„Ginger und Fred“ ist eine der interessantesten Schöpfungen des großen Autorenfilmers Frederico Fellini, denn kein anderes Werk des Regisseurs ist derartig zweigleisig in seiner Emotionalität. Einerseits schäumt der Film über vor Hass, andererseits ist auch viel Liebe vorhanden.
Der Hass Fellinis gilt dem Fernsehen und der modernen Unterhaltungsindustrie als solche. In einer Freak-Show wie sie aus einem Jodorowsky-Film stammen könnte, tauchen etliche skurrile Figuren auf. Ob Zwerge, Transvestiten, ein altersschwacher Admiral (Freidrich von Ledebur in seiner letzten Rolle) oder mittendrin das alte Tänzerpaar Ginger und Fred – platziert inmitten der Karnevalszeit in Rom und ausgestattet mit bizarren Bauten und einem grell gestalteten Fernsehstudio bilden die verschiedenen Figuren eine bunte Mischung, welche in einem willkürlich und lieblos zusammengestellten, hirnlosen Abendprogramm verheizt werden. Diesen Hass verschachtelt das Drehbuch nicht in intellektuellen Symbolismen oder augenzwinkernden Zweideutigkeiten sondern in unverhohlener Gradlinigkeit. Fellini nennt die Dinge beim Wort und ist nicht an Kompromissen interessiert – sein Film wäre ein Pamphlet, wäre er nicht so menschlich.
Denn liebevoll dagegen wirkt Fellinis wehmütiger Blick auf eine längst vergangene Zeit: Eine Ära, in der Entertainment noch Glamour bedeutete und die Stars nicht wie Eintagsfliegen wechselten. Als Film-Diven noch wirkliche Grazie hatten und Genies wie Fred Astaire noch den verdienten Ruhm ernteten. Diesen nostalgischen Blick wirft er auf das gealterte Tanzpaar Amelia und Pippo, die in eben jener Zeit ihre Erfolge feierten und nun nicht mehr als ein verstaubtes Relikt aus einer anderen Zeit darstellen. So werden die beiden geringschätzig behandelt und sind irritiert von der konfusen, gehetzten Planung des Fernsehteams.
Obwohl sie mit den neuen Bedingungen nicht zufrieden sind wollen die beiden eine letzte Galavorstellung geben, was ihnen trotz negativer Vorzeichen durchaus gelingt. Ein letztes Mal stehen sie im vertrauten Rampenlicht, doch Pippo denkt bereits darüber nach, auch als Fernsehmoderator zu arbeiten. Auch seine Seele beginnt das Fernsehen zu verschlingen.
Das der Film eine Herzensangelegenheit aller beteiligten Personen war, wird schon an den überdeutlichen biografischen Parallelen der beiden Hauptdarsteller klar: Auch Marcello Mastroianni und Giulietta Masina geben eine Art Abschiedsvorstellung. Mastroianni („Das süße Leben“), über Jahrzehnte einer der besten italienischen Schauspieler und häufiger Hauptdarsteller Fellinis, war zwar bis zu seinem Krebstod 1996 noch in einigen weiteren Filmen zu sehen, durfte aber niemals wieder einen so liebevoll kreierten Charakter darstellen. Masina („Julia und die Geister“), die ebenfalls schon seit den frühesten Filmen eine beliebte Besetzung Fellinis war, spielte anschließend nur noch in dem Drama „Benjamin“ eine Hauptrolle und setzte mit ihrer Meisterleitung in „Ginger und Fred“ einen würdigen Schlusspunkt für ihre Karriere.
Mastroianni und Fellinis damalige Ehefrau Masina glänzen in allen Szenen, ergänzen sich durch minimale Gesten und spielen mit Hingabe genau das was sie sind: Alte Freunde und Partner. Schon Mastroiannis markante Gesichtsausdrücke und seine mürrische Zurückhaltung rufen zu Begeisterungsstürmen auf, grantig, fluchend, trinkend und desillusioniert interpretiert er seine Figur und legt genauso wie seine Partnerin all sein Können in die Wagschale und läuft ein letztes Mal zur Höchstleistung auf. Masina legt ihren Charakter zärtlicher annuanciert spiegelt sich in ihrem Mienenspiel die schmerzlich schöne Erinnerung an ihre Glanzzeiten und die Angst vor einer leeren Zukunft, von der sie nichts mehr zu erwarten hat. „Ginger und Fred“ ist auch die Geschichte ihrer unerfüllten Liebe: Einst trennte sich Amelia von Pippo doch innerlich verbindet die beiden eine tiefe Zuneigung, die über bloße Verliebtheit weit hinausgeht. Dennoch trennen sich letztendlich ihre Wege - ihr Schicksal bleibt ungewiss doch ihre große Zeit ist für immer vorbei.
Doch Fellini wäre nicht Fellini, würde er die eigentlich tieftraurige Geschichte schwermütig und verkopft inszenieren: Mit leichter Hand maßregelt er eine stimmige Mixtur aus lauter Satire und leiser Melancholie, verpackt in einer bunten Farbdramaturgie. Das Fernsehen ist der Niedergang der Unterhaltungsindustrie, so die vordergründige Botschaft, die mit zügelloser Radikalität vorgetragen wird. Einen Höhepunkt finden die Attacken gegen die Verdummungsmaschinerie Fernsehen in einer bemerkenswert drastischen Szene, in der eine Frau vorgeführt wird, die gegen ein Preisgeld eine zeitlang auf Fernsehkonsum verzichtete. Wie eine religiöse Fanatikerin verkündet sie lauthals, dies wäre die schlimmste Zeit ihres Lebens gewesen, von nun an werde sie soviel fernsehen wie möglich um die Qualen der Entbehrung nicht spüren zu müssen – begleitet von tosendem Applaus aus der gesichtslosen Masse des Publikums. Auch die absonderlichen Figuren dienen der Veranschaulichung der neuen, verrohten Unterhaltung: Geschmacklosigkeit und Übersexualisierung wohin das Auge blickt. Selbst als Amelia in ihrem Hotelzimmer durch die Kanäle zappt, begegnet ihr nur stumpfsinnige Unterhaltung, fußend auf Gewaltverherrlichung und plumpen sexuellen Anzüglichkeiten, wovon sogar die Werbung durchtränkt ist.
Diese Sequenzen sind durchzogen von einem sardonischen Humor, mit dem sich Fellini mit Verachtung auslässt und seinen Standpunkt überdeutlich untermauert. Grelle, künstliche Farben vermitteln einen synthetischen Eindruck des Fernsehstudios, welcher von den surrealistischen Einrichtungsgegenständen und dem bizarr anmutenden Equipment sowie von den geschmacklos designten Kostümen dick unterstrichen wird. Diesem harten Zynismus steht dagegen immer wieder die zärtliche Erinnerung, personifiziert in Amelia und Pippo. Genauso irritiert wie die beiden Altstars in der ungewohnten Umgebung fühlt sich teilweise auch der Zuschauer, vor allem da Fellini zwar narrativ ein Leitmotiv verfolgt, jedoch immer wieder abschweift in detailverliebte Einzelszenen, dramaturgisch löst sich der Film an einigen Stellen auf, nur um wieder an anderer Stelle den Handlungsfaden dezent weiter zu führen. Trotz dieser unkonventionellen dramaturgischen Gestaltung schafft es Fellini, wie eigentlich beinahe immer, durchweg einen hohen Unterhaltungswert aufrecht zu halten und keine Einzelheit banal wirken zu lassen.
Der Film will nicht aufbegehren gegen die wachsende Vorherrschaft der gehaltlosen, schnell produzierten Fernsehunterhaltung. Fellini teilt uns seinen Unmut mit, doch lässt seine Sympathieträger einsam ihren Weg gehen und betrauert die Goldene Ära kreativer Unterhaltung in den 1940er und 50er Jahren. Bevor die Revolution den vierundzwanzigstündig abrufbaren Stumpfsinn in die Haushalte der Welt brachte und das Publikum abstumpfte in Bezug auf eigene Zerstreuung. Die kitschigen Dekorationen und die inhaltliche Leere des abgespulten Programms verweist auf die Anspruchslosigkeit, mit der das Publikum mittlerweile jeden Müll bedenkenlos und ohne eigene Reflektion konsumiert. Fellini selbst hatte bereits rechtliche Auseinandersetzungen mit dem italienischen Privatfernsehen und kelterte seine aufgestaute Wut in diese intensive Abrechnung mit seinem vielleicht schlimmsten Feind. Die Dreharbeiten wurden erschwert durch den zwiespältigen Gesundheitszustand des Regisseurs, weshalb auch die Premiere mehrfach verschoben wurde. Es sollte auch Fellinis Abschied vom narrativen Kino bedeuten, der mit „Intervista“ und „Die Stimme des Mondes“ anschließend nur noch zwei sehr experimentelle Werke schuf.
Fazit: „Ginger und Fred“ ist ein unterschätztes Meisterwerk Fellinis, der im Alter nicht seinen satirischen Biss verloren hat sondern gegen Ende seiner Karriere hiermit seinen aggressivsten und vielleicht bittersten Film überhaupt abgeliefert hat. Entertainment ist Kunst und das Fernsehen pervertiert diesen edlen Grundgedanken auf abscheuliche Weise. Dieses Statement ist heute, in Zeiten zahlloser Talk-Shows, Telenovelas und Reality-Soaps wohl wichtiger denn je.
9,5 / 10