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"Als das Kind noch Kind war", da vermochte es die ganze Unbeschwertheit des Lebens zu erfahren - frei von jeder Sorge, teifgehender Trauer und jeglichen Existenzproblemen. Immer wieder wird diese Feststellung dem Zuseher des "Himmel über Berlin" begegnen. Den ruhe- und rastlosen Menschen des geteilten und trostlosen Großstadt-Molochs Berlins geht es zumeist weniger gut. Diese auf ihrem Weg unterstützend zu begleiten ist Aufgabe der beiden Endel Damiel (Bruno Ganz) und Cassiel (Otto Sander), für die Menschen freilich unsichtbar aber doch in ihrer hoffnungspendenden Präsenz hin und wieder für manchen spürbar.
Doch anders als die Menschen werden sie niemals Teil einer Geschichte, bleiben für alle Zeiten neutrale Instanz und frei von jeder realen Sinneserfahrung. Sie können nur verstehen, nicht empfinden...

Dies ändert sich, als Engel Damiel sich der Liebe zur Zirkusartistin Marion (Solveig Dommartin) wegen für ein irdisches Leben entscheidet und somit dem ewigen Leben entsagt. Nun erfährt er seine neu gewonnene Körperlichkeit, muss aber wie jeder Mensch eines Tages das Los der Sterblichkeit hinnehmen.
Wim Wenders "Himmel über Berlin" ist ohne Frage ein beeinduckendes Stück Film, so beeindruckend, daß es jüngst ein gelungenes Hollywood-Remake mit Nicolas Cage und Meg Ryan in den Hauptrollen nach sich zog. Mag auch dieses zweifelsfrei seine Klasse besitzen, so hat Wenders Film dennoch die Nase vorn - auch wenn die Zugänglichkeit aufgrund zahlreicher beinahe unverständlich dahingenuschelter Szenen mitunter leidet.
Gerade das durch die mauergezeichnete Berlin sorgt mit seiner rücksichtslos das Stadtbild vergewaltigenden Trennung für eine einzigartige Amtosphäre. Hier wird das vielfache Leid der Menschen unmittelbar an seinen trostlosen Bauwerken greifbar und konsequent konzentriert sich Regisseur Wenders auch gerne auf derartige Schauplätze, lässt seine Engel ungesehen im berüchtigten Todesstreifen wandeln, folgt einem alten Greis auf seiner ewigen Suche nach dem Potsdamer Platz wie er ihn einst kannte, begleitet einen "sehenden" amerikanischen Schauspieler (Peter Falk) und besucht letztenendes selbstversändlich regelmäßig den desillusionierten Zirkusstar Marion. Zwischendurch macht die Kamera jedoch immer wieder auch bei scheinbar zufällig ausgewählten Personen Station und zeigt neben ganz banalen Alltagssituationen auch tragische wie skurile bis humorige Momente.
Zusammen mit dem melancholischen Erzählstil und den schlichten aber beeindruckenden Schwarz/Weiss-Bildern, nur selten und zumeist erst mit dem Menschwerden Damiles unterbrochen durch Farbaufnahmen, vermag "Himmel über Berlin" den Zuschauer an den Bildschirm zu fesseln. Da sieht man auch gern mal über die ein oder andere Länge hinweg, in welcher sich Wenders beispielsweise minutenlang einer Zirkusvorstellung oder einem Discobesuch widmet.

Doch bleibt Wenders stets seiner zentralen Botschaft treu: Das Leben ist trotz oft widriger Umstände etwas einzigartiges und selbst die Unsterblichkeit kann dies nicht aufwiegen. Nur der Mensch liebt wirklich, nur der Mensch leidet wirklich, nur der Mensch kann am Ende seines Weges angekommen behaupten, Teil von etwas Großem gewesen zu sein - auch wenn sein individueller Beitrag noch so verschwindend gering ausfällt. Für "einmal Mensch sein" gibt nun selbst ein Engel seine Unsterblichkeit preis.

Nicht zuletzt auch seiner fantastischen Darsteller zum Dank gelingt "Himmel über Berlin" ein gleichermaßen faszinierender wie eindringlicher Blick auf das menschliche Sein. Bruno Ganz besticht einmal mehr durch eine überragende, ungemein charismatische und dominierende Performance. Doch auch mit Solveig Dommartin fand sich eine ausdrucksstarke Besetzung der weiblichen Hauptrolle, hinter der Engel Nr.2 Otto Sander auch drehbuchbedingt etwas zurückbleibt. Eine tragende Bedeutung besitzt er letztlich kaum. Die großen Momente gehören hier vor allem dem späteren Hitler-Darsteller Ganz, wobei für mich persönlich "seine" bereits angerissene Suche nach dem Potsdamer Platz in Begleitung eines alten Greises zu den Sternstunden des deutschen Filmes überhaupt gehört. Immer wieder eingestreutes historisches Filmmaterial sorgt in diesem Abschnitt für eine fantastische Atmosphäre.
Ein kleines Schmankerl ist schließlich freilich noch der Auftritt von US-Ermittler "Columbo" Peter Falk, der sich hier selbst spielt. Er spürt als ehemaliger Engel, womöglich von Wenders auch als Allegorie zum Land der Freiheit und der unbegrenzten Möglichkeiten intendiert - die unmittelbare Präsenz Damiels.

Fazit: "Himmel über Berlin" ist nicht nur ein sentimentales, beeinduckendes Stück Kino sondern durchaus auch Zeitdokument. Die Wende kam nur wenig später und womöglich hätte der Film mit ihr im Hintergrund doch auch anders ausgesehen. So mancher kleinen Länge und der Schwerverständlichkeit einiger Dialoge zum Trotze, zähle ich Wim Wenders toll fotographierten und intensiv gespielten "Himmel über Berlin" zu den Meilensteinen des neueren deutschen Filmes!

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