“Live Free or Die“ - Vorwärts in die Vergangenheit
Das in der Überschrift zitierte Motto New Hampshires ist das berühmteste „State-Motto“ der USA. US-General John Stark - ein Held des Unabhängigkeitskrieges (1775-1783) - prägte es 1809 anlässlich des Gedenkens an die Schlacht von Bennington (1777). Stark propagierte damit eine Art „aggressiver Unabhängigkeit“ und verpasste dem American Dream einen kämpferischen Anstrich. Sein Gedenkbrief an ehemalige Kameraden schloss mit den Zeilen: „Live free or die. Death is not the worst of evils“. Ohne Freiheit werdet ihr sterben. Also kämpft für sie, denn sie ist euer höchstes Gut. Der Tod ist bei weitem nicht so schlimm wie Unterdrückung. Bis heute hat sich diese Botschaft in die nationale Seele Amerikas eingebrannt und ist ein Eckpfeiler der US-(Außen-)Politik.
Den Titel des neuesten Die Hard-Streifens mit dem berüchtigten Motto zu verknüpfen - „Live Free or Die Hard“ -, ist ein genialer Einfall. Nicht nur dass jedes Kind in den USA das „State Motto“ New Hampshires kennt, Live Free or Die (Hard) transportiert auch perfekt die Grundstimmung des vierten Teils der beliebten Action-Saga um den Terroristenschreck John McClane. (Der für den internationalen Markt gewählte Titel Stirb langsam 4.0 ist weit weniger knackig und brisant und spielt leidlich originell auf das Computerthema des Films an.)
Diesmal geht es nicht um drei Dutzend Geiseln in einem Wolkenkratzer (Stirb langsam 1988) oder ein paar hundert Fluggäste auf einem lahm gelegten Großflughafen (Stirb langsam 2 1990). Auch wird keine Metropole wie New York von einer Serie heimtückischer Bombenattentate heimgesucht (Stirb langsam - Jetzt erst recht 1995). Am vierten Chaostag von John McClane ist schlicht und ergreifend die Freiheit der ganzen Nation bedroht. Computer-Terroristen unter Führung des diabolischen Programmierer-Genies Thomas Gabriel (Timothy Olyphant) haben es auf die Infrastruktur der Vereinigten Staaten abgesehen und drohen damit, das Land in die Steinzeit zurück zu hacken.
Wie in den Vorgängerfilmen gerät der New Yorker Cop John McClane eher durch Zufall in dieses Horrorszenario. Die Die Hard-Tradition „zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein“, bleibt auch in Teil 4 ein integrales Handlungselement. Der scheinbare Routinejob, den jungen Hacker Matt Farrell (Justin Long) zum FBI zu überführen, entpuppt sich als Himmelfahrtskommando, da sämtliche US-amerikanischen Computergenies auf der Abschussliste der Terroristen stehen. Anfangs lediglich als humorvoller Sidekick und Stichwortgeber für McClanes markige Oneliner angelegt, mausert sich der dauerverängstigte Farrell im Verlauf der Handlung zum gleichwertigen Partner, indem er McClane hilft, den Kampf auch auf digitaler Ebene zu führen. Natürlich werden die beiden ungleichen Charaktere durch eine Reihe gemeinsam bewältigter Extremsituationen zusammengeschweißt, bis sie am Ende in trauter Eintracht der sinistren Terrorbande den Garaus machen. Das „Buddy-Movie“ lässt grüßen.
Stirb langsam 4.0 ist ein Actionfilm alter Schule, was absolut als Kompliment zu verstehen ist. Wie in seinen besten Zeiten schießt, robbt und prügelt sich Willis durch eine zahlen- wie ausrüstungstechnisch überlegene Gegnerschar. Er fährt zahlreiche Autos zu Schrott, fabriziert tonnenweise Schuttberge und hinterlässt insgesamt eine Schneise der Verwüstung, die wunderbar mit der apokalyptischen Grundstimmung des Films „harmoniert“. Und fast alles ist handgemacht. Retro-Action „At its best“.
Folgerichtig hat der Film seine schwächsten Momente auch in den computergenerierten und damit vermeintlich auf heutige Sehgewohnheiten zugeschnittenen Actionhighlights. Was wohl als Zugeständnis an das juvenile Popcornpublikum gedacht war, will so gar nicht zum hemdsärmeligen Old School-Ton des Films passen und fällt gerade wegen des Einsatzes modernster CGI-Technik negativ aus dem Rahmen. Da diese Szenen nur einen Bruchteil der gebotenen Action ausmachen, können sie den hervorragenden Gesamteindruck glücklicherweise kaum trüben.
Die Story wird geradlinig erzählt, ohne allerdings die fintenreichen Handlungstwists der Vorgänger aufweisen zu können. Dass die wahren Motive der Terroristen erst im Verlauf des Filmes deutlich werden, ist Serientradition und wird von eingefleischten Die Hard-Fans fast schon vorausgesetzt.
Natürlich kann man dem Film ankreiden, dass er das typische Die Hard-Feeling nicht aufkommen lässt. Dieser Vorwurf wurde allerdings seinerzeit bereits - durchaus zu recht - dem dritten Teil gemacht, der gleich mit einer ganzen Reihe „eherner“ Franchisetraditionen brach: er spielt nicht an Weihnachten und nicht an einem von der Außenwelt abgeschnittenen Ort, McClanes Ehefrau Holly ist nicht in der Gewalt der Terroristen und der New Yorker Cop gerät nicht „zufällig“ und außerhalb seines Zuständigkeitsbereichs in ein Terrorszenario.
Für mich ist bereits Stirb langsam - Jetzt erst recht eine recht freie Interpretation der Grundkonstellation und trotzdem ein äußerst gelungener Beitrag der Serie. Sicherlich bewegt sich der vierte Film noch etwas weiter vom Ursprung weg, ohne dass dies zwangsläufig als Nachteil zu werten ist. Im Gegenteil.
20 Jahre nach Teil 1 spricht absolut nichts gegen eine sanfte Neuorientierung, zumal in der Zwischenzeit zahllose Die Hard-Plagiate sämtliche Variationen des Grundschemas mehr oder weniger originell durchgespielt haben. Von diversen Schiffen, über Züge, bis hin zu Bussen wurde fast alles gekapert, was eine klaustrophobische Enge bieten könnte (u.a. Alarmstufe Rot 1 und 2, Speed 1 und 2). Ein ganzes Land zu terrorisieren ist nicht nur ein politisch-aktuelles „Post 9/11-Szenario“, sondern auch eine logische Weiterentwicklung eines filmisch doch recht ausgereizten Themas.
Das Die Hard-Fehling steht und fällt m.E. ohnehin in erster Linie mit Hauptdarsteller Bruce Willis und weniger mit den vermeintlich „typischen“ Plotbausteinen. In dieser Hinsicht ist Stirb langsam 4.0 ein lupenreiner Franchisevertreter. Willis streift sein Alter Ego McClane über wie eine zweite Haut. Bereits in seiner ersten Szene stellt sich ein Gefühl wohliger Vertrautheit ein. Ein paar trockene Kommentare, das verschmitze Grinsen gepaart mit dieser unnachahmlich-unaufdringlichen Coolness und es ist, als wäre die Cop-Ikone nie weg gewesen. Superstar Willis hat nichts von seiner Virilität und Leinwandpräsenz eingebüßt. Scheinbar mühelos trägt er den ganzen Film und drückt ihm seinen unverwechselbaren Stempel auf.
Natürlich ist er älter geworden, auch hat man das im dritten Teil noch verwendete Toupet gleich ganz weggelassen. Insgesamt wirkt der (in Würde) gealterte Polizist dadurch aber nur noch glaubwürdiger und bietet einen (sicherlich auch gewollten) Kontrast zu seinen ausnahmslos jüngeren Gegnern. Der Gegensatz zwischen Cyberkrieg und altbewährten Polizeimethoden ist gleichzeitig auch ein Generationenkonflikt und manifestiert sich nicht zuletzt im Altersunterschied der Hauptakteure.
Der junge Hacker Matt Farrell dient gewissermaßen als Bindglied der beiden Welten. Als ausgewiesener Cyber-Experte leistet Farrell dem computertechnisch reichlich unbefleckten McClane wertvolle Dienste. Während letzterer ganz traditionell auf brachiale Gewalt setzt, trägt Farrell wesentlich dazu bei, den gemeinsamen Gegnern mit ihren eigenen Waffen zuzusetzen und damit den Kampf erheblich ausgeglichener zu gestalten. Gleichzeitig ist er aber auch ein „lernfähiger“ Teil von McClanes schweißtreibender „Old School“-Terroristenhatz, ein Gebiet auf dem dieser es wiederum zu unübertroffener Meisterschaft gebracht hat. So greift der anfangs völlig verängstigte und verstörte Farrell gegen Ende selbst zur Waffe und unterstreicht damit die implizierte Überlegenheit der analogen Kampftechniken gegenüber der digitalen Kriegsführung.
Denn letztlich ist Stirb langsam 4.0 trotz seines hochaktuellen Cyber-Terrorismus-Plots ein zutiefst altmodischer Film. Er richtet sich an ein vornehmlich älteres Publikum und dürfte bei allen Fans der 80er-Jahre-Action wahre Freudentaumel auslösen. Die oben erwähnte Anbiederung an ein Teenagerpublikum hat der Film gar nicht nötig und ist mit Sicherheit dem hauptsächlich auf Einspielergebnisse schielenden Studio (Fox) zu verdanken. Der düstere Look fällt zum Teil in die gleiche Kategorie, ist aber auch ein Markenzeichen des Regisseurs Len Wiseman, dessen Vorliebe für blaue Farbfilter bereits seine beiden Underworld-Streifen beherrschte. Diese in Fankreisen häufig beklagte Abkehr von der eher erdigen Bildästhetik der Vorgängerfilme kann aber auch positiv gewertet werden, unterstreicht sie doch die apokalyptische Grundstimmung des Films. Ich bin selbst kein Freund dieser inzwischen v.a. im Action- und Horrorbereich inflationär eingesetzten „Unart“, aber hier passt es ausnahmsweise einmal.
Am Ende siegt das Alter über die Jugend, setzt sich der Einsatz der „guten alten“ Schusswaffen gegen Laptop und Internet durch. Kurz: Der analoge Held McClane siegt in der digitalen Welt Gabriels. Böse Zungen werden diese Botschaft „altbacken“ und „überholt“ nennen, man kann das aber auch „nostalgisch“ und „zutiefst sympathisch“ finden. In einer Zeit, in der der Bürger immer gläserner wird und in der digitale Prozesse ganze Bereiche des öffentlichen und privaten Lebens dominieren, verströmt der Film ein, wenn auch naives, so doch wohliges Gefühl der Beruhigung. In diesem Sinne: „Machs noch mal John. Yippie yeah yeah!“
(9/ 10 Punkten)