Bizarr, verspielt, kitschig, irgendwie auch banal und kindisch und vor allem in einer markanten Retro-Ästhetik - La Antena, die neueste Kreation des argentinischen Underground-Stars Esteban Sapir ("Picado Fino"), ist ein ungewöhnlicher Film voller verrückter Einfälle. Keine leichte Kost, aber vor allem durch die musikalische Untermalung und die totale Durchgeknalltheit der Optik durchaus unterhaltsam. Vergleiche mit den Tim-Burton-Kreationen sind nicht unangebracht, auch wenn Sapir hier die Spielfilmkonventionen weit mutiger durcheinanderrüttelt als sein Kollege aus Hollywood.
Schon beim Inhalt ist es schwer, den Film exakt zu beschreiben. Es geht im Grunde genommen um eine der Orwellschen Vision "1984" nicht unähnliche. aber eher humoristisch-märchenhaft dargestellte Dystopie, eine Stadt in einer anderen Zeit, die von einem jähzornigen Medienmogul, dem "Herrn TV" regiert wird. Medium zur Gleichschaltung ist - man ahnt es schon - das Fernsehen. Die Menschen haben keine Stimmen und kommunizieren über das Lippenablesen. Deshalb gibt es auch so komische Apparate wie einen Mund-Vergrößerungs-Bildschirm, der anstelle eines Megaphons zur Kommunikation auf weite Strecken verwendet wird. Doch es gibt zwei Personen, die das Geheimnis des Sprechens kennen - eine Sängerin, die nie ihr Gesicht zeigt, und ihr Sohn, der keine Augen hat. Damit dieses Geheimnis nicht verbreitet wird und seine Herrschaft unangefochten bleibt, ist Herr TV darauf bedacht, den Jungen umzubringen - die Sängerin dagegen braucht er für medizinische Experimente. Doch der Vater der einzigen Freundin des Kleinen hat andere Pläne - eine alte Antenne in den Bergen zu reaktivieren und dadurch das Geheimnis in der gesamten Bevölkerung verbreiten.
Nun zur Technik. Sapir, der aus der Werbebranche kommt, wirft in La Antena zahlreiche altertümliche und moderne Tricks - von Stummfilm über Videoclip bis hin zu CGI - durcheinander und bastelt dadurch eine sehr surreale Athmosphäre, die aus einer längst vergangenen Zeit, vielleicht den 20er oder 30er Jahren zu stammen scheint. Einmal ist der gesamte Film in Schwarzweiß gehalten, ohne irgendwelche Retuschierungen a la "Sin City". Dafür erinnern zwei andere Details an diesen Film: Einmal wird auch hier häufig mit comicartigen Zeichnungen gespielt, vor denen die Schauspieler erscheinen. Zum anderen besteht der Ton wie bei einem Stummfilm fast nur aus Musik, Geräusche sind ausgeblendet - bis auf die Stellen, in der die Sängerin und ihr Sohn sprechen, und dem Rattern der Maschinengewehre der Polizei. Diese Szenen werden dadurch extrem unterstrichen - wie es die Farbtupfer im der erwähnten Comicverfilmung taten. Somit nimmt die Musik, von einem Kammerensemble dargeboten, dann auch eine tragende Rolle ein und untermalt das Geschehen, indem jede wichtige Aktion mit einer bestimmten Tonfolge oder einem Akkord unterlegt wird. Die Kommunikation der Menschen untereinander wird durch riesige Untertitel dargestellt, die selbst mit einer Menge Computereffekten bearbeitet werden.
Schon alleine diese Techiken erzeugen die Retroathmosphäre im Film, die durch altertümliche Autos, Kleidung der Darsteller und Design der Fernseher und anderen Gegenständen unterstrichen wird. Das einzige Element, das kurioserweise modern wirkt, ist das Logo der Fernsehgesellschaft, eine in eine "6" mündende Spirale. Ein Motiv, das immer wieder auftaucht und anscheinend als Prinzip die halbe Gesellschaft der Stadt organisiert. Und auch ansonst wird mit Symbolik nicht gespart, zum Beispiel beim Polizeihauptmann, der eine Rattenmaske und einen Rattenschwanz trägt, oder bei den Bergen, die aus alten Zeitungs- oder Buchseiten bestehen. Elemente aus Expressionismus und Konstruktivismus tun ein übriges, um "La Antena" eher in die Nähe der Video- und Multimediakunst als der traditionellen Spielfilmästhetik zu rücken.
Die Leistungen der Schauspieler sind solide. Dennoch kann man nicht behaupten, das von ihnen allzu viel verlangt wurde, da der Reiz des Filmes fast vollständig von den visuellen Effekten abhängt und die Story eher Nebensache ist.
Streiten kann man darüber, ob der Film einen tieferen Sinn haben soll oder ein rein ästhetisches Kunstwerk bleibt. Ich persönlich würde die zweite Deutung bevorzugen, denn obwohl Paralellen zwischen der "Stadt ohne Stimmen" sowohl zur Nazizeit (auch ein Hakenkreuz taucht mal auf) als auch zur heutigen Informationsgesellschaft existieren, wird nie Wert darauf gelegt, das alles auch nur halbwegs realistisch darzustellen. Ob es sich also um eine Satire handelt oder nicht, bleibt daher im Dunkeln.
Kritik gibt es leider an der Storyführung zu üben. Sie hat trotz ihrer Verspieltheit einige Längen und schwankt zwischen (absichtlich) extremer Banalität und einigen Szenen, die man nicht auf Anhieb durchschaut. Gerade im Hinblick auf den Zusammenhang zwischen den Experimenten mit der Sängerin und der Gleichschaltung sowie der Stimme des Jungen und der Wiedergewinnung der Stimmen durch die Stadtbewohner tappt der Zuschauer desöfteren im Dunkeln, weshalb in solchen Szenen der Spannungsbogen ins Stocken kommt. Irgendwie rollt er dann jedoch doch wieder an und man findet sich plötzlich wieder in herrlich abstrusen Bildern wieder - und verzeiht diese Schwächen dadurch letztendlich.
Fazit: Wer auf abgedrehte Filme steht, kann mit "La Antena" nur richtig liegen - selten bekam man soviel geballte Kreativität und so viele ungewöhnliche Effekte auf der großen Leinwand vorgesetzt. Allerdings wirkt er dadurch oft überladen, und manchmal würde man sich doch etwas mehr Spannung und Logik in der Handlung wünschen. Schade, denn wenn die Drehbuchschwächen nicht wären, könnte der Film durchaus das Zeug zum Überraschungshit haben - und das im Jahr 2007. Deshalb gibt es auch leider von mir keine Höchstpunktzahl.
Doch Sapir selbst hat in einem Interview kürzlich gesagt, ihm sei es egal, ob Millionen Leute seine Filme anschauen würden oder nicht, da er sie eher für sich selbst drehe. Darum gebührt dem Mann Respekt! Und seine Liebhaber dürfte der Film trotz allem völlig zu Recht finden. Beziehungsweise hat er sie schon gefunden, zumindest der Trailer auf Youtube wird derzeit mit Lobeshymnen übergossen. Dark City auf LSD (8,5 Punkte).