Die Geschichten über den Waisen und Zauberer Harry Potter zeichnen sich dadurch aus - Achtung an alle aufstrebenden Fantasy-Autoren (!) - dass sich die von Buch zu Buch ausbreitende Zauberwelt, die auf den ersten Blick so anders erscheint, als alles, was uns Muggles bekannt ist, im Grunde kaum von unserer Welt unterscheidet. Es gibt Schulen, Krankenhäuser, Gefängnisse, Pubs, Merchandising und mit dem Quidditch eine dem Fußball als Äquivalent gegenüberstehende weltweit beliebte Sportart, inklusive WM.
Wo der gängige Fantasy-Stoff sich spätestens seit den hochwertigen Ergüssen eines gewissen englischen Literaturprofessors in mittelalterähnlichen Welten verliert, die mit dem heutigen Leben in etwa so viel gemein haben, wie Sauron mit Mickey Maus, kann sich wohl jeder in die magische Welt zwischen Hogwarts und Winkelgasse hineinversetzen. Rowlings Basis ist das alltägliche Leben, doch wird eben dieses bis ins kleinste Detail magisch aufgeladen, um von begeisterten Lesern wieder entdeckt zu werden.
Sicher entsteht ein Großteil des Humors der Bücher und Filme durch die Konfrontation zweier Welten. Der Leser/Zuschauer nimmt zwar die Perspektive der Zauberer ein und blickt auf unsere „abnormale" Mugglewelt mit einiger Belustigung. Doch nutzt Rowling, deren Stärke die satirische Charakterzeichnung in der Tradition Dickens' ist, die Zaubererwelt als Spiegel unserer Gesellschaft. So gibt es mit dem Tagespropheten eine an Tabloids erinnernde Zeitung, deren Methoden in Teil 4 (Harry Potter and the Goblet of Fire) genüsslich ausgeweidet und bloßgelegt werden.
In Harry Potter and the Order of the Phoenix nimmt Rowling u.a. die staatliche Bürokratie und die recht häufig damit verbundene Willkür, sowie die ebenso mannigfaltig daraus entstehende Unfähigkeit unter die Lupe. Das macht weder Buch noch Film zur Satire, schließlich dreht sich besonders in Teil fünf alles um Harry (Daniel Radcliffe) und seine mit der Pubertät einhergehenden Seelenqualen.
Jener Lieblingszauberer aller Teenager wird noch in den Ferien von Dementoren angegriffen, muss dann mit der Vertuschung des Vorfalls durch das Zaubereiministerium leben, versucht trotz allem die Welt davon zu überzeugen, dass der Dunkle Lord zurückgekehrt ist, sieht sich mit einer tyrannischen Beamten des Ministeriums als neuer Lehrerin konfrontiert und sein Mentor/Vaterersatz Dumbledore würdigt ihn keines Blickes. Achja, Harrys erster Kuss findet irgendwo im Plot auch noch statt.
Harter Tobak für einen Fünfzehnjährigen!
Rowling verwandelte all diese Konflikte in das längste und schwächste Buch der Serie. Kinodebütant David Yates nahm sich des Stoffes an und heraus kam der kürzeste und zumindest bisher zweitbeste Film der Reihe. Numero uno ist noch immer Alfonso Cuaróns Prisoner of Azkaban, auch wenn die Entscheidung schwer fällt.
Nach dem enttäuschenden vierten Teil von Mike Newell, der wie ein mit Spezialeffekten überladener, unbeabsichtigter Episodenfilm wirkte, dessen Macher weder dazu imstande waren, den komplexen Plot elegant zu trimmen, noch dem Werk künstlerische Inspiration zu injizieren, sehnte sich der ein oder andere Fan nach einem Regisseur mit Cuaróns Fähigkeiten.
David Yates, der zuvor durch die hochgelobte Serie State of Play und den TV-Film The Girl in the Café (beide mit Bill Nighy) aufgefallen war, ist kein zweiter Cuarón. Dennoch ist er ein unschätzbarer Gewinn für die Harry Potter Franchise. Ursprünglich wegen seines Talentes im Umgang mit Schauspielern und seiner Fähigkeit zur Verknüpfung einer Story mit einem größeren politischen Hintergrund angeheuert, verleiht er seinem Order of the Phoenix etwas, das weder Chris Columbus, noch Mike Newell geschafft hatten:
Einen eigenen visuellen Stil, welcher dem Geist und der Atmosphäre der Bücher gerecht wird.
Unterstützt wird er dabei von drei weiteren Potterneulingen: Drehbuchautor Michael Goldenberg, Komponist Nicholas Hooper und Kameramann Slawomir Idziak (Black Hawk Down, Trois Couleurs: Bleu).
Wer die anderen Potterfilme kennt, mag sich vielleicht an den positiven Schock erinnern, den die ersten, Handkamera-dominierten Bilder des Prisoner of Azkaban beim Chris Columbus-übersättigten Zuschauer ausgelöst hatten. Ähnlich verhält es sich mit dem neuen Film.
Beginnend mit (für einen Potter) extremen Kamerawinkeln und einer Farbgestaltung, welche uns die brennende Sonne der ersten Szene förmlich spüren lässt, erfolgt ein dermaßen abrupter Wechsel zu einer hektischen Wackelkamera, als Harry mit seinem Cousin vor einer drohenden Gefahr flieht, dass man für kurze Zeit geneigt ist zu fragen, ob man sich im Kinosaal geirrt hat. Hier verschwinden die Grenzen zwischen der Muggle- und der Zaubererwelt, als die alles überschattende Gefahr in die Vorstadtidylle eindringt. Nach diesen ersten Szenen wissen wir, dass die Kinderbuchzeiten vorbei sind.
Idziaks Kamera, welche die düstere Atmosphäre geschickt einzufangen weiß, begleitet auch Harrys emotionalen Kampf mit sich selbst. Fehlende Establishing Shots und die visuelle Isolierung Harrys von seinen Freunden wirken sich schließlich sogar positiv auf Daniel Radcliffes erstmals akzeptable Schauspielleistung aus. Leider fällt diesmal Emma Watson (Hermine) negativ auf. Es reicht eben nicht, mit den Augenbrauen zu spielen und jeden noch so belanglosen Satz dermaßen übertrieben zu betonen, dass man glaubt, es handele sich um einen Gedichtvortrag in der siebten Klasse.
Schauspieler sind allerdings das geringste Problem der Harry Potter-Filme und in Order of the Phoenix tummelt sich wieder einmal alles, was die britischen Inseln an Talent zu bieten haben. Man muss sich die Namen einmal auf der Zunge zergehen lassen: Michael Gambon, Emma Thompson, Gary Oldman, Alan Rickman, Ralph Fiennes, Helena Bonham Carter, Jason Isaacs, und, und, und...
Genug des name droppings. Zwar werden einige Charaktere vom Drehbuch sträflich vernachlässigt und auf wenige Sätze reduziert, dafür nutzt Yates andere wesentlich besser, als sein Vorgänger Newell. So bekommt Sirius Black endlich wieder etwas Farbe und Gary Oldman darf beweisen, dass er auch eine väterliche, sympathische Figur problemlos meistert. Selbst Dumbledore ist nach seiner plötzlichen Verwandlung in ein gewalttätiges Nervenbündel in Teil vier wieder in character. Die absoluten Glanzpunkte im Ensemble bilden aber Imelda Staunton (Vera Drake) und Alan Rickman.
Staunton spielt die Ministerialbeamte-wird-zur-Lehrerin Dolores Umbridge, ein einziger Albtraum in Pink. Begleitet von einem äußerst einprägsamen Thema, welches ihr Hooper auf den Leib geschrieben hat, errichtet sie innerhalb kürzester Zeit ein jegliche Meinungsfreiheit einschränkendes, prüdes Regime im ehemals freiheitlichen Hogwarts. Ihre unzähligen Erlasse werden von Yates (zu unserer Freude) genüsslich in flotten Montagen aneinandergereiht und durch Zeitungsnachrichten effektreich mit der Außenwelt und der Politik des Zaubereiministeriums verbunden.
Bald wird klar, dass die Wahrheit um Voldemorts Rückkehr wider jeder Vernunft geleugnet und auch vor drakonischen Maßnahmen zur Durchsetzung der eigenen Version der Geschehnisse nicht zurückgeschreckt wird. Der Zuschauer durchschaut Umbridges Fassade der beständig um Höflichkeit bemühten Tante von nebenan sofort und erblickt die herzlose, sadistische Bürokratin, die sich dahinter verbirgt mit einiger Freude.
Eine der besten, wenn auch kürzesten Szenen des Films ist Umbridges Konfrontation mit dem ewig säuerlichen Prof. Snape (Alan Rickman), als sie seinen Unterricht inspiziert. Die Art und Weise, wie Alan Rickman seine vor Abscheu triefenden Worte ausspuckt ist göttlich und beweist einmal mehr seine Qualitäten als scene stealer.
Glücklicherweise leidet Harry im fünften Schuljahr auch noch an erschreckend realitätsnahen - und extrem schnell und gut geschnittenen - Albträumen, so dass er Extrastunden mit Snape nehmen muss, um zu lernen, seinen Geist gegen eventuelle Eindringlinge zu verschließen. Nachdem Rickman unter Columbus und Newell vornehmlich auf reaction shots beschränkt war, hat er endlich wieder etwas zu tun und darf seinem Charakter etwas mehr Tiefe verleihen, die in Teil sechs und sieben notwendig sein wird. Sein Snape ist noch immer die bisher am besten realisierte Romanfigur der Potterbücher.
Man mag es vielleicht nicht erwarten, aber trotz der allgemeinen Düsternis und unterschwelligen Bedrohung gewinnen Yates und Goldenberg ihrem Film einigen Humor ab. So labt sich beispielsweise die Kamera an der grotesken Physis von Vernon Dursley (Richard Griffiths) oder Filchs fast schon comicartigen Bewegungen und wir laben uns an den Wortgefechten zwischen Ron und Hermine.
Natürlich lässt der Film einige wichtige Erzählstränge der Bücher aus und stutzt andere Szenen - wenn man die Entwicklung in den nächsten beiden Teilen bedenkt - geradezu ungesund zusammen. Wer die ersten vier Filme nicht gesehen hat und ignorant gegenüber dem unausweichlichen Potterhype ist, der wird Probleme mit Teil fünf haben, denn eine Exposition für Nicht-Kenner fehlt.
Yates gelingt dafür eine temporeiche, niemals langweilige und äußerst humorvolle Bestselleradaption, die ihrer Vorlage zwar treu bleibt, aber nicht vergessen hat, in welchem Medium sie sich befindet.
Der Halbblutprinz kann kommen!
Severus Snape: I may vomit.