Review

Um einem außergewöhnlichen Künstler gerecht zu werden bedarf es eines ungewöhnlichen Ansatzes - dachte sich Regisseur Todd Haynes und schrieb und inszenierte mit I'm not there einen so experimentell-anstrengenden, wie auf seine Art faszinierenden Film.

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Weniger Biografie oder Portrait im herkömmlichen und gewohnten Sinne, ist I'm not there eher eine Annäherung an das Werk und die Person Bob Dylans und deren Facetten. Dies beginnt mit der Besetzung: nicht weniger als sechs Darsteller geben Dylan in verschiedenen Lebensphasen, geprägt von unterschiedlichsten Umständen, Sinneseindrücken, Wahrnehmungen seiner selbst und durch seine Umwelt. Keiner der Schauspieler trägt in seiner Rolle tatsächlich den Namen ‚Bob Dylan‘, ebensowenig ist der Handlungsablauf als solcher zu bezeichnen.

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Nach einer kurzen Eingangsmonatge mit einem Auftritt Dylans, der Szene eines Motarradunfalles und dem Musiker auf dem Sterbebett (was metaphorisch gemeint ist, der echte Dylan ist schließlich noch am Leben) und in der die verschiedenen Dylans mit einem entsprechenden Schlagwort kurz vorstellt werden, tritt der 11jährige Singer/Songwriter Woody Guthrie auf, gespielt von Marcus Carl Franklin. Dieser reist mit seinem Gitarrenkoffer durch's Land und redet für sein Alter enorm weise daher. Diese Episode beschreibt in satten Bildern und Farben Dylans musikalische Anfänge, auf die der Folksänger Guthrie (u. a. This Land is your Land, New York Town Blues) großen Einfluss hatte. Wie auch im Film zu sehen, besuchte Dylan Guthrie am Krankenbett und widmete ihm den Song to Woody, sowie das Gedicht Last Thoughts on Woody. Die Aufschrifft "This Machine Kills Fascists", die Woody/Dylan auf seinem Gitarrenkoffer trägt, zierte das Instrument des echten Guthrie. Der junge Marcus Carl Franklin spielt diese Verkörperung Dylans mit erstaunlichem Charme und ungehemmter Leichtigkeit und wirkt trotz sehr erwachsenen Wortgebrauchs und Gebaren nie überkanditelt.

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Ohne wirklichen (zumindest nicht explizierten) Erzählstrang wird die zweite Dylan-Inkarnation mit Namen Arthur Rimbaud bei einem Verhör gezeigt und immer wieder zwischengeschaltet. Ben Whishaw antwortet dabei als Rimbaud/Dylan in poetischem Wortlaut auf Fragen und ist damit Referenz an Bob Dylans Dichterpahse, die maßgeblich vom französischen, symbolistischen Dichter Arthur Rimbaud beeinflusst wurde. Whishaw, bei seinen kurzen Zwischendurchauftritten die ganze Zeit hinter einem Tisch sitzend zu sehen, ist ganz auf seine Mimik angewiesen und bietet ein nuancenreiches, aufgrund der Konstellation beinahe intimes Spiel als gleichgültig/philosophierender 19jähriger. Das reduzierte Setting, was sich in der Schwarz/Weiß-Darstellung fortsetzt, steht den farbigen Ausführungen dabei gegenüber.

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Dylans dritte Facette nennt sich Jack Rollins und wird für seine politischen Protest-Songs Anfang der 1960er von Folk-Fans verehrt, gefeiert und zum Helden einer Generation, ohne selbst darin Erfüllung zu finden. In pseudo-dokumentarischen Interviews kommen Rollins (fiktionale) Ex-Freundin Alice Fabien, gespielt von Julianne Moore, Produzenten und andere zu Wort, die sich zu ihm, seiner Musik und zu dem Menschen im Wandel äußern. Christian Bale liefert als Rollins/Dylan eine starke, wie vom Waliser gewohnt hingebungsvolle Performance die ihn später außerdem als geläuterten, zum Glauben gefundenen Priester John zeigt; nach einem skandalösen Auftritt bei einer Preisverleihung (bei der Rollins äußert, etwas von JFK-Mörder Lee Harvey Oswald in sich selbst zu sehen, wobei einige Sätze aus einer Rede Dylans bei einer ähnlichen Preisverleihung aufgegriffen werden). Vor den Kirchengängern performt er Pressing On, einen Song aus Bob Dylans vom Gospel beeinflussten Album Saved. Dieser Teil von I'm not there kommt durch den Doku-Stil und die gefakten Interviews so etwas wie einer biografischen Betrachtung am nächsten, wobei die gezeigten Personen jedoch, wie gesagt, fiktional bleiben.

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Im zugänglichsten Part des Films spielt Heath Ledger in einer seiner letzten Rollen den Schauspieler Robbie Clark, der in der Biografie Grain of Sand (Referenz an Dylans Lied Every Grain of Sand) den widerum zuvor von Bale gespielten Jack Rollins darstellt. Clark/Dylan begegnet im New Yorker Stadtteil Greenwich Village der französischen Künstlerin Claire, gespielt von Charlotte Gainsbourg. Die beiden verlieben sich, später fühlt sich Claire jedoch von Robbies frauenfeindlicher Attitüde abgestoßen (zum Beispiel behauptet er, Frauen könnten keine Poeten sein). Referenzen an Dylan finden sich in einem romantischen Lauf durch die Straßen New Yorks, der das 1963er Albumcover von The Freewheelin' Bob Dylan nachstellt, in der gescheiterten Ehe (Dylan ließ sich 1977 von seiner ersten Frau Sara scheiden) und Robbie's verzweifeltem Versuch, das Sorgerecht für die drei gemeinsam Kinder zu behalten. Ledger und Gainsbourg überzeugen in den Szenen der Annäherung ebenso wie in jenen der Entfremdung, stilistisch ähnelt die Montage dem klassischen, auf eine persönliche Tragödie zusteuernde Romantik-Melodram.

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Cate Blanchett, die für ihre Leistung mit dem Golden Globe ausgezeichnet und für den Oscar nominiert wurde, spielt Dylan als Jude Quinn einerseits auf dem Höhepunkt seiner Karriere, andererseits beim heftigste Kontroversen innerhalb der Folk-Gemeinde auslösend, als er sich der kommerziellen Rock/Popmusik zuwendet. Hier nun wird I'm not there in grobkörniger Schwarz/Weiß-Optik und mit einigen surrealen Einlagen am wenigsten greifbar, aber auch stellenweise humorvoll, etwa wenn Quinn/Dylan mit den Beatles über eine Wiese tollt und die vier Liverpooler anschließend von kreischenden Damen gejagt werden. Dagegen stehen Dylans Abgründe des Ruhms: der BBC-Kulturreporter Keenan Jones (der Name ist Dylans Ballad of a Thin Man entliehen) attakiert Quinn, ebenso wie die aufgebrachten Fans, die ihrem ehemaligen Helden Verrat an dessen politischen Idealen vorwerfen und auf der Bühne sogar handgreiflich werden. Später deckt Jones Quinns wahre Identität auf, ähnlich wie es 1963 die Zeitschrift Newsweek tat. Blanchett und Bruce Greenwood als Journalist liefern sich hier ein Duell auf hohem Niveau und spielen sich enorm ausdrucksstark gegenseitig gegen die Wand.

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Der sechste und letzte Dylan wird von Richard Gere gespielt und ist angelehnt an das Selbstverständnis des Künstlers als Outsider und seinen Wunsch, ungewollter Öffentlichkeit zu entfliehen: Billy the Kid lebt zurückgezogen in einem kleinen Kaff und lässt den Westen im Glauben, Pat Garrett habe ihn getötet. Später begegnen sich die beiden und Garrett (gespielt von Bruce Greenwood) inhaftiert Billy/Dylan, dieser kann allerdings aus dem Gefängnis fliehen, springt auf einen Zug und findet einen Gitarrenkoffer mit der Aufschrift "This Machine Kills Fascists"... Mit einem Vogelstrauß und einer Giraffe mitten im Wilden Westen, sowie Visionen vom Vietnamkrieg, ist diese Episode aus Dylans Leben geradezu psychedelischer Natur, darüberhinaus aber auch Anlehnung an Sam Peckinpahs Western-Klassiker Pat Garrett and Billy the Kid, in dem Dylan eine kleine Rolle spielte und dessen Soundtrack er komponierte.

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Trotz der sehr speziellen Herangehensweise, die Todd Haynes zur Findung Bob Dylans wählt, hat I'm not there etwas universelles. Dylan als Mensch in stetigem Wandel zu begreifen, der sich über Veränderung ständig selbst neu findet und erfindet, könnte ebenso als Abhandlung über den Menschen als Wesen mit dem Willen zum Werden und dem Zweifel am Bleiben im Allgemeinen dienen. Dies hätte vielleicht mit nur einem Darsteller funktionieren können, hätte bei dem Reichtum an Facetten aber wohl konstruierter gewirkt, als es der Film in vorliegender Form tut, was wahrlich etwas heißen will. Allerdings ergeben die Episoden dank ungemein geschickten Schnitts tatsächlich einen Film, der im Gesamten genau so funktioniert, der sich gegenseitig anhand der verschiendenen Dylans immer wieder kommentiert, hinterfragt und beantwortet, über die Songs des Künstlers ein durchgängiges Bindeglied besitzt und mit seinen völlig unterschiedlichen Stilistiken dennoch eine gewisse Stringenz besitzt. Die sechs Dylans durchlaufen ihre Veränderungen als natürlichen Prozess, was auch über eine Lauflänge von über zwei Stunden nicht nur als inszenatorische Versuchsanordnung zu interessieren, sondern auch zu unterhalten weiß. Es mag sehr viel einfachere Formen geben, selbst komplexe Persönlichkeiten herauszuarbeiten und darzustellen. Zugute halten muss man I'm not there, dass es letztlich aber kaum bessere gibt.

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