Es gibt Filme, die transzendieren Genre-Grenzen und nötigen dem Betrachter eben jenes bestimmte Quentchen Faszination ab, das ihm aufzeigt, soeben Zeuge von etwas ganz Besonderem geworden zu sein.
"Jaws - The Revenge", der morbide 4. Teil der "Jaws"-Reihe, gehört zu dieser alchemistischen Filmkultur, ebenso wie "Exorzist II" oder "Der tödliche Schwarm". Das hervorstechendste Merkmal ist zumeist, dass das Werk, obwohl mit viel Geld und mit hochprofessionellem sowie renommiertem Team hergestellt, von erbarmungswürdiger Unfähigkeit in Konzeption und Ausführung zeugt. Damit verbunden ist ein allgemeiner Vertrauensverlust des Zuschauers, ungefähr vergleichbar mit dem alten Witz über den verstorbenen Schiffskapitän, in dessen Nachlass ein gehütetes Geheimpapier gefunden wird, auf dem nur steht "Backbord links, Steuerbord rechts".
Im Falle von "Jaws 4" ist das hervorstechendste Unding neben mieser Tricktechnik und dilettantischer Inszenierung ein Drehbuch, für dessen Bewilligung sogar ein frontal Lobotomierter sich in Grund und Boden schämen müßte. Nicht weniger als 25 Millionen $ bewilligte man bei Universal für Michael De Guzman's schaurige Plotte. Man höre und staune: die Mär erzählt von einem rachedürstigen Hai, der ohne erkennbare Erklärung einen düsteren Plan ausgeheckt hat, dessen Ziel der Komplettgenozid der Brody-Familie ist, deren wehrhaften Taten schon drei seiner fischigen oder besser plastischen Gevattern in den Jahren 1975, 1978 und 1983 zum Opfer fielen.
Aber lasset uns verweilen und uns das Werk nicht vorschnell verurteilen: Ein Weihnachtsabend in Amity, der uns inzwischen wohl bekannten Küstenstadt in Neu England. Wir schreiben dass Jahr 1987. Chief Brody hat es zwischenzeitlich dahingerafft...die Angst vor dem Großen Weißen sei's gewesen munkelt es im Brody-Haushalt...böse Zungen könnten auch Roy Scheider's kategorisches NEIN zu der ihm gestellten Anfrage nach Mitwirkung als Grund in Betracht ziehen. Jedenfalls ist Sohnemann Sean inzwischen zum propperen neue Polizeiobmann avanciert. Wie der Vorspann uns bereits verriet ist etwas faul im Hafen von Amity. Die ominös auf- und abtauchende Kamera in Verbindung mit Meister Williams' Bass-Ostinato kann nur eines künden: sie ist wieder da! Die weiße Gummimatratze schneidet erbarmungslos die Wellen entzwei, ewig auf der Suche nach ergiebigen neuen Jagdgründen. Nu ja, denkt der arglose Fernseher, was soll sein, Weihnachten geht ja in Neu-Enlgland nur jemand schwimmen, dem nach dem eisigen Wassergang der Tod durch Haifischzähne wie eine Erlösung vorkommen muss, also was soll passieren?
Da schlägt Genie de Guzman das erste mal zu: ein verirrtes Treibholz schwimmt im Hafen herum. Die Polizei soll es entfernen. Aber, so will es das Drehbuch, Sohnemann Brody's Aufgabe ist das nicht. Er wird vielmehr dazu verdonnert, weil sein Hilfssheriff offenbar zu einem dringenden Fall gerufen wurde: es wurden schlafende Kühe in der Nachbarschaft umgestoßen. Deshalb fährt Sean Brody im uns bereits bekannten Polizeiboot hinaus in die trübe Nacht, während im Hafen die Weihnachtschöre Kunde vom nahenden Fest verbreiten. Während sich der junge Brody also hinuterbeugt, um das Treibholz zu beseitigen, geschieht das unfassbare.: aus der Tiefe stößt etwas hervor. Was es ist läßt uns der miese Filmschnitt nicht erahnen, aber hernach ist der Arm ab. Das Schreien des jungen Brody bleibt ungehört, da ja im Hafen die Chöre jubilieren...mein Gott, Hut ab, Herr Sargent, auf solch brisant-ironischen Einfälle muss man erstmal kommen!!!
Schließlich und endlich wird der ganze Brody entsorgt, die Trauer ist groß, Bruder Michael, inzwischen angehender Meeresbiologe, kommt von den Bahamas und ist verständlicherweise irritiert als Mutter Brody in einen Weinkrampf ausbricht um ihm mitzuteilen, dass ER wieder da ist, um die Familie zu holen. Der Zuschauer mag bis zu diesem Zeitpunkt noch in einer gewissen Unsicherheit vor dem TV-Gerät verweilt haben, doch hier fällt es ihm wie Schuppen von den Augen! In einem Film, der "Jaws - The Revenge" heißt, muss diese hirnverbrannte Idee wohl tatsächlich die Prämisse sein, denn eine sensible Charakterstudie über die Wahnvorstellungen einer Neu-England-Witwe auf dem steinigen Weg der Genesung wird's wohl kaum werden.
Schließlich und endlich packt Michael Brody seine vorahnungsgeplagte und gramgebeugte Mutter unter den Arm und fliegt mit ihr auf seine Heimat, die Bahamas.
Und hier kommt er, der Money Shot: bei ihrer Abreise verweilt die Kamera auf jenem ominösen Stück Treibholz, dass die Tragödie erst möglich gemacht hat.Obwohl die Filmtheorie der letzten 60 Jahre so einiges an cinematischen Lesarten zuläßt, drängt sich doch der schreckliche Verdacht auf, Regisseur Sargent hat diesen Shot eingebaut, um uns zu bedeuten, dass das weiße Ungetüm mit heimtückischer Arglist selbständig das verhängnisvolle Treibholz im Hafen postiert hat. Damit sein teuflischer Plan in Erfüllung gehen konnte, mußte unser paramedialer Flossenteufel jedoch ebenso das bereits erwähnte Kuhschubsen organisieren, dass Sean Brody überhaupt erst zum Einsatz drängte.
Warum nicht gleich die volle Ladung? Nächtliche Stalkeranrufe bei Mutter Brody aus der Unterwasserzelle, tote Meerestiere auf der Türschwelle, mit Seealgen geschriebene "I KILL YOU"-Drohbriefe...die Möglichkeiten sind unbegrenzt!
Und so geht der ganze Film weiter. Der Hai folgt Familie Brody auf die Bahamas. Dieser in vielen Kritiken als absolut unglaubwürdig zitierte Fakt (Hai legt mehrere tausend Kilometer in 2 Tagen zurück) ist noch einer der verschmerzenswertesten Abstrusitäten. Angekommen treffen Mutter Brody und Familie dort schließlich Michael "it bought me a house" Caine und allerlei öde Soap Opera Szenen langweilen den Zuschauer in somnambulen Schlaf. Ein geschickter Schnitt von Joe Sargent's Cutter-Schere bläst uns jedoch vorm endgültigen Dahindösen den Wake-Up-Marsch: der erste Shot von Gevatter Hai wie er im klaren Wasser der Südsee mit finsterem Auge furcht, fest entschlossen seine Beute im feuchtem Grab seines Plastikkiefers zu begraben.
Aber dieser Look! Welcher Praktikant auch immer hier die Aufgabe bekam, das Plastikvieh zusammenzustoppeln, hat tief in den Topf mit der grauen Hasbro-Knetmasse gegriffen. Das ständig offene Maul präsentiert uns einen leuchtend-rosafarbenen Kiefer, der aussieht, als hätte man dem armen Modell eine Kollektion nackter Barbie-Puppen ins Maul geschoben. Die fetten Nähte an allen Ecken und Enden sorgen eher für einen mitleidserregenden Eindruck. Wäre Salzwasser ethanolhaltig, wäre unser grauer Gesell das amphibische Äquivalent zu Starkalkoholikern mit Tendenz zur Schuppenflechte.
Schließlich erfahren wir auch, was Meeresbiologe Michael so treibt. Er befestigt nämlich Radiosender an Seeschnecken, um zu testen, wie weit sie sich in einer bestimmten Zeit bewegen. Ich bin zwar kein Meeresbiologe, aber die Frage, ob Tiere mit einem Bewegungsradius von einem Zentimeter am Tag solch kostspieliger Überwachungsmethoden bedürfen, ließ mich den Rest des Filmes nicht mehr los.
Während seiner aufreibenden Arbeit mit den Seeschnecken meldet sich Gevatter Hai zum ersten Mal bei Michael Brody. Plötzlich aus den Tiefen emporschnellend ängstigt er zuerst Michael's Rastafari-Freund Jake um sich dann in der Forschungsbarkasse zu verbeissen. Dabei kommt es wieder zu einem der preiswürdigen Momente, in dem Mechanik und Gummi eine eher unglückliche Allianz bilden, denn während Gummi-Bruce mampft, bilden sich hier wie schon im 3. Teil jene legendären Gummiwürste auf seiner Haut, die Folge seines polyethylenen Ursprungs sind.
Als es bald darauf zur zweiten Begegnung kommt, bei der Michael Brody sich mittels eines Unterwasserfahrzeugs in ein Wrack auf dem Meeresboden flüchten muss, gibt es eine Special-Effects-Sequenz, die in ihrer Stümperhaftigkeit ihresgleichen sucht. Während der Hai mit dem amphibischen Fahrzeug rangelt, kann man mehrmals die Kabel sehen, die ihn mit seinem elektrischen Antrieb verbinden, aber als ob das nicht genug wäre kann man in der Verfolgungsszene im Wrack in der Tat sehen, wie das leblose Gummimodell auf Schienen geführt wird, um die wiederum massenhaft Kabel herumliegen. Man wähnt sich geradezu im Kabelschacht eines Bürogebäudes...und das alles mit dem vierfachen Budget des ersten "Jaws"...nicht zu fassen.
Den Rest der Handlung zu beschreiben ist überflüssig. Man kann sich denken, wie's ausgeht. Auf offenem Meer kommt es zum finalen Duell zwischen Mutter Brody und der weißen Wurst. In unmotivierten Abständen erhebt sie sich aus dem Wasser (die Wurst, nicht Mrs. Brody)...um dann schließlich für eine geschlagene Minute senkrecht wie weiland Jesus auf dem Wasser zu stehen. Dieser wirklich unfassbare Balanceakt wird untermalt von lautem Dinosauriergeheul - ein fast schon satirischer Kommentar des Sound Departments vielleicht?
Und weil das Budget knapp ward und auch keiner mehr große Lust verspürte, darf das Boot schließlich seine Bugspitze in des Großen Weißen' Leib rammen, woraufhin dieser.......explodiert.
Nun, warum eigentlich nicht?
Nach all dem, was der Zuschauer sich bisher hat bieten lassen, dachte sich Regisseur Sargent wohl, wird das den Kohl wohl auch nicht mehr fett machen. Die "End Credits" laufen vorbei und wir alle drücken fest die Daumen, dass einige leitende Universal-Mitarbeiter im Herbst 1987 den Hut nehmen mußten.