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Gemessen an seiner historischen Bedeutung, seinen fatalen Folgen und seiner unglaublichen Dramatik gibt es sehr wenig Filme über den ersten Weltkrieg. Dieser Umstand ist in sofern nachvollziehbar, dass man mit dem Quasi-Tod eines Kontinents keine großen Kinos füllt, aber für eine filmische Umsetzung dieses Schlachtens viel Geld benötigt. Da beißt sich die Katze in den Schwanz und wir verabschieden uns gedanklich von dem großen Film über den „letzten aller Kriege“.

Umso erfreulicher ist es, dass es trotzdem noch einige Filme zu entdecken gibt, die sich des Themas annehmen und interessante Umsetzungen zustande bringen. Einer dieser Filme ist „Behind the lines“ von Gillies MacKinnon. Er nimmt sich mit seinem Werk, das auf einer literarischen Vorlage von Pat Barker basieren soll, nicht dem spektakulären Morden und Verwunden an, sondern widmet sich den seelischen Verletzungen der Frontsoldaten. MacKinnon zeigt uns in seinem Film ein schottisches Sanatorium für niedere Offiziersgrade, in dem vom Psychiater Dr. William Rivers kriegstraumatisierte Soldaten behandelt werden. Die Handlung spielt 1917, das heißt, Rivers heilt seine Patienten, um sie in den Krieg zurück zu schicken. An den Einblicken in die seelischen Qualen seiner Patienten und an der Doppelfunktion als heilender Arzt und tötender „Zurückschicker“ geht Rivers schleichend selbst kaputt.
Auch wenn das Sanatorium voll ist, konzentriert sich der Film neben dem Psychiater auf drei seiner Patienten. Der erste ist Siegfried Sasson, der aufgrund seiner Homosexualität und einem Aufruf gegen den Krieg der Heeresleitung ein Dorn im Auge ist, aber nicht so einfach „entsorgt“ werden kann. Sasson nimmt aus einer Position der Lebensverachtung jedes militärische Risiko auf sich und wurde zum Helden. Da kann man ihm nicht so einfach den Prozess machen.
Sasson schreibt Gedichte und inspiriert seinen Mitpatienten Wilfred Owen zum Niederschreiben seiner Kriegserlebnisse. Die zwischen beiden Männern bestehende, unerlaubte Zuneigung wird von beiden gespürt, aber nicht zur Kenntnis genommen. Owen wird geheilt entlassen, kehrt in den Krieg zurück und fällt. Sasson kehrt ebenfalls nach Frankreich zurück und macht weiter wie vorher. Er überlebt, wird aber sein Trauma nie überwinden.
Der dritte Patient ist Billy Prior, der nach unangenehmen Erlebnissen Sprache und Erinnerung verloren hat. Rivers kann ihn heilen. Auch die Liebe zu einem Mädchen kann Prior stabilisieren. Als er entlassen wird, bekommt er einen sicheren Bürojob und ist der einzige, der dem großen Schlachten glimpflich entkommen konnte.

MacKinnon hatte sicher keine wirtschaftlichen Mittel, um den Schrecken des Krieges in epischer Breite auszumalen. Diesen Umstand umgeht er geschickt, indem er den Zuschauer nur einen kurzen Einblick gewährt, was sich in den Schützengräben Frankreichs abspielt. Er zeigt die Symptome und überlässt den Rest der Phantasie. So wird nicht erläutert, was dem Soldaten widerfahren ist, der immer wieder mal nackt in den Wald geht, dort alle Tiere, derer er habhaft werden kann, umbringt und dann heulend im Kreise seiner Beute sitzt. Der Zuschauer weiß nur, dass es mit Sicherheit etwas Schreckliches war. Auch der Kamerad, der sein Essen erbricht, nachdem er einmal mit dem Kopf in einer verwesenden Leiche gesteckt hat, hilft, ohne dass die Szene gedreht werden musste, beim Begreifen des Horrors.

Die Szenen, die MacKinnon von dem Krieg dreht, sind sehr stimmungsvoll und ein knallharter Kontrast zu dem beschaulichen Leben im Sanatorium, dass trotz schottischen Regenwetters geradezu idyllisch wirkt gegen den Matsch Nordfrankreichs. MacKinnon spielt auch mit Kontrasten in der Medizin. Er zeigt uns zur richtigen Würdigung der Arbeit den Rivers noch die andere Methode, vor Entsetzen stumm gewordene Soldaten wieder zum Sprechen zu bringen. Hier werden (wohl eher Mannschaftsdienstgrade) mit Elektroschocks geheilt. Der geneigte Zuschauer darf einer Behandlung beiwohnen und ist gewillt, sich voll Grausen abzuwenden.

„Behind the lines“ ist ein sehr intelligenter Film über den ersten Weltkrieg und ein ernstzunehmendes Porträt der „unsichtbaren“ Verwundungen. Er besticht durch eine ordentliche Regie und gute Schauspieler. Aber man muss auch diagnostizieren, dass der Anspruch der Geschichte den Film phasenweise ein wenig langweilig macht. Man fühlt sich irgendwie an „Das Haus am Eaton Place“ erinnert. Trotzdem absolut empfehlenswert für alle die, die anspruchsvolle Unterhaltung wünschen und sich für neue Facetten eines bekannten Stoffes erwärmen können. Und wer Spaß an englischer Poesie hat, wird das eine und andere Schmankerl geboten bekommen. Von mir kriegt „Behind the lines“ 8 von 10 Punkten.

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