Review

Es ist sicherlich kein Zufall, dass durch einen Film namens "Spellbound" die eigentliche Handlung von Sweet Revenge zwar nicht gleich initialisiert, aber zumindest entscheidend verändert und dadurch auch vorangetrieben wird.
Zwar handelt es sich nicht um Hitchcocks Ich kämpfe um dich - Original, dass dabei zu Rate gezogen wird, sondern um einen fiktiven chinesischen Schwarz/Weiss Film, aber die entsprechende Szene weist in Ausführung und Thema eindeutige Referenzen zu.
Auch hierbei ist ein wachsendes Interesse an der Psychoanalyse zu vermelden; [G. W. Pabst' Freudsche Fallstudie Geheimnisse einer Seele [ 1926 ], Premingers Frau am Abgrund [ 1949 ], Mankiewicz' Plötzlich im letzten Sommer [ 1959 ] sowie natürlich Bergmans suggestive Persona und Das Schweigen als die mit aussagekräftigsten, zum Teil auch verstörendsten Arbeiten über das Kino im Kopf und den Bereich des Unterbewusstseins, der fern der Kontrolle des Verstandes liegt.]

Ein hohes Ziel, dass sich Regisseur und Autor Ho Ping [ The Rules of the Game, Motel Erotica, Wolves Cry Under the Moon ] da gestellt und im Rahmen eines meditativen Thrillerdramas entwickelt hat. Eine Erzählung, die sich vortäuschend um Schizophrenie, Psychose, Depression, Manie und Demenz bemüht, diese Gemütsräume aber weder zur moralischen Qualifikation noch zum Blick hinter die trügerische Oberfläche, sondern vielmehr für einen delirisch-schleichenden katharsischen Prozess nutzt. Die Interpretation fern von Symbolen, Gleichnissen und verdichteten Fantasien, sondern im blutarmen Gedankengerüst vorgetragen.
Bar suggestiver Schattenseiten und Abgründe formiert sich hierbei eine Ablösung aus Abhängigkeiten, die mit einer Erlangung von Selbstständigkeit, dem Erreichen des Erwachsenenalters und dem Infragestellen von natürlichen Bezugspersonen einhergeht. Ein weitläufiges, aber nicht unbedingt ausholend eingehendes Therapieverfahren mit zerbrechlich-transparenten Anteilen einer Emanzipations-, Generations-, Liebes- und Mysterygeschichte. Ohne radikale Fragestellung, realistische Antworten und aufgeregtem Psychoterror, sondern mit dem bedachtsamen, aber stoisch-monotonen Einblick in verlorene Illusionen, verschwundene Narben, gestrige Andenken und ferne Rückblenden:

Die heranreifende Yung [ Fan Bing Bing ] lebt nach dem Tod ihrer Eltern noch bei ihrem Adoptivbruder Cheung Siu Chun [ Nick Cheung ]. Dieser war in ihrer Kindheit eine Weile verschwunden; währenddessen hat sich seine nunmehrige Frau Ho Lok [ Li Tong ] freundschaftlich um das gleichaltrige Mädchen gekümmert. Yung, die an einer chronischen Krankheit leidet und zu festen Zeiten Medizin nehmen muss, sucht nach einem Halt in ihrem Leben und findet ihn im alkoholsüchtigen, doppelt so betagten Ching Sing [ Anthony Wong ], bei dem sie eines Tages eine verschollen geglaubte Kamera mit den Initialen ihres Vaters entdeckt. Die Spätfolgen einer lange zurückliegenden Tragödie brechen auf.

Vor allem der Bereich von Verdrängung und Erinnerung nimmt einen grossen Platz im ruhig, fast phlegmatisch erzählten Kammerspiel ein. Ein Verwirrtwerden, ein Sinnen und Nachdenken, dass sich wie zufällig zu heimlichen, bald aber drängenden Nachfragen und dem Wiedererleben verborgener schmerzlicher Gefühle ausweitet und zu einer Vermischung der Realitätsebenen führt. Materiell ähnlich gleichmütig wie der abgeklärte Confession of Pain, allerdings ohne dessen formale Raffinesse. Keine Assoziationsmontage, Szenenvariationen, Off-Bemerkungen oder achronologische Textpartien. Dementgegen mit langen, sehr zögernden, klaustrophobischen Einstellungen inszeniert und in zweiseitig-isolierten Erzählperspektiven unterteilt verzichtet Ho Ping auf eine rein oberflächliche Spannungsstruktur; muss dabei aber auch in Kauf nehmen, dass er nicht viel mehr als seine gebändigten, fast kleinlauten Darsteller - noch dazu ohne greifbarer Identität - zur Hand hat, um etwaiges Interesse zu schüren.

Die Aufmerksamkeit wird statt auf Thrill, Beunruhigung und Aufregung auf unwesentliche Objekte und einen parallen Plotstrang im Randbereich gelenkt. Dialogszenen sind trocken, scheinbar ziellos, vom zentralen Thema getrennt und bisweilen ermüdend dramatisch wie nichtssagend gehalten. Die asketischen Bewegungen so entspannt, dass sie bereits wieder immens kraftraubend wirken. Kleinig- und Alltäglickeiten wie das Hantieren mit dem Spritz- und Tablettenbesteck oder das Knarzen des Ledersofas wachsen zu gefühlten Ewigkeiten aus. Jegliches Personenverhältnis wirkt gleichsam unnahbar und in kontrollierten Deutungsmustern festgefroren; die Umarmungen kühl, die Emotionen in heimlichen Tränen verborgen, die Erfahrungen nur in Worten und nicht in Taten mit dem Mitmenschen geteilt. Eigentlich lebt Jeder sein leeres Leben; sein Gegenüber, der Mitmensch, gar der Ehepartner vollbringt nicht nur keine Zeit, sondern weiss auch so gut wie Nichts über den Anderen. Man trifft sich nur zu Anlässen, 2x wird Geburtstag gefeiert, aber man könnte ebensogut eine Totenmesse abhalten. Man unterhält sich nicht über die Gegenwart, sondern nur die Vergangenheit, die für alle Beteiligten ein Buch mit sieben Siegeln darstellt. Eine Antiquität, für Manche uninteressant, lebenswichtig oder lieber für Immer geschlossen. Die prägende Rolle der frühen Kindheit noch nachträglich als Ursache und Triebfeder für typische Verhaltensmuster, die selbst posthum die Gesamtpersönlichkeit verändern.

45 Minuten braucht der Film, um analog dazu über die anfängliche Unschärfe einer verquälten Kunstanstrengung hinauszulangen und sich von einem spröd-unzugänglichen, integrativtherapeutisch unausgegorenen Fremdkörper in ein distanziertes Konversationsstück mit ökonomisiertem Gefühlshaushalt zu formieren. Oberflächlich betrachtet geschieht kaum etwas Aussergewöhnliches, doch filigrane Andeutungen und saubere Darstellerleistungen ergeben plötzlich eine dünne, aber zumindest erkennbar gerade Linie, die mehr geduldig als genau zu der angestrebten Erinnerung verdrängter Inhalte führt. Die Kamera, die Yung aus ihrer Kindheit kennt, dürfte gar nicht mehr existieren; sondern sollte in dem Brand zerstört worden sein, der nach einem Raubüberfall auch ihre Eltern tötete. Die Frage, wie sie zu Ching Sing kam wird nun ebenso entscheidend wie die Ungewissheit, die seit jeher ihren Adoptivbruder umgab. Wieso kann sich dieser nie an Einzelheiten erinnern, wieso war er jahrelang verschwunden und kümmert sich nun rührend um Yung ? Was hat es mit seiner Angst vor jedwegen spitzen Gegenständen auf sich ? Und an welcher Krankheit leidet sie ? Und warum jubelt Ho Lok ihrer Busenfreundin einen Film über Doppelgängermotiv, dissoziative Identitätsstörung und Schizophrenie unter ?

Wer das Alles aufgelöst wissen will, muss entweder vorspulen, Spoiler lesen oder sich auf eingeschlafene Füsse einstellen: Der Weg zu Entdeckung und Beeinflussung vollzieht sich nicht über eine ereignisreiche Verkettung bewegender Momente, sondern über geschlossene, stabil gefügte, nahezu statische Systeme, die keine aktive Teilnahme zulassen. Abseits einer kargen pseudo-wissenschaftlichen Argumentation erreicht man auf Seiten des Zuschauers so nur wenig Identifikation, Einfühlung und entsprechend auch begrenzte Gefühlsreaktionen; da nützen selbst reglose menschliche Gesichter in addierten Grossaufnahmen nur wenig. Zu überkonzentriert die Versuchsanordnung. Zu zerwirkt, portioniert und vakuumisiert.

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