Review

Wer sich auf Filme der Coens einläßt, weiß, das er kein Fertigfutter erwarten darf.
Auch die Ansicht, nach Filmen wie „The Big Lebowski“ oder „Fargo“ wären die Brüder die erste Adresse für schräge Komödie mit zeitweisen Grausamkeiten ist ein enormer Trugschluß, wenn man sich das Oeuvre im Ganzen einmal betrachtet und nicht einzelne Filme wegläßt, weil sie ggf. zu langweilig waren.

Sie versuchen stets, immer etwas anders als bisher zu machen und haben schon allein deswegen ihre persönliche Handschrift ausnahmsweise zurecht weg, ob man jedoch jeden Auswuchs filmischer Phantasien mag (wie z.B. den eher träge-untypischen „Ladykillers“), ist eine individuelle Entscheidung.

Und die ist auch bei „No Country for old men“ gefordert, der sicherlich die Sehgewohnheiten und Erwartungshaltungen wie kein Zweiter lockt und dann wieder abschreckt, eben weil er mit all dem spielt, was wir kennen und die Coens inszenieren das im großen Stil, nicht im Kleinen, wo man dafür Verständnis haben könnte, weil es in der Filmkunstecke versteckt wird.

„Country“ kann man, wenn man denn konkrete Erklärungsversuche starten will, ein Film, der ein bißchen was über den Zustand Amerikas um 1980 erzählt, über die Zivilisation und die moderne Gesellschaft, das Haifischbecken, auf dessen Grund man das Reich des Bösen errichtet hat. Wenn man möchte, kann man das Geschehen als Metapher sehen, für die Veränderungen einer immer schneller laufenden Welt, wo eben die Jüngeren die Stärkeren sind und die Weisheit des Alters nicht mehr zählt.

Fressen und Gefressen werden, spielen und verlieren, das gilt auch für die Protagonisten dieses Films, keine Riesen, keine großen Männer, sondern eher kleine Silhouetten vor der unendlichen Weite der Wüstenlandschaft von Texas, die die Coens in gediegenen, sonnendurchflirrten Einstellungen vor uns ausbreiten. Hier kann jeder nur eine Weile überleben, außer er versteckt sich, z.b. hier im Nichts.

Die scheinbar Sympathiefigur, das soll der schweigsam-mürrische Llewelyn Moss sein, ein Mann, der beim Jagen in der Wildnis über den Schauplatz eines geplatzten Drogendeals stolpert, über eine Menge Leichen und noch mehr Geld. Seine Reaktion ist begrenzt, seine Aktionen eher pragmatisch und seine Menschlichkeit, nämlich die Rückkehr bei Nacht für eine eventuelle Rettungsaktion sein größter Fehler.
Fortan ist er auf der Flucht und sein Gegner ist das Böse selbst, das unaufhaltsam seinen Weg geht.

Ein Killer, ebenso seltsam wie unheimlich, der Schicksal und Vollstrecker zugleich ist. Anton Chigurh ist sein Name und er verfolgt seinen Auftrag mit einer Gründlichkeit, die einen zweifeln läßt, ob er überhaupt einen hat.
Obwohl er (wie er bei seinem ersten Auftritt beweist), den Prozess des Tötens durchaus als rituell-sexuellen Akt genießen kann, ist er jedoch nie ein folternder, exzessiver Sadist, sondern bleibt stets eine unerklärbare manngewordene Naturgewalt, ein Abgrund der Schwärze, aus dem man weder Gnade noch Hoffnung erwarten kann, nur der Zufall kann den Menschen vor ihm bewahren, wie er selbst manchmal aus den irrigsten Gründen eine Münze über das weitere Vorgehen entscheiden läßt.

Kommentiert wird dies alles von der Weisheit des Alters, die in diesem Film zunehmend in Resignation übergeht: der lokale Kleinstadtsheriff Tom Bell folgt zunehmend gebrochen von der Brutalität und Sinnlosigkeit mit fast resignativer Ruhe den Spuren und ist doch stets zwei Schritte hinter dem Geschehen zurück oder wird von ihm wieder einge- oder überholt.

Aus so einer Konstellation kann nur eine einzige Verfolgungsjagd von Verlierern werden und verlieren tun sie in diesem Film alle: Moss, der aus bloßem Kalkül handelt, in dem Irrglauben, seine Beständigkeit und Abgeklärtheit könne ihn ebenso retten wie so manchen anderen „Lone Wolf“; Bell, der immer auf der Suche nach einem Sinn ist und schließlich die Konfrontation im entscheidenden Augenblick scheut, weil er weiß, das er von der dunklen Seite nur verschlungen werden kann (in der literarischen Vorlage wird er es sogar) und dessen anscheinend erklärender Off-Kommentar nur zum Eingeständnis einer moralischen Niederlage wird; schlußendlich Chigurh, eine fast schräge Figur, die jedoch mit der simplen Kraft seines Blickes die Tore zur Hölle öffnen kann und aus dem Nichts kommt und wieder ins Nichts geht, das leere Instrument des Bösen, das in einer Art finalen Zäsur am Ende selbst von einer Urgewalt schwer verletzt wird, um dann mit der Unschuld des Guten, einem selbstlosen Teenager dem totalen Gegensatz gegenüber zu stehen, ein Zusammentreffen, bei dem nicht klar wird, wer jetzt wen versucht.

Bis es jedoch soweit ist, haben die Coens schon den effektivsten Bruch überhaupt hinbekommen, einen erzählerischen Kniff, der das Publikum verblüfft, verwirrt, vieles auf den Kopf stellt, alles über den Haufen wirft, was man bisher gesehen hat und das allein für das letzte Viertel, das das Publikum vor den Kopf stößt.
Doch darin liegt eine beachtliche Konsequenz.
Bis dahin bringen die Coens aber noch eine Menge mehr in diesem Film unter, den man in sich einsickern lassen muß wie Wasser in einen dürren Acker: die epische Weite, die Hitze, einen brandbeschleunigenden Funken abgründigen Humor und extreme Ausbrüche von Gewalt, bei denen niemand sicher ist, am allerwenigsten der die Gefahr unterschätzende Moss (der in einer Szene für uns Zuschauer eine Falle aufstellt, von der wir bereits wissen, das sie nicht ausreichen wird) oder der von Woody Harrelson mehr als Selbstparodie angelegte Jäger des Killers, der nie eine Chance hat. Auf nichts.

Natürlich steht und fällt alles mit den Darstellern so eines Films. Wo Tommy Lee Jones seine ganze Abgeklärtheit des gegerbten Recken in die Waagschale werfen kann und Josh Brolin endlich eine Rolle bekommt, die seinem düsteren, kargen Naturell voll und ganz entspricht, ist es natürlich Javier Bardem, der den gesamten Film stiehlt. Sein Anton Chigurh braucht nur einige wenige Szenen, um sich in die Filmgeschichtsbücher neben die Bösesten der Zunft zu spielen und wann immer er den Mund aufmacht, kann auch dem Letzten Angst und Bange werden, treiben ihn anscheinend keinerlei sonstigen menschlichen Regungen. Bardem/Chigurh ist die fleischgewordene Konsequenz, Handeln in seiner reinsten Form und er ist ein Händler des Todes.

Fast unmerklich gehen die Coens natürlich auch noch in der Filmgeschichte wildern, erinnern (von zitieren möchte ich kaum sprechen) immer wieder an die großen Verfolgungsjagden wie die „Getaway“, „Alfredo Garcia“ oder „Charley Varrick“, letzterer ebenfalls mit einer ähnlich unkalkulierbaren Urgewalt als Verfolger.

„No country for old men“ ist ein Film für Genießer, weniger für die Liebhaber konkreter Formate. Man muß schon die mentale Beweglichkeit mitbringen, daß hier gegen den Strich gebürstet und eine Menge Geschirr zerbrochen wird, man muß sich fallenlassen in ein schlecht mit etwas anderem vergleichbaren Werk, das ein Kommentar auch zur heutigen Welt um uns sein könnte. Zynisch, doch stets realistisch; ein Abbild, eine Phantasie, doch niemals belehrend. Der Tod ist ein Meister in Texas und „No country for old men“, das ist ein flirrender Totentanz, der einem vielleicht nicht gefällt, der einen aber nicht mehr losläßt. (9/10)

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