Krisenherd London
"28 days later" hatte vor etwa 5 Jahren das Genre des Zombiefilms nicht nur wiedererweckt, sondern samt seines inhaltlichen Potentials in die heutige Zeit übertragen. Der Engländer Danny Boyle kreierte dabei eine neue Ästhetik jenseits des trashigen Zombiesplatters und schuf ein Genre-Meisterwerk, das mutig aus dem Schatten der legendären und bis heute prägenden "Living Dead"-Trilogie von George A. Romero trat. Die gelungene Fortsetzung "28 weeks later" führt die Idee konsequent fort und ist kurz gesagt der Film, der Romeros 2005 nachgeschobener vierter Teil "Land of the Dead" gerne gewesen wäre: Ein bedrohliches aktuellpolitisches Statement.
"28 weeks later" zeigt, wie man ein Erfolgsrezept weiterführt, alte Stärken imitiert und dabei trotzdem neue Akzente setzt. Die Macher des Vorgängers sind nunmehr Produzenten des Films, während die Regie auf den Spanier Juan Carlos Fresnadillo überging, der 2001 mit dem Thriller "Intacto" bereits Originalität bewies.
I
Doch nun zum Film selbst: Die Handlung setzt da an, wo der Vorgänger aufhörte. England wurde von einem Virus befallen, das die Menschen in tollwütige, zombieartige Bestien verwandelt. Wenige Wochen später ist praktisch die gesamte Bevölkerung dahingerafft oder infiziert und weitere Wochen später sind alle Infizierten verhungert. Eine von den Amerikanern geführte Nato-Schutztruppe besetzt daraufhin das Land und startet eine Neubesiedlung, beginnend im innersten Bezirk der Londoner Innenstadt. Während das Militär unter hohen Sicherheitsvorkehrungen den Rest der Stadt von den Leichen säubert, kommt das normale Leben im "District 1" langsam in Gang. Der Film dreht sich um eine Familie, die hier zusammenkommt: Der Vater hat als einer von wenigen die Seuche überlebt und trifft endlich seine Kinder wieder. Doch auch die Mutter, während der Seuche infiziert, taucht plötzlich auf - wie es scheint, ist sie gegen das Virus immun, trotzdem aber infektiös. Es kommt wie es kommen muss, die Seuche bricht erneut aus und das Militär verliert die Kontrolle. Die mühsam aufgebaute Siedlung zerfällt in Chaos, bis das Militär schließlich die totale Ausrottung anordnet.
Man erkennt bereits am Plot, dass ein konkreter politischer Bezug vorhanden ist. Leider wird dieser nicht bis zum Ende aufrechterhalten, man kann daher den Film grob in zwei Abschnitte unterteilen.
II
Der hervorragende erste Abschnitt (nach dem Prolog) widmet sich ganz der Schilderung des Krisengebiets und der Eskalation. Detailliert wird geschildert, wie unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen versucht wird, ein normales Leben in einer toten Stadt wiederherzustellen. Wir denken an die wirklichen "Wiederaufbaumissionen" der Nato. Geradezu beiläufig spricht der Film das Thema Überwachung an. Zur Sicherheit der Neubesiedler ist nämlich der komplette Bezirk mit Überwachungssystemen und hoher Militärpräsenz ausgestattet. Das erscheint zunächst sinnvoll und positiv - Sicherheit durch Kontrolle - doch da sind dann eben auch die Scharfschützen, die sich nachts die Zeit damit vertreiben, mit ihren Zielfernrohren in die Schlafzimmer der Zivilisten zu spähen. Und tatsächlich, so zeigt es die dramatische Wende des Films, ist eine perfekte Überwachung nicht möglich. Nachlässigkeit und unvernünftiges Handeln untergraben das System und führen in die Katastrophe. Als der Vater erfährt, dass seine Frau noch lebt, geht er zu ihr und infiziert sich schließlich. Was folgt, ist ein beispiellos eindringliches Protokoll der Eskalation. Das Militär versucht, die Situation unter Kontrolle zu bringen, dämmt die Zivilisten ein. Doch die Tollwütigen greifen um sich, der Schießbefehl wird ausgesprochen. In der Unübersichtlichkeit der Panik wird schlussendlich auf alles geschossen, was sich bewegt. Beklemmend ist das, weil es erschreckend real dargestellt wird. Wie weit darf militärische Gewaltanwendung im Notstand gehen? Wie sehr kann man überhaupt auf den Ernstfall vorbereitet sein? Wer trägt die Verantwortung? "28 weeks later" spitzt dieses moralische Dilemma bis zur Ausrottung tausender Menschen mittels Bomben und Chemiewaffen zu.
Umso schwerer wiegt deshalb der Verlust des politischen Subtextes im zweiten Abschnitt des Films. Der Regisseur Fresnadillo macht, nachdem er seine eindrucksvoll grimmige Krisenschilderung mit der Vernichtung abgeschlossen hat, mit einem harten, apokalyptischen Survival-Schocker weiter. Ein solches Zugeständnis an Splatterfans und die konventionelle Horrorfilmdramaturgie trägt im Lichte des vorher gezeigten einen etwas faden Beigeschmack. Hier wäre mehr Mut zur Aussparung wünschenswert gewesen. Außerdem schleichen sich da und dort Logikfehler ein, die jedoch verzeihlich bleiben. Die wenigen Charaktere, die noch übrig sind, kämpfen sich recht blutig durch die Zombiemassen, Helden dürfen sich opfern, und die Zerstörung der familiären Geborgenheit als klassisches Horror-Motiv darf auch nicht fehlen. Das Ende ist eigentlich schon ein Genre-Klischee.
III
Nichtsdestotrotz hält der Film in ästhetischer Hinsicht sein konstant hohes Niveau. Die Inszenierung orientiert sich stark am Vorgänger, der durch den frischen Soundtrack und seine rohe Nachrichtenbilder-Optik überzeugte. Hier gilt noch deutlicher das Prinzip der Unübersichtlichkeit. Die Montage erzeugt eine permanente Hektik, die Kamera sucht immer wieder nahe Bildausschnitte, bleibt kaum in Ruhe. Zeit für lange Panoramaaufnahmen eines menschenleeren Londons bleibt kaum. Ebenso wenig allerdings bleibt für eine epische Ausformulierung von Action und Brutalität. Vieles, insbesondere die mitunter drastischen Gewaltspitzen werden eher durch die Tonspur suggeriert als deutlich gezeigt. Das ist schließlich das ästhetische Konzept: Der Zuseher soll sich erst gar kein vollständiges, abgeschlossenes Bild des Geschehens machen können. So entsteht die diffuse Beklemmung des Films, weil man keine Distanz, keinen "Blick von oben" auf das Ausmaß der Situation oder der Gewalt aufbauen kann. Das mag beunruhigend sein und ist damit aber näher an der Wirklichkeit, als der gewöhnliche Genre-Film. Denn wenn wir tagtäglich in den Nachrichten die Krisenbilder sehen, dann können wir all die dargelegten Probleme auch nicht voll überblicken. Sowas zu glauben wäre naiv. Das geschlossene Bild gibt es höchstens im Kino. So gesehen erzählt "28 weeks later" bereits nur in seinen Bildern von der Ohnmacht der zivilisierten Menschheit gegenüber der Eskalation von Gewalt oder humanitären Katastrophen.
IV
Im direkten Vergleich würde ich "28 days later" immer noch als den besseren Film ansehen, wenngleich "28 weeks later" ein sehr guter Film ist. Ersterer besitzt das stärkere, eindringlichere Finale, während letzterer gegen Ende eher abflacht. Zudem kopiert die Fortsetzung viele Stilmittel, ist also nicht mehr so originell. Dafür ist er inhaltlich direkter: Während "28 days" eher Grundsatzfragen über die Natur des Menschen, die Zivilisation und deren wackeliges Fundament aufwarf, gibt sich "28 weeks" politischer, konkreter und verleiht seinem Inhalt durch angemessen inszenierte Gewaltspitzen Nachdruck, obwohl sich das gegen Ende eher erschöpft und ins Unnötige abdriftet. In dieser Hinsicht ist "28 days" das konsequentere Werk. Für einen aktuellen Horrorfilm allerdings ist "28 weeks" erfrischend intelligent, wo doch das Genre momentan mit fragwürdigem Schwachsinn à la "Saw", "Hostel", "TCM" und Konsorten überschwemmt wird.