Review

Mein Unmut über den misslungenen vierten Teil war noch frisch, als ich von der Ernennung David Yates' zum neuen "Potter"-Regisseur erfuhr. David wer? Schon wieder ein Wechsel auf dem Regiestuhl, der langsam wie ein Schleudersitz anmutet. Flugs recherchiert, wuchs das Unbehagen erneut: Bis dato fast ausschließlich fürs englische Fernsehen tätig gewesen, der Gute.
War man sich in der Produktionsfirma inzwischen so sicher ob der selbstgängerischen Natur der Filmreihe, dass nun auch auf einen kostspieligen Regisseur und eine vernünftige inszenatorische Vision verzichtet werden konnte? Würde nun flache Mattscheibenästhetik den Alltag unseres Zauberlehrlings bestimmen? Oder, hoffnungsvoll gedacht, würde hier vielleicht ein unbeschriebenes Blatt die Chance nutzen, anhand eines solchen Prestigeprojekts sein Talent zu beweisen?

Dem einen oder anderen Leser mag es schon anhand der Bewertung aufgefallen sein:  Für mich trifft letzteres zu. Mit ruhiger Hand bündelt Yates die Fülle des umfangreichsten Bandes zum bislang kürzesten Film der Serie.
Und, oh Wunder, dennoch erweckt sein Werk zu keinem Zeitpunkt den gehetzten Eindruck, den Newells Film in jeder Szene hinterließ, was aber auch, das muss fairerweise erwähnt werden, der zerfahrenen Vorlage geschuldet ist, die sich für inhaltliche Straffungen förmlich aufdrängte.
Rowling selbst hat des öfteren erwähnt, dass sie mit dem Schreiben des fünften Bandes so ihre Probleme hatte, häufig schon am Rand der Schreibblockade balancierte. Und so geriet ihr der "Orden des Phönix" zum gedehntesten, manche Fans würden sogar sagen, langweiligsten Buch. Doch gerade hier lag nun die Chance, mit einem Film das Wesentliche zu destillieren. Wusste man bei den Vorgängern gar nicht, welche der fantasiereichen Episoden der Bücher zuerst Federn würde lassen müssen, um eine halbwegs familienfreundliche Laufzeit zu garantieren, so kann Yates hier nun bewusst eindampfen. Und wie er dampft. 
Umbridges pädagogische Maßnahmen an Harry und seinen Freunden, die sich in der Vorlage bei nur geringem Vorantreiben der Handlung über unzählige Kapitel streckten, werden von ihm in gelungenen Montagen gerafft, die neben einer Menge Humor auch noch viel vom Schulalltag in Hogwarts zeigen. Ein Punkt, der im Vorgängerfilm auch sträflich vernachlässigt wurde, in meinem Bewertungsspektrum aber ganz weit oben rangiert. Die Aufgabe der Filme ist es vorrangig, Harrys Welt zum Atmen zu bringen. Yates ist glücklicherweise imstande, Rowlings Fantasie und ihren Blick für Details auf die Leinwand zu übertragen. Bei ihm verwandeln sich Papierflieger in Schwalben, ärgert Filch die Insassen der Wandgemälde, und die Zeit, uns die bemitleidenswerten Opfer von Fred und Georges Zaubersüßigkeiten zu zeigen, nimmt sich der Film auch noch. Es sind diese Details, die das Besondere der Vorlage ausmachen, und ihr Fehlen im Vorgängerfilm mit seiner sklavischen Handlungs-Abarbeitung machte auch dessen Schwäche aus. Sicher, auch Yates lässt vieles fallen, aber durch richtige Gewichtung aller Elemente ist es nicht spürbar. Oder, anders gesagt, durch Yates' Entscheidung, überhaupt zu gewichten.
Wer an Details wie Luna Lovegoods Familie interessiert ist, der soll gefälligst die Bücher lesen, dafür sind diese Wälzer nun einmal da. Auf der Leinwand muss nach anderen Regeln gespielt werden, und so wird hier alles dem Leitmotiv des inneren Gleichgewichts untergeordnet. Harry fragt sich, wieviel Gutes und wieviel Böses in ihm steckt, ob ihn das Schicksal unumkehrlich an das Böse ketten und somit von seinen Freunden entfremden wird. In der Vorlage breitet sich dieses innere Hadern auf dutzenden Seiten aus. Raum, den eine Verfilmung nicht bieten kann. Doch wenn Harry mit Luna eine Herde Thestrale beobachtet und sie ihm erklärt, dass diese Tiere besser als ihr Ruf, halt nur ein wenig speziell wären, schlicht missverstanden, dann trifft der Film mit dieser kurzen Szene genau den Ton der Vorlage.
Die Serie wechselt also auch auf der Kinoleinwand erfolgreich vom Kinder- ins Jugendterrain, ohne Einbußen beim magischen Flair. Pubertät ohne einsetzende Ernüchterung; genau für so etwas haben wir doch das Kino. Da vermisst man nicht einmal das Quidditch.

Zur Machart muss eigentlich nicht mehr viel gesagt werden, die Potter-Maschine schnurrt gut geölt vor sich hin, ein Rädchen greift ins andere, Effekte und Produktionsdesign sind immer noch Oberklasse. Die Schauspieler können ihre Rollen mittlerweile im Schlaf aus dem Ärmel schütteln, da muss ich nicht mehr groß ins Detail gehen. Erwähnt sei nur, dass Daniel Radcliffe inzwischen rundum in seiner Rolle aufgeht und mir hier erstmalig richtig gut gefallen hat, was aber auch an Harrys gewachsener Bedeutung liegt. War er zuvor immer mehr der Beobachter, der mit uns gemeinsam diese wundersame Welt erkundet hat, so gewinnt er hier deutlich an Profil.
Neuzugänge gibt es handlungsgeschuldet natürlich auch wieder zu vermelden, unter denen besonders Imelda Staunton als hassenswerte Dolores Umbridge, Evanna Lynch als dezent abwesende Luna Lovegood und Helena Bonham Carter als Bellatrix Lestrange punkten können. Carter hat zwar nur sehr wenig Screentime, aber ihr exaltiertes Spiel macht das locker wett. Und wo wir schon bei chronischen Kurzauftretern sind: Alan Rickman kann man gar nicht genug loben, mit Freuden ist für den nächsten Film seine Snape-Show zu erwarten. Wie auch insgesamt dem "Halbblut-Prinzen" hoffnungsvoll entgegen geblickt werden kann.

Fazit:

Um einen adäquaten Abschluss für meine Besprechung zu finden, begab ich mich ins Ministerium für Floskeln und Phrasendrescherei. Und tatsächlich, in dessen immensem, staubigem Archiv wurde ich auch fündig:

Du weißt, dass eine Verfilmung geglückt ist, wenn du zufrieden aus dem Kino kommst, ohne die zahlreichen inhaltlichen Aussparungen vermisst zu haben. Jedes Medium hat seine Regeln. Ein Buch ist ein Buch. Und ein Film ist ein Film. Wer das versteht, dem gelingen gute Adaptionen.

Yates hat verstanden. Und arbeitet derzeit schon am sechsten Film. Erstmals kann ich im Vorfelde aufatmen.

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