexandre Aja verstehen sich Bustillo und Maury auf eine gekonnte Mixtur aus Stille und verstörenden Soundcollagen. Dass sich die Atmosphäre dann doch nicht so recht einstellen will, liegt zum einen an der überdeutlichen und wenig originellen Anlehnung an „High Tension“ und zum anderen daran, dass, wie bereits oben gesagt, kaum eine Minute vergeht, in der kein Mensch auf besonders perverse Art und Weise das Zeitliche segnet. Zum Spannungsaufbau bleibt im „Blut-und-Gedärme-Marathon“ dann nicht mehr viel Zeit. Suspense, wie sie der handlungs- und lokalitätstechnisch durchaus ähnlich gelagerte Carpenter-Klassiker „Halloween“ in Perfektion erzeugte, sucht man in „Inside“ vergebens. Spätestens das vollkommen überzogene und zudem noch vorhersehbar-plakativ aufgelöste Finale regt doch eher zum Schmunzeln an, als verstörend zu wirken.
Doch genug der Negativpunkte. „Inside“ ist ein durchaus spannender, wenn auch nicht Nerven zerfetzender Schocker, bei dem Gorehounds mit Sicherheit, Thrillerfans eher bedingt auf ihre Kosten kommen werden. Langweilig wird er zu keiner Sekunde, und so kann man eine klare Empfehlung aussprechen. Wer keinen zweiten „High Tension“ erwartet und sich nicht daran stört, dass man nach einer halben Stunde problemlos das Ende erraten kann, wird gut unterhalten werden. Bon Appétit!
6/10 Punkten