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Er ist einer der umstrittensten Dokumentarfilmer und Regierungskritiker der Vereinigten Staaten, hat mit seinen Filmen und Büchern ebenso viele Auszeichnungen wie Schmährufe eingeheimst und wird nicht müde, fragwürdige Praktiken seiner Regierung und der größten Wirtschaftsunternehmen zu hinterfragen: Michael Moore setzt sich seit Jahrzehnten mit seiner Arbeit für mehr Gerechtigkeit und Ausgleich zwischen Arm und Reich ein. Nachdem er mit seiner berühmt-berüchtigten Dokumentation "Fahrenheit 9/11" den Oscar eingeheimst hatte, machte er sich daran, einen weiteren Aspekt des so genannten mächtigsten Landes der Welt anzuprangern: das marode und korrupte Gesundheitssystem.

Mehr als 50 Millionen US-Amerikaner können sich keine Krankenversicherung leisten. Die Folgen zeigt sein Film "Sicko" drastisch und eindringlich: Die Betroffenen werden in Krankenhäusern wie Menschen zweiter Klasse behandelt, am Straßenrand abgeladen oder gleich von vornherein nicht behandelt. Anhand zahlreicher Fallbeispiele, umfangreicher Statistiken und selbst durchgeführter Experimente verdeutlicht Moore die Menschenverachtung, mit der hier ein kapitalistisches System die Gesundheit seiner Bürger ausschließlich als Finanzaspekt behandelt. Im krassen Kontext dazu zeigt er anhand von Ländern wie Kanada, Frankreich oder Kuba, wie ein Gesundheitssystem wirklich der Bevölkerung helfen kann - vom Mythos, die USA seien die beste Nation der Welt, bleibt hier nicht mehr viel übrig.

Nun ist man von Moore ja einen durchaus unterhaltsamen Stil gewöhnt. Um jedoch sein Ziel zu erreichen und seine Aussage zu verstärken, greift er in "Sicko" leider zu allzu billigen Mitteln: Reihenweise zeigt der Film weinende Mütter und Kinder in Nahaufnahme, alte Menschen, die apathisch am Straßenrand sitzen, 9/11-Helden, die nach Kuba fahren müssen, um kostenlose medizinische Versorgung zu erhalten. Das alles erinnert in seiner Machart allzu sehr an die billige Sensationsgier der Boulevardpresse. Und die unreflektierte Art und Weise, auf die hier Frankreich und Kuba, zwei Länder, in denen auf dem sozialen Sektor bei weitem nicht alles in Ordnung ist, als geradezu paradiesische Systeme dargestellt werden, mag so manchem sauer aufstoßen. Angesichts der sehr manipulativen Montage seiner einzelnen Interviews und Szenen ist es nachvollziehbar, warum Moore von bösen Zungen nachgesagt wird, er verdrehe bewusst Tatsachen oder stelle sie falsch dar.

Solcherlei Kritik wurde jedoch schon an seinen Vorgängerfilmen "Bowling for Columbine" und "Fahrenheit 9/11" geübt. Was "Sicko" von diesen unterscheidet, ist der mangelnde Unterhaltungswert. Die erste dreiviertel Stunde besteht fast ausschließlich aus melodramatischen Interviews mit weinenden Personen. Davon ist der Zuschauer sehr bald dermaßen übersättigt, dass der Film kaum noch Anteilnahme am Schicksal der dargestellten Menschen erzeugen kann. Und von Moores berüchtigtem beißenden Sarkasmus fehlt hier über weite Strecken jede Spur.

Ansehen kann man sich "Sicko" sicherlich trotzdem, ist er doch ein wichtiger und gut gemeinter Beitrag zur Aufklärung über ein marodes, menschenverachtendes System, das sich selbst scheinheilig als beste Demokratie der Welt feiert (und ein paar hübsche Spitzen gegen die damalige Regierung Bush gibts gleich gratis dazu). An die Qualität seiner früheren und auch seines späteren Films "Kapitalismus: Eine Liebesgeschichte" reicht dieses Werk aber bei weitem nicht heran.

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