„Unser Problem sind nicht mehr die Leute, die die Landesgrenzen überqueren. Es sind die Leute, die die Grenze zwischen Leben und Tod überqueren!“
Zwei Jahre nach seinem fulminanten Comeback mit „Land of the Dead“, der aus seiner stil- und genreprägenden Zombie-Trilogie eine Tetralogie machte, drehte George A. Romero den für rund zwei Millionen Dollar unabhängig produzierten „Diary of the Dead“. Der 2007 veröffentlichte Film bricht mit der Kontinuität der Reihe und stellt einen Neubeginn dar. Zudem handelt es sich um Romeros Beitrag zur seinerzeit (bzw. noch immer) grassierenden Found-Footage-Welle, einer der Gründe, weshalb er viel Kritik von einstigen Fans einstecken musste. Dabei ist „Diary of the Dead“ längst nicht so schlecht, wie er vielerorts beurteilt wurde, sodass ich manch Verriss auf eine falsche Erwartungshaltung zurückführe.
„Es gab nur noch uns: Blogger, Hacker, Computerfreaks.“
Eine Gruppe Filmstudenten dreht gerade in den Wäldern Pennsylvanias einen Amateur-Horrorfilm, als sich über die Medien die Nachricht von kannibalistischen Untoten verbreitet. In ihrem Wohnmobil fliehen die Freunde durch menschenleere Straßen, betreten Krankenhäuser, in denen niemandem mehr geholfen wird und treffen auf schwerbewaffnete Afro-Amerikaner ebenso wie auf die Nationalgarde – sowie kreuzgefährliche Untote, deren Bisse ihre Opfer zu ihresgleichen mutieren lassen. Jason (Joshua Close, „Der Exorzismus von Emily Rose“) versucht, so viel wie möglich davon mit seiner Handkamera und somit für die Nachwelt festzuhalten…
„Es gibt keine Erzengel mehr!“
Romero verwendet unausgestrahltes TV-Material einer Familientötung mit anschließender Zombiewerdung als Prolog, der aus dem Off von einer jungen Dame kommentiert wird, die man als Jasons Freundin Debra (Michelle Morgan, „Die Feuerschlange“) kennenlernen wird. Mit dem eigentlichen Beginn des Films befindet man sich am Set des Mumienhorror-Drehs „Der Tod des Todes von Jason“, an dem die Filmstudenten gerade arbeiten und an dem ein genresatirisches Streitgespräch über Horrorklischees entbrennt. Nachdem man die Kunde von den wandelnden Untoten vernommen hat, sucht Jason videodrehend Debra im Studentinnenwohnheim auf, bevor man gemeinsam als Gruppe vor den Zombies zu entkommen versucht. Romero versucht, gängige Found-Footage-Fehler zu umschiffen, indem er sie thematisiert: Debra regt sich immer mal wieder über die mitlaufende Kamera auf und hatte in der Einführung bereits zugegeben, den fertigen Film, den der Zuschauer gerade zu Gesicht bekommt, nicht nur geschnitten, sondern auch mit Sound etc. manipuliert zu haben. Zudem handelt es sich nicht nur um Jasons Material, sondern vielmehr um einen Dokumentarfilm aus verschiedenen Quellen wie Nachrichtensendungen, Überwachungskameras u.ä., der mit einigen weiteren Off-Kommentaren angereichert wurde. Romero tat gut daran, denn diese Art des Zusammenschnitts verschiedener Medien wird allein schon deshalb so schnell nicht langweilig, weil sie viel mehr zeigen kann – und Romero zeigt bekanntlich gern.
„Sind wir es wert, gerettet zu werden?“
Romeros Zombiefilme waren immer auch solche, die einen großen Reiz über ihre Spezialeffekte generierten. Auch in „Diary of the Dead“ serviert man voyeuristischem Publikum gelungene blutige Szenen, wenngleich man das SFX-Spektakel aus beispielsweise „Day of the Dead“ gar nicht erst zu übertrumpfen versucht. Neu hingegen ist der Humor, der sich des Weiteren nicht darin erschöpft, einen selbstironischen Blick aufs eigene Genre und dessen Klischees zu werfen. So treffen komödiantische Dialoge und Szenen wie die um einen wehrhaften Amish-Sektenanhänger auf einen kongenialen Brückenschlag zum Filmbeginn, als sämtliche anfänglich durch die Studenten für ihren eigenen Horrorfilm abgelehnten Klischees durch Zufall erfüllt werden. Bei der Reflektion kurz auf den Film veröffentlichter Rezensionen scheint dieser augenzwinkernde, auflockernde, nie zu alberne Humor kaum jemandem erwähnenswert gewesen zu sein, obschon er ein eindeutiges Indiz für Romeros Intention ist, einen neuen, von der bisherigen vierteiligen „…of the Dead“-Reihe unabhängigen Film zu schaffen, der deren Grimmigkeit nicht zu kopieren oder fortzuführen versucht.
Dennoch ist „Diary of the Dead“ inhaltlich weiterhin hart. Die Gruppe wird dezimiert, es kommt zu einem Familienbesuch der anderen Art und man wird von der Nationalgarde ausgeraubt. Rentner wollen nicht wahrhaben, was mit ihrer Familie passierte und verstecken die Zombiefizierten, was natürlich entsprechende Konsequenzen nach sich zieht. Und Kumpel Ridley (Philip Riccio, „Schwarzes Leder, heißes Blut II“), der verhinderte Mumiendarsteller aus dem Filmprojekt, nützen sein Reichtum und seine riesige Wohnung wenig, denn außer ihm sind dort alle tot. Jedoch muss er für einen Gag herhalten, als er nach seiner Infizierung durch einen Untotenbiss erstmals eine wirklich gute Mumie abgibt. Die Trockenheit, mit der Romero solch humoristische Szenen in die Handlung integriert, ist weit entfernt von der übertriebenen Albernheit manch Fun-Splatter-Vertreters o.ä. und läuft Stimmung und Tonfall des Films nicht diametral entgegen, der sich – wie bereits angedeutet – selbst gar nicht derart ernst nimmt, wie es anscheinend große Teile des Publikums taten.
Romero wäre nicht er selbst, hätte er die Gelegenheit ausgelassen, Gesellschafts- und Zivilisationskritik zu äußern. So verbreiten die offiziellen Medien die Unwahrheit, agiert die Nationalgarde alles andere als vertrauenserweckend und referieren die Schießübungen auf Zombies durch Sadisten auf das Ende von „Night of the Living Dead“, wobei sie hier ebenfalls den Schlusspunkt bilden, an den nur noch die oben zitierte Frage anknüpft. Zweifelsohne ist dies jedoch, und das ist einer meiner Hauptkritikpunkte an „Diary of the Dead“, absolut nichts Neues, sondern aus Romeros ursprünglicher Trilogie altbekannt. Innovativ war für Romero 2007, anhand dieses Films zeitgemäß die Bedeutung unabhängiger Medien und den Umgang mit Internet, Web 2.0 etc. zu verdeutlichen. Auf eine spannende Dystopie, wie er und sein Team sie für „Land of the Dead“ erdachten und damit den Faden der Trilogie weitersponnen, verzichtete man hier. In keinem Vergleich zu den Schauspielern aller vier vorausgegangenen Zombiefilme stehen auch die Darsteller, die an Charisma und Erinnerungswert derart arm sind, dass man sie in anderen Filmen evtl. nicht einmal als „die aus Diary…“ wiedererkennen würde.
„Diary of the Dead“ erweckt den Anschein einer Fingerübung Romeros, der irgendetwas zwischen einem eigenen Found-Footage-Film und einem Tribut an sich selbst erschaffen habe wollen. Das ist unterhaltsames Popcorn-Kino für Genre-Freunde, das immer noch dreckiger und härter als der Mainstream ist, dramaturgisch ohne Hänger auf den Punkt inszeniert wurde und in seiner Aussage nicht dumm, jedoch auch den Tiefgang und die Intensität der Tetralogie vermissend lassend ist, von der subgenre-evolutionären Wirkung der ursprünglichen Trilogie ganz zu schweigen. Den Tributcharakter in invertierter Form unterstreicht der Abspann, in dem Romero Kollegen wie Stephen King, Wes Craven, Guillermo de Toro oder auch Tom Savini als Nachrichtensprecherstimmten einsetzte.