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Programmchefin Katy ist jung, gutaussehend (Eva Mendes) und ehrgeizig. Da passt es doch nur allzu gut, wenn ihr an miesen Quoten kränkelnder Sender geradezu nach einem einzigartigen Fernsehereignis schreit, das die Massen zurückbringt. Da Katy sowieso immer schon hoch hinaus wollte, um in die Geschichte einzugehen, kann die zu produzierende Show gar nicht extrem und kontrovers genug sein. Als eine Mitarbeiterin nach einigen verworfenen Vorschlägen die scherzhafte Bemerkung fallen lässt, dass die Leute wohl am liebsten sehen würden, wie jemand sich eine Kanone an den Schädel setzt und Russisches Roulette spielt, springt Katy sofort darauf an.

Unter den geschockten Blicken aller Umstehenden verfolgt die zielstrebige Programmchefin nun die Realisierung dieser interessanten Sendung, begleitet von einem Kamerateam, das den Weg von der Idee zur Liveshow dokumentarisch begleitet. Durch den digitalen Look, die Kameraschwenks, die viele Schnitte ersetzen sowie die direkte Einbeziehung der Kamera ins Geschehen ("turn the camera off!") wird der Zuschauer in die Handlung miteinbezogen und ist mittendrin statt nur dabei.
Der Weg zum Ziel ist für Katy steinig: Werbepartner müssen überredet, der Senderboss umgarnt, der Anwalt des Senders gewonnen werden, die Sendeerlaubnis für die Show einzuholen. Doch das alles kann die Powerfrau nur mäßig beeindrucken, denn mit ihrer Sturköpfigkeit, ihrem Durchhaltevermögen und ihrer Ausstrahlung (nicht aber ihrem Körper, solche Klischees gibt's hier nicht) setzt sie sich durch. Ohne finanzielle oder rechtliche Grundlage lässt sie ihre Leute den Ablauf der Show erarbeiten und Castings der Teilnehmer einberufen. Doch niemand will ihr zusagen: Todessehnsüchtige Goths, krebszerfressene Alte und blutgeile Marines sind nicht das, was der Zuschauer sehen will: Nein, es müssen Menschen vorsprechen, die sich nie und nimmer erschießen würden! Wo bliebe sonst die Dramatik? Also wird die Belohnung (für die Überlebenden natürlich...) auf fünf Millionen Dollar pro Kopf erhöht und bald schon finden sich geeignete Kandidaten.
So medienkritisch, wie der Film begonnen hat, geht es nun mit der Vorstellung eben dieser sechs potentiellen Selbstmörder weiter: In MTV-typischen Clips werden in Schubladen gepresste Klischeefiguren vorgestellt, die auch in Sendungen eben genannten Senders vorkommen könnten: Das blonde Dummchen, das mal ein Hollywoodschauspieler werden will, der Ex-Collegeguy und abenteuergierige Extremsportler und ein Immigrant, dem, weil das Ganze noch nicht spanischstämmig genug wirkt, eine Mariachiband in den Hintergund gestellt wird. Doch sie alle toppt Rick. Seit zwei Generationen wird die Farm vom Vater zum Sohn vererbt, um in ehrlicher, amerikanischer Arbeit aufrechtzuerhalten, was der Großvater als Einwanderer erbaute. Doch die Ernte war schlecht und sein Sohn, der jetzt lachend durchs Bild tollt und von der weinenden Mutter gestreichelt wird, musste eine schwierige und teure Operation durchstehen, da sein Leben am seidenen Faden hing. Das Geld fehlt und Live! (so der Name der Show) tritt als Lebensretter zur Seite.
Diese seltsame Moralverdrehung wird in kitschigsten Schmalzbildern präsentiert und schlägt prompt ein: Ob deren grundamerikanischer Werte können die Werbevertragspartner nur kapitulieren und geben ihre Einwilligung in das Projekt. Der widerwillige Senderanwalt wird auch überredet, indem an seine eigene Karrieregeilheit appeliert wird, der schon sämtliche Mitarbeiter der Show verfallen sind: Der ehemalige Woodstockgänger wird zum Verfechter einer Selbstmordshow und setzt deren Ausstrahlung durch, indem er auf die freie Selbstentfaltung der Teilnehmer sowie die große Zustimmung innerhalb der Bevölkerung pocht - und gewinnt.
Schließlich ist es soweit: Live! wird gesendet und der Zuschauer ist live dabei. Die vorher eindeutig und unverblümt übermittelte Kritik, der der Zuschauer natürlich vorbehaltlos und mit grimmiger Inbrunst zustimmt, wird für ihn zum Stolperstein, wenn er bemerkt, wie geil er selbst auf die Show ist: Wen trifft die Kugel, wer überlebt? Das Adrenalin pumpt nur so durch den Körper, wenn der Finger am Abzug zuckt. Hier zeigt der Film seine Stärke: Da bricht das Girlie unter dem Druck des Pistolenlaufs nervlich völlig zusammen, während ihr naiv-fröhliches Gesicht von dem stylishen Großbildvideo herunterscheint, doch man will nur sehen, ob die Kugel ihr Ziel findet. Schon ist man die in die Falle zugeschnappt und man fiebert mit und nimmt das Leid der Teilnehmer willig in Kauf. Als die Kugel ihr Ziel findet, wird einem dann plötzlich ganz anders.

Eine sehr geschickt konzipierte und umgesetzte Mockumentary, die sich schließlich zur glitzernden, verführerischen Liveshow wandelt und dem Zuschauer seine eigene Sensationsgier vorführt, die er vorher noch bei anderen kritisierte. Auch Eva Mendes weiß als karrieregeile Powerfrau zu überzeugen und hat mich positiv überrascht. Einzig einige Sprüche, die die harte, unmoralische Wahrheit pointiert, bitter und bissig vorbringen sollen (wie es ja bei Mockumentaries üblich ist), sowie wenige übertrieben gezeichnete Szenen trüben das Gesamtbild etwas. Insgesamt ganz klar empfehlenswert!

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