Erlebt die Selbstjustiz etwa ihr Revival? Seit den seeligen Achtzigern von Hollywood weitestgehend geächtet, will nicht nur Kevin Bacon dieses Jahr den Tod seiner Familie rächen, sondern demnächst auch Oscar-Preisträgerin Jodie Foster („The Silence of the Lambs“, „Contact“) in „The Brave One“ die Gerechtigkeit in die eigenen Hände nehmen. Obwohl das heiße Eisen bei weitem nicht mehr so bedenkenlos wie damals glorifiziert wird, ganz im Gegenteil deutlich negativere Züge annimmt und zumindest im Fall von „Death Sentence“ die Geschichte nicht nur dank des ermittelnden Detectives Wallis (Aisha Tyler, „.45“, „Black Water Transit“) mit Moral und Gewissen großzügig bestrichen wird, darf man sich über den neuen Actionthriller von „Saw“ - Schöpfer James Wan freuen, hatte sein Nimbus als Regiehoffnung durch seinen nicht gänzlich überzeugenden Puppen-Terror „Dead Silence“ doch erste Kratzer erlitten.
Mit Kevin Bacon („Hollow Man“, „Mystic River“) hat der talentierte Filmemacher natürlich auch ein Ass im Ärmel, das er nur richtig ausspielen kann. Je kaputter seine Rolle, desto besser ist der Mann und für „Death Sentence“ dreht er mal wieder so richtig auf. Sein Familienoberhaupt Nick Hume geht im Verlauf des Films durch die Hölle und so sieht Kevin Bacon hinterher auch aus...
James Wan geht das altbekannte Thema dafür schön straight an, fedelt überlieferte Themen, wie die Kritik am Justizapparat, mit ein und tarnt etliche Klischees mit Emotionen. Da gilt es für das Publikum ein paar arg auf die Tränendrüsen ausgerichtete Szenen zu überstehen, aber insgesamt ist der Film eine runde Sache ohne großartige Aussetzer.
Dies hat er wiederum der tadellosen Regie Wans zu verdanken. Er steigert das Tempo kontinuierlich, dreht solange an der Spannungsschraube bis die Sicherungen bei Nick komplett raushauen und pflegte seinen seit „Saw“ bekannten Bilderstil, amerikanische Großstädte weitestgehend von ihren hässlichen Seiten zu zeigen. Die Vorstadtidylle der Humes und die klinisch weißen Büroräume sind da nur ein Kontrast zu schmuddeligen Hinterhöfen und den versifften Slums, in denen sich die wichtigsten Szenen des Films abspielen...
Einige Parallelen zu „Death Wish“ sind natürlich offensichtlich, das Thema wird hier aber wesentlich glaubwürdiger und emotionaler abgewickelt. Der heilen Welt der Humes, die urplötzlich auf dem nächtlichen Nachhauseweg von einem Eishockeyspiel an einer Tankstelle durch die Ermordung von Sohnemann Brendan (Stuart Lafferty), der als Opfer für ein blutigen Gang-Aufnahmerituals herhalten muss, brutal eingerissen wird, und der erst zögerlichen und dann mit Nachdruck durchgezogenen Vendetta, die sich prompt zu einem Kleinkrieg zwischen Nick und den gewaltbereiten Punk-Truppe entwickelt, wird nicht mehr Zeit als unbedingt nötig eingeräumt, aber trotzdem fehlt der fade Beigeschmack einer Alibihandlung, die nur möglichst viele Gewaltspitzen aneinanderreihen soll.
Davon gibt es natürlich trotzdem genug, insbesondere im dann nicht mehr sonderlich realen dafür aber comichaften letzten Viertel, wenn Nick sich bei John Goodman, mal wieder Edel-Support in einer köstlichen Nebenrolle, mit allerlei groben Kalibern eindeckt, die ersten Hürden als ungeübter Schütze erfolgreich nimmt und mit der Schrotflinte alsbald die Reihen lichtet. Genrekonform macht Wan dabei keine Gefangenen. Die Gnadenlosigkeit des Films, der neben Frau und Kind natürlich zig Punks zum Opfer fallen, fordert massiven Blutzoll, im weiteren Verlauf allerdings auch, dass sich die Logik der Rasanz unterwirft.
Den Fans wird es gefallen, zumal „Death Sentence“ mit bitterbösem Humor, raffinierten Kamerafahrten, urbanen Locations und seiner körnigen, kalt-dreckigen Optik schnell eine kribbelige Atmosphäre verursacht, die so viel mehr als der 0815-Bronson bietet.
Der innerlich zerissene Nick Hume hat lange mit seinen Zweifeln zu kämpfen. Er zweifelt an sich selbst, am Justizapparat sowieso, hadert mit seinem Schicksal, gibt sich selbst ein wenig die Schuld und will nicht so recht akzeptieren, wofür sein Sohn letztens starb. Als er den Mörder seinen Sohnes im Handgemenge absticht, passiert dies eher im Affekt, Genugtuung bringt sein Tod ihm auch nicht und zuhause sitzt immer noch der trauernde Rest seiner zerfallenden Familie, der davon möglichst nichts mitbekommen soll, dann aber in den Strudel mit hineingezogen wird, weil Nick eigentlich gar nicht weiß, was er da los getreten hat. Die Punks besitzen nämlich ebenfalls ein familiäres Gefüge und sehen gar nicht ein, weshalb der Mörder so ohne weiteres davon kommen sollte. Darum tragen sie den Krieg zu ihm nach Hause.
Hatte seine heile Welt bis dahin nur Risse, zerbröckelt sie nun endgültig und mit ihr Kevin Bacon. Seine Emotionen kochen über, sein Entschluss reift und wenn ihm schließlich seine Lebensgrundlage unter den Füßen weggezogen wird, tickt er eben aus und schlägt zurück. Bis dahin geben intensiv gefilmte, minutenlange Hetzjagden und Morddrohungen ihm aber auch allen Anlass nach einer großkalibrigen Lösung Ausschau zu halten.
Die wenigen Schwächen des Skripts lassen sich unter anderem an Detective Wallis festmachen, die irgendwie Verständnis für Nicks Lage aufbringt, Altbekanntes wiederkaut, ansonsten aber nur mit erhobenem Zeigefinger den Moralapostel gibt. Auch die Drogen verkaufende, gewaltbereite und irgendwie alle Klischees bestätigende Punk-Brut ist eher ein Fall fürs Gruselkabinett, passt so komplett enthemmt und bösartig jedoch ganz vorzüglich in das Szenario.
Das Highlight bleibt bei allen inszenatorischen Kniffen allerdings beständig Kevin Bacon, der in der deutschen Fassung übrigens mit einer total unpassenden Synchronstimme bestraft wurde. Es ist immer wieder beeindruckend, wie beängstigend glaubwürdig sich der Mann verwandeln kann und hier schrittweise von einem gepflegten Versicherungsfachmann zu einem kahlrasierten, vernarbten Rächer mutiert, der schon alles aufbieten muss, sowie die Kollegen Glück und Zufall bemüht, um nicht zu früh abzutreten und seine Rache zu erhalten.
Fazit:
James Wan kredenzt mit „Death Sentence“ einen erfreulich spannenden wie dramatischen Thriller, der sein Thema keineswegs glorifiziert. Selbstjustiz richtet hier schlussendlich alle Beteiligten und führt zu keiner Lösung. Das familiäre Drama funktioniert vor diesem Hintergrund darüber hinaus erstaunlich gut.
Die kompromisslose Inszenierung, starke Darstellerleistungen, sehenswerte Actionszenen, bis zum Finale auch bedrückend real wirkende Schicksale, die düsteren Bilder und ein griffiger, manchmal allerdings über das Ziel hinausschießender Score von Charlie Clouser („Saw“, „Resident Evil: Extinction“) machen „Death Sentence“ trotz einiger Klischees und Überzeichnungen zu einem der besseren Filme des bisherigen Kinojahres 2007.