Review

Die Bewertung eines Films ergibt sich meistens aus der Summe seiner Teile – selten war das so schwer zu analysieren wie im Fall des Teenagerdramas „The Tracey Fragments“, denn hier ist der Titel wahrhaftig Programm.
An sich ist die Suche einer gebeutelten 15jährigen nach ihrem verschwundenen Bruder schon dramatisches Material genug und Regisseure wie Todd Solondz hätten aus dieser zerstörerischen Odyssee eine anrührende visuell-moralische Folter gemacht – Bruce McDonald macht eine Collage daraus.
Und was für eine.

In den knapp 80 Minuten des Films gibt es beinahe keine Einstellung, in der das Bild komplett auf eine Szene ausgerichtet wird, stattdessen durchlaufen ständig Linien das Bild, bricht es auf, teilt sich in symetrische und asymetrische Stückchen, wird zum Puzzle, wird zur Splitscreen, zum Insertregen und szenischen Blizzard.
Fünf, acht, fünfzehn Szenen laufen meistens gleichzeitig ab, mal alle dasselbe aus unterschiedlichen Sichtwinkeln zeigend, mal mit vollkommen unterschiedlichen Inhalten, bereits Gezeigtem, Schleifen, Echos – nicht selten enthält ein Bildfragment emotionale Zusatzkomponenten, Fluchtpunkte, Übergangshinweise – das Auge wird in diesem Film vor eine echte Herausforderung gestellt.

Das alles nur, um die Zerrissenheit eines typischen Teenagers zu zeigen, allerdings nicht des glückstrahlend gesicherten Genretyps, sondern das des vollkommen unverstandenen und mit sich selbst im unreinen Mädchens, irgendwo in der viel zu spät einsetzenden Pubertät.
Tracey - wäre eigentlich ganz niedlich, doch sie gibt sich einen sperrigen Look, eine ihr Gesicht verdeckende Frisur, Grungeklamotten. Sie hat noch keine Brüste und damit den Spitznamen weg: das „Etwas“ ,bevorzugt „Etwas ohne Titten“. Eltern, Psychiater, die ganze Welt versteht sie nicht und die wiederum hassen sie, zumindest wäre das möglich. Denn ihr kleiner Bruder Sunny, der sich als Hund versteht, ist verschwunden – und Tracey scheint nicht aufgepaßt zu haben und macht sich nun auf die Suche, während niemand sonst suchen will – und das treibt sie in die schiere Raserei.

Niemand sollte hier mittels dieser Inhaltsangabe einen linearen Plot erwarten, genauso fragmentiert wie das Bild, splittet sich auch der dargebotene Inhalt auf, nicht linear, sich wiederholend, uneinheitlich in der Zeit, bodenlos, im Nichts schwebend.
Die Realität erscheint aufgehoben und feindselig: der Vater bemüht um Dominanz, die Mutter zornig desinteressiert, die transsexuelle Therapeut/in scheint in einer weißer Unendlichkeit voller Platitüden zu schweben. Die Mitschüler spotten und schlagen; Traceys Schwarm, ein bizarrer Exot scheint traumverloren. Ein Junkie erweist sich als mitfühlend, ist aber selbst nur ein Spielball der Realität, ansonsten scheint alles gegen sie zu sein, selbst wenn sie für die Gerechtigkeit eintritt, Schaffner, Barbesitzer, Polizisten...stets hört niemand zu – und so vollendet sich das frustrierende Bild einer Kindheit im totalen Nihilismus.

Daß hinter so einer Anlage dann kein reißender Thriller stecken kann, dürfte klar sein, der Fall des verschwundenen Bruders erweist sich nach und nach als kleines Lebensdrama, als Unaufmerksamkeit und Unachtsamkeit – Tracey kann letztendlich nur lernen, sich auf sich selbst zu verlassen, nachdem sogar ihr Schwarm sie bestiegen hat, um sie dann in einem Anfall von wortloser Ignoranz und Verlegenheit mit runtergelassenen Hosen aus dem Auto zu schubsen. Am Ende startet Tracey wieder, unaufhaltsam in den einsetzenden Schnee wandernd – die Welt scheint sie nicht stoppen zu können, wenn sie sie schon nicht will.

Das Problem bei all dem guten Willen und den Absichten ist, daß das Vermittelte an sich recht bekannt ist und auch kaum verschlüsselt dargeboten wird. Der Wind, der um die Auflösung oder Fragmentierung des Bildes gemacht wird, findet manchmal keine Entsprechung im Erzählmaterial und so manches scheint redundant.
Sicherlich, es sind hübsche Ideen dabei wie ein Gedankenvorspann, Popstarfantasien, ein von startenden Krähen erlischendes Bild oder visuelle Überschneidungen (einmal sieht man die laufende Tracey im Wechsel mit einem heranstürmenden Pferd), doch nicht selten vermutet man stark Form über Inhalt bzw. zeitweise Form ohne besonderen Inhalt.
Der Film erweist sich schlußendlich als bittere Zustandsbeschreibung, die Reise an sich führt jedoch nirgendwo hin, weder zur Karthasis noch zu einer Aufklärung, soll aber immerhin Mut machen, was allerdings bei der anstrengenden Rezeption zum Geduldsspiel wird.
Meisterhaft dabei nur das fokussierte und ausgezeichnet verzweifelte Spiel Ellen Pages, die hier eine komplett rabenschwarzes Variante ihrer Erfolgsrolle aus Juno spielt, nur eben im Sumpf totaler Hoffnungslosigkeit und kompletter Selbstaufopferung.
Das Leben ist die Hölle – allerdings hätten uns halb so viele Split Screens dasselbe erzählt. (6/10)

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