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Die Götterdämmerung

Obwohl nur in einer Szene, im betrunkenen Zustand von Konstantin von Essenbeck (Reinhard Koldehoff) auf der Feier der SA gesungen, Wagners Musik erklingt – der „Liebestod“ aus Tristan und Isolde - hat Luchino Visconti seinen Film "La caduta degli dei" nach dem 4.Tag (3.Aufzug) des "Ring des Nibelungen" benannt. Dafür lassen sich vielfältige Gründe nennen - Adolf Hitlers Begeisterung für Wagners Musik und damit deren Bedeutung für die Nationalsozialisten, die Parallelen in der Schilderung einer Führungselite, die sich durch Machtgier selbst zerstört, und Viscontis grundsätzliche Affinität zur Oper, die seine Film-Inszenierungen prägte. Schon die flammenden Aufnahmen aus dem Stahlwerk zum Beginn und am Ende des Films, von orchestralem Furor begleitet, erinnern an die Unterwelt, in der Alberich den Unheil bringenden Ring schmiedete.

Schwer nachvollziehbar ist dagegen, warum der auch mit deutschen Produktionsgeldern hergestellte Film hierzulande den Titel "Die Verdammten" erhielt, außer man wollte eine zu große Nähe zu Wagners Oper vermeiden. So stimmig diese Bezeichnung im ersten Moment klingen mag, angesichts der Geschichte über eine Industriellen - Familie, die mit den Nationalsozialisten paktiert, so wenig ist sie im Hinblick auf Viscontis Intention korrekt. Eine Verdammnis setzte voraus, dass die Mitglieder der Familie von Essenbeck wegen nicht mehr beeinflussbarer äußerer Faktoren zu ihrem Handeln gezwungen gewesen wären. Viscontis "Götterdämmerung" impliziert aber das Gegenteil, denn hier agieren Menschen, die sich selbst für die maßgebende Instanz halten und Verantwortung für ihr Handeln tragen müssen. Der nationalsozialistischen Ideologie alleine die zerstörerische Kraft zuzuschreiben, hieße dagegen, diese von ihren Vertretern zu trennen. Denn um sie geht es generell in "la caduta degli dei", nicht allein um die Familiengeschichte der Von Essenbecks.

Dass sich diese an der Industriellen-Familie Krupp orientierte, die von Essen aus den Stahlkonzern zu einem der größten Unternehmen Europas aufbaute und maßgeblich an der Rüstungsindustrie während des Nationalsozialismus beteiligt war, ist hinlänglich bekannt, bildet aber nur den äußeren Rahmen für die Handlung. Auch wenn Bertha Krupp und ihre Nachkommen, nach ihrer Hochzeit mit dem preußischen Diplomaten Gustav von Bohlen und Halbach 1906, ebenfalls einen Adelstitel erhielten, weist die sonstige Familienkonstellation keine weiteren Parallelen zu der des Drehbuchs auf. Es ist der Faszination Viscontis für die deutsche Kultur zu verdanken, das er die Handlung nach Deutschland ins Ruhrgebiet des Jahres 1933 verlegte und damit seine „Deutsche Trilogie“ begann, die mit „Morte a Venezia“ (Tod in Venedig, 1971) und „Ludwig II.“ (1972) in thematisch unabhängigen Filmen ihre Fortsetzung fand.

Der tatsächliche Anlass für „La caduta degli dei“, der ursprünglich in Viscontis Heimatland spielen sollte, lag für den Regisseur in der damaligen Gegenwart, denn er erkannte bei vielen seiner Zeitgenossen nach wie vor die selbe Denkweise, wie sie zur Zeit des Faschismus vorgeherrscht hatte. Ende der 60er Jahre, gut 20 Jahre nach dem Ende des 2.Weltkriegs und damit der faschistischen Diktatur, entstanden die Konflikte auf Grund der Auseinandersetzung einer jungen Nachkriegsgeneration mit Denjenigen, die nach dem Krieg wieder schnell zur Tagesordnung übergegangen waren. Es ist deshalb falsch, wie es häufig interpretiert wurde, „La caduta degli dei“ als ausschließlich historischen Film zu betrachten, auch wenn Visconti atmosphärisch genau die Zeit kurz nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten erfasste und sich hinsichtlich des Reichstagsbrands und des sogenannten „Röhm-Putschs“, den die SS zum Anlass nahm, den unbequem gewordenen Röhm und viele Mitglieder der SA zu ermorden, an die zeitlichen Abläufe hielt.

Betrachtet man Viscontis zuvor gedrehte Filme, kommt der Schritt zu „La caduta degli dei“ keineswegs überraschend. Schon „Il gattopardo“ (Der Leopard, 1963) wies in der Darstellung eines sich wandelnden Italiens auf den späteren Faschismus hin. Und in „Vaghe stelle dell’Orsa…“ (Sandra, 1965) entsteht der Konflikt aus der Konfrontation zweier junger Erwachsener, die nach Jahren zur Ehrung ihres jüdischen Vater in ihr Heimatdorf zurückkehren, mit einer Mutter, die ihren Mann während des Faschismus nicht nur verriet, sondern ihre Haltung seitdem nicht veränderte. Selbst „Lo straniero“ (Der Fremde, 1967), eine Verfilmung nach Albert Camus’ Novelle, verstand sich als unmittelbarer Kommentar zu den Ereignissen der Gegenwart, weshalb „La caduta degli dei“ auch in dieser Hinsicht betrachtet werden sollte – als ein Werk, dass in der hier formulierten Verschmelzung von Wirtschaft und Politik einen der infamsten Momente des Machtmissbrauchs in den Mittelpunkt stellte, und dass dank seiner stilistischen Mittel - einer schwelgerisch opernhaften, bewusst mit Übertreibungen arbeitenden Inszenierung, die Visconti zudem die Gelegenheit gab, seinen jungen Lebensgefährten Helmut Berger kongenial zu besetzen – auch den Bogen zur Gegenwart schlug.


Die „Nazi-Oper“

Die Story selbst ist einfach erzählt und verläuft, ähnlich einer Operninszenierung, linear und in verschiedene, zeitlich abgesetzte Akte aufgeteilt. Die Familienfeier zum Geburtstag des Oberhauptes Joachim von Essenbeck (Albrecht Schönhals) endet mit dessen Ermordung. Zuvor nutzt Visconti die Zusammenkunft aller Familienmitglieder, diese detailliert vorzustellen. Gleich zu Beginn erfasst die Kamera den grobschlächtigen Sohn Konstantin, der sich selbstbewusst auf dem Höhenflug wähnt. Als Offizier der SA ist er der Einzige in der Familie, der schon frühzeitig den Nationalsozialisten beitrat und sich nach Hitlers Machtergreifung vor wenigen Wochen bestätigt sieht. Seine Figur scheint das Klischee des lärmend, brachialen Nazis zu erfüllen, dem sein musisch veranlagter Sohn Günther (Renaud Verley) fremd ist, aber das hieße Visconti zu unterschätzen, denn tatsächlich handelt es sich bei dem nach Außen so direkt auftretenden Schwergewicht um einen Verlierer, der die tatsächlichen Vorgänge nicht begreift. Auch wenn Ernst Röhm bei der SA-Veranstaltung in Bad Wiessee verhaftet und nicht durch die SS ermordet wurde, orientiert sich die Figur des Konstantin von Essenbeck an ihm – nicht nur in der Statur, sondern auch in dem soldatischen Gestus, dem das Gefühl für politische Ränkeschmiede fehlte.

Dieses hingegen besitzt Konstantins Schwester und Tochter des Familienoberhauptes Sophie von Essenbeck (Ingrid Thulin), die eine Liebesbeziehung mit Frederick Bruckmann (Dirk Bogarde), dem Betriebsleiter der Firma, eingegangen ist. Dieser befindet sich noch auf dem Weg zur Villa der von Essenbecks, in Begleitung von Aschenbach (Helmut Griem), mit dem er ein Gespräch über seine Beziehung zu Sophie führt. In diesem Moment wirkt Aschenbach noch wie ein Begleiter, der einem Freund Mut zuspricht, doch der SS-Mann in Zivil ist mit seinen Plänen schon viel weiter. Er wird an diesem Abend den Mord an dem Familienoberhaupt arrangieren, den Bruckmann in Abstimmung mit Sophie ausüben wird und für den er als Zeuge deren Cousin Herbert Thallmann (Umberto Orsini) beschuldigen wird, der sich durch Flucht der Verhaftung der SS entziehen kann. Damit wiederholt Aschenbach nur den Vorgang, der zuvor schon als Meldung in die Familienfeier hineinplatzte – der Reichstagsbrand, der der NSDAP durch eine falsche Anschuldigung ermöglichte, die bürgerlichen Rechte in Deutschland außer Kraft zu setzen.

Herbert Thalmann, der gemeinsam mit seiner Frau Elisabeth (Charlotte Rampling) und ihren beiden kleinen Töchtern zu der Geburtstagsfeier gekommen war, ist das einzige Familienmitglied, dass vehement gegen die Nationalsozialisten argumentiert, weshalb es zwischen ihm und Konstantin fast folgerichtig zum Disput kommt, worin Viscontis Intention deutlich wird. Beide, die so lautstark ihre Position vertreten, spielen für die weiteren Vorgänge keine wesentliche Rolle mehr. Eine klare Haltung zu besitzen, unabhängig davon, ob sie humanistisch geprägt ist oder mit menschenverachtender Attitüde vorgetragen wird, ist für die Machtinteressen eher eine hinderliche Eigenschaft. Besonders deutlich wird der Verrat an den angeblichen Idealen der Nationalsozialisten in einer beeindruckenden Szene, die Visconti als 15minütige Sequenz komplett in Deutsch beließ, während die Darsteller sonst italienisch sprechen. Es handelt sich um die Feier der SA in Bad Wiessee Ende Juni 1934, die Ernst Röhm im Rahmen des Urlaubslagers seiner Truppen veranstalten ließ.

Viscontis wurde häufig vorgeworfen, die Feier sei in ihrer dekadenten, offen homosexuellen Gestaltung mit schönen, gut gebauten Jünglingen zu sehr stilisiert, zu wenig an der Realität orientiert. Abgesehen davon, dass Ernst Röhm sich frühzeitig zu seiner Homosexualität bekannt hatte – was Adolf Hitler zusätzlich nutzte, dessen Hinrichtung zu begründen – liegt das Gewicht der Szene weniger in der durch die Homosexualität nur noch betonten Männerkameradschaft, als in den gemeinsamen Gesängen. Nachdem sie sich in Wehrsportübungen gemessen hatten oder im nahe gelegenen See schwimmen waren, lässt Visconti minuten- und strophenlang das SA-Lied und das Deutschlandlied erklingen. Auch Adolf Hitler und die Partei lassen die SA-Männer hochleben, so wie sie ihre gemeinsamen Feinde beschimpfen, aber das ändert nichts daran, dass sie in den frühen Morgenstunden alle von den Maschinengewehren der SS niedergemäht werden. Visconti inszenierte dank dieser Hochstilisierung die Selbstzerstörung eines nationalsozialistischen Ideals und machte deutlich, dass dieses nur zu Propagandazwecken und der Rekrutierung der Massen benötigt wurde. Die inneren Mechanismen einer Diktatur bleiben dagegen immer gleich und offenbaren die ideologischen Argumentationen als hohles Gerede, dass jederzeit auch gegen gleich gesinnte Kameraden verwendet werden kann, wenn diese sich zu weit vorwagen.

Bis zu diesem Zeitpunkt spielt Sophies Sohn Martin von Essenbeck (Helmut Berger), Enkel des ermordeten Familienoberhauptes, nur eine untergeordnete Rolle, denn für eine Machtposition in dem Familienunternehmen kommt er nicht in Frage. Im Gegenteil irritiert Martin mit seiner Travestie-Nummer aus Anlass der Geburtstagsfeier die konservativen Familienmitglieder und hinterlässt auch sonst einen unreifen Eindruck. Einzig seine machtbewusste Mutter, die ihre Hochzeit mit Bruckmann vorbereitet, um so die Führung zu übernehmen, hält seine Hand über ihn und bewahrt ihn auch davor, wegen seiner pädophilen Neigungen eingeliefert zu werden. So zurückhaltend Helmut Berger im Umgang mit den Mädchen spielt, so verstörend sind diese Szenen, weshalb seine Figur, auch wegen ihrer Entwicklung zum späteren SS-Mann, als dämonisch und besonders widerwärtig angesehen wird.

Doch Martin ist keine selbstständig handelnde Person, sondern obsessiv von Kontrolle abhängig. Als er sich bei seinen regelmäßigen Besuchen bei der leichtlebigen Olga (Florinda Bolkan) zur Verführung der kleinen Tochter der Nachbarin hinreißen lässt, die darauf hin Selbstmord begeht, gerät er in die Hände der SS. Wenn ihm der eloquent lächelnde Aschenbach erzählt, dass er gar kein Verbrechen begangen hätte, da es sich bei der kleinen Lisa (Irina Wanka) um ein jüdisches Mädchen gehandelt hätte, dann spürt man, wer das wirkliche Monster ist. Bruckmann, der sich zunehmend schuldig fühlt, und Sophie von Essenbeck sind ihm zu selbstständig geworden, aber wahrscheinlich hatte Aschenbach die Option, Martin als zukünftigen Firmenchef einzusetzen, schon von Beginn an in Betracht gezogen. Auch der Versuch von Sophie, sich ihm anzubiedern – eine Gelegenheit, die Aschenbach dazu nutzt, ihr zu zeigen, das alle Deutschen unter Beobachtung stehen – ändert daran nichts.

Das Martin die Trennung von seiner Mutter, deren Verhältnis inzestiöse Züge trägt, mit ihrer Vergewaltigung vollzieht, womit er die bisherige Abhängigkeit zerstört, erscheint sehr plakativ in der Darstellung eines psychisch kranken Menschen, der fast folgerichtig zum brutalen Handlanger der SS wird. Diese provokante Sichtweise fügt sich aber nicht nur stimmig in das gestalterisch opulente Gesamtbild von „La caguta degli dei“ ein, der in seinem Mut zur Übertreibung und Plakativität von hohem Unterhaltungswert ist, sondern beschreibt Martin letztlich als einen Charakter unter Vielen, die innerhalb eines restriktiven, diktatorischen Systems nur zum Verlierer werden können.(10/10)

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