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Aus der heutigen Sicht, neigt man dazu, das Genre des Poliziesco als Zeiterscheinung anzusehen. Als Reaktion auf die Ereignisse in Italien – beginnend mit den Massenstreiks, Studentenunruhen und Bombenattentaten, Ende der 60er Jahre – zogen auch die Polizieschi zunehmend die Gewaltschraube an, ließen immer brutalere Gangster auf kompromisslosere Polizisten treffen und erhöhten den Takt an unterschiedlichen Kriminalitätsarten. Begriffe wie Selbstjustiz oder das eigenmächtige, die Gesetze außer Acht lassende, Handeln der Polizei, gehörten von Beginn an zum Standardvokabular des Genres, das besonders dank seiner gewalttätigen, sich nicht um Differenzierungen bemühten Vertreter, heute in die Nähe des Trash gerückt wird – auch von seinen Anhängern, die den Poliziesco dafür lieben.

Anders als ein Film wie „La polizia ringrazia“(Das Syndikat, 1972), der die gesellschaftliche Situation in unterschiedlichen Facetten analysierte, waren Umberto Lenzis Polizieschi plakativ, direkt und wenig subtil, aber sie kamen einer Realität sehr nahe, die aus heutiger Sicht nur noch schwer vorstellbar ist. Das gilt besonders für „Roma a mano armata“ (Die Viper), der an den italienischen Kinokassen nicht allein wegen seiner Action so erfolgreich war, sondern weil es kaum einem anderen Poliziesco gelang, so umfassend und unmittelbar die damalige Situation in Italien zu erfassen. Alleine schon die Eingangssequenz, die mehr als zwei Minuten zu treibender Musik durch Rom (und an seinen Bankfilialen vorbei) führt, versetzt den Betrachter mitten in die Stadt, lässt ihren Atem, ihre Unruhe, aber auch ihre Unübersichtlichkeit spüren – ein Gefühl, das weder Dokumentationen, noch heutige Glanzbilder mehr vermitteln können.

Der deutsche Titel „Die Viper“ bezieht sich auf Vincenzo Moretto (Tomas Milian), genannt „Il gobbo“ (Der Bucklige), der einer Schlange gleich, leise und wendig, seine Pläne verfolgt, aber die Auseinandersetzung zwischen ihm und Commissario Tanzi (Maurizio Merli) ist nur der rote Faden, an dem entlang Lenzi seine eigentliche Story von einem „Rom in der Hand von Waffen“ erzählt. Nicht nur, das ein Verbrechen das nächste ablöst, auch Tanzi befindet sich – trotz der Größe der Stadt – immer am Ort des Geschehens. Ob zwei Jugendliche die Handtasche einer Frau mit dem Motorrad stehlen oder nachts eine Gruppe gelangweilter Bürgersöhne eine junge Frau vergewaltigen, ob eine Autopanne zum Diebstahl genutzt wird, ein Drogendealer seinem Opfer den „goldenen Schuss“ verpasst oder Bankräuber ihre Flucht mit Geiseln erpressen wollen – Tanzi ist da. Mit unwiderstehlicher Energie verfolgt und überwältigt er die Täter. Die von ihm dabei häufig angewendete körperliche Gewalt, mit der er bestraft oder Geständnisse zu erzwingen versucht, hat nichts Berechnendes an sich, wirkt nie kalkuliert, sondern ist Ausdruck ehrlicher Wut.

Mit dieser nur in ihrer Komprimierung unrealistischen Betrachtungsweise, traf Lenzi nicht nur den Nerv seiner Zeit, sondern stellte mit der Besetzung von Maurizio Merli noch den Mann ins Geschehen, der sich seit seiner Rolle als Commissario Betti in „Roma violenta“ (Verdammte heilige Stadt, 1975) als Lösung angeboten hatte. Doch Lenzi vergibt hier keinen Freifahrtschein für Selbstjustiz, sondern führt in seinem Film exakt die Diskussion, die Mitte der 70er Jahre auch in der italienischen Gesellschaft geführt wurde. Diejenigen, die seine Methoden in Frage stellen, sind keine bornierten, abgehobenen Bürokraten, sondern die Menschen, die ihm am nächsten stehen – sein langjähriger Kollege Caputo (Gianpiero Albertini) und seine Freundin Anna (Maria Rosaria Omaggio), Juristin für Jugendkriminalität. Selbst als die zwei jugendlichen Handtaschenräuber, die Tanzi wenige Tage zuvor festgenommen hatte, auf der Flucht nach einem erneuten Diebstahl tödlich verletzt werden - nachdem Anna ihre Freilassung erwirkt hatte - kann er sich ihrer Argumentation, dass diese auch im Gefängnis keine Zukunft gehabt hätten, nicht völlig verschließen. Denn Tanzi handelt keineswegs nach dem Prinzip „Auge um Auge“, sondern wandelt ständig auf dem schmalen Grat zwischen seinen Emotionen und der Einhaltung polizeilicher Regeln, deren Änderung er im Sinne einer effektiveren Verbrechensbekämpfung gegenüber seinem Chef Ruini (Arthur Kenndy) vehement einfordert – eine bis heute aktuelle Diskussion. Lenzi in diesem Zusammenhang vorzuwerfen, er gäbe einfache Antworten, ist falsch, denn obwohl der Commissario mit seinen Methoden einige Täter aus dem Verkehr ziehen kann, entsteht nie der Eindruck von Ruhe oder einer echten Lösung – zu schnell wechselt „Roma a mano armata“ von einem Tatort zum nächsten.

Dank Tomas Milians Rolle als Vincenzo, genannt „Il gobbo“, entsteht in Lenzis Film zudem eine Komplexität unterhalb des scheinbar plakativen Geschehens. Milian variierte damit seine Rolle aus „Milano odia: la polizia non può sparare“ (Der Berserker, 1974), nur handelt er hier noch planvoller und unauffälliger. Auch seine politischen Anspielungen verfeinerte er noch, etwa als er einem knausrigen Hehler das Angebot, er ,der Reiche, sollte ihm, dem Armen, mehr Geld geben, als „historischen Kompromiss“ („compromesso storico“) verkauft. Eine Anspielung auf die Annäherung von Enrico Berlinguer, dem Vorsitzenden der Kommunistischen Partei Italiens, an die konservative christliche Partei unter Aldo Moro, zum Zweck der Verteidigung der Demokratie gegenüber den immer stärker werdenden extremen Kräften. Das „Il gobbo“ sein Angebot mit einer tödlichen Gewehrsalve unterstreicht, hat angesichts der kommenden Ereignisse beinahe einen prophetischen Anstrich.

Auch die Behinderung seiner Figur, sollte nicht nur die Fallhöhe zwischen scheinbarer Harmlosigkeit und verbrecherischer Gesinnung vergrößern, sondern wird von Milian so überzeugend gespielt, das es ihm gelingt, zeitweise Empathie für diesen Menschen zu erzeugen. Tanzi muss zudem erfahren, das seine aktionistischen Methoden bei ihm nicht greifen, denn „Il gobbo“ lässt sich nicht einschüchtern, sondern schlägt erbarmungslos zurück. Es liegt nicht wenig Ironie in der Tatsache, das es klassische Ermittlungsmethoden sind, mit denen die Polizei schließlich an Vincenzo „Il gobbo“ Moretto herankommt. Und wenn am Ende dessen toter, gekrümmter Körper groß im Bild zu sehen ist, während Comissario Tanzi, der zuvor seine Gefährten verloren hatte, fast im Hintergrund verschwindet, dann vermittelt Lenzi nicht den Eindruck eines erfolgreichen Abschlusses, sondern eines letzten verzweifelten Versuchs. „Roma a mano armata“ kam damit der damaligen Gefühlslage in Italien sehr nahe – das er zudem äußerst unterhaltend wurde, war sicherlich kein Nachteil (9/10).

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