Die Bush-Ära geht zu Ende und sie ist nicht spurlos am Selbstverständnis der USA vorüber gegangen. An dem großen Wunsch nach Veränderung, dem sämtliche Kandidaten für die nächste Präsidentschaft Rechnung tragen müssen, zeigt sich eine allgemeine Unzufriedenheit, die weniger auf typische Themen wie die Wirtschaft oder die amerikanische Militärpräsenz abzielt, sondern generell den inneren Zustand des Landes beklagt, der einen starken Verfall moralischer und sozialer Werte verzeichnet.
Wenn ein Land nicht mehr für seine alten Menschen da ist, greift das tief in soziale Strukturen der amerikanischen Familienphilosphie ein, für die Kinderreichtum und das Zusammenleben der Generationen ein wichtiger Bestandteil des Aufbaus des Landes war. In Andersons "There will be Blood" wird direkt auf diesen Charakter angespielt, wenn zum Erreichen kapitalistischer Ziele immer die Liebe zum Kind und die Wahrung der Familie hervorgehoben wird. Schon zu diesem Zeitpunkt vor hundert Jahren hatte diese Sichtweise ihre Unschuld verloren.
Wie Anderson greifen auch die Coen-Brüder auf eine Story zurück, die deutlich in der Vergangenheit liegt, und man kann daraus schliessen, dass sie die Bush-Ära nur als offensichtliches Anzeichen eines wesentlich früher beginnenden Prozesses erkennen. Diese Vorgehensweise birgt zwei Vorteile in sich - sie vermeidet eine reine Diffamierung der aktuellen amerikanischen Politik und widerspricht damit der Haltung, ein Wechsel der Persönlichkeit an der Spitze löse sämtliche Probleme, und sie betont die Komplexität der inneren Verfalls, dessen Anzeichen schon lange immanenter Teil des amerikanischen Lebensgefühls wurden.
In "No Country for old Men" steht eine familiäre Konstellationen im Mittelpunkt, deren Zusammenhalt nur als rudimentär zu bezeichnen ist. Llewelyn (Josh Brolin) und Carla Jean Moss (Kelly Macdonald), die zusammen in einem Trailer leben, wirken angesichts ihrer Dialoge wie eines der vielen auseinandergelebten Paare - erst später erfährt man, dass sie kaum zwei Jahre miteinander verheiratet sind. So erstaunt es zuerst auch nicht, dass Llewelyn ihr nichts von seiner Entdeckung erzählt. Er war bei der Jagd in der einsamen Steppenlandschaft auf die Folgen eines Gemetzels getroffen. Bei einer Rauschgiftübergabe war es unter Gangstern mexikanischer Herkunft zu einem Gefecht gekommen, dass für sämtliche Beteiligte tödlich ausging. Nur eine Person lebte noch schwerverletzt, wurde aber von Llewelyn zurückgelassen - im Gegensatz zu dem Koffer mit zwei Millionen Dollar, den er bei einem Toten fand und den er unter seinem Trailer versteckte.
Die Filme der Coens wurden immer schon gerühmt für ihre skurrilen Charaktere und vielleicht bedurfte es eines Films wie "No Country for old Men", um endlich zu verdeutlichen, dass diese Skurrilität nichts weniger als genau beobachtete Normalität ist. Llewelyns wirkt in seinem Verhalten vordergründig ambivalent und in der Konsequenz unlogisch. Zum Einen scheinen ihm keinen Moment Zweifel zu kommen beim Anblick des Geldkoffers und auch die vielen Toten bringen ihn als Vietnamveteranen nicht aus der Ruhe, andererseits kehrt er mitten in der Nacht zu dem Verletzten zurück, um nach ihm mit einer Flasche Wasser in der Hand zu sehen. Sein Umgang mit seiner Frau ist einerseits rüde und wenig mitteilsam, aber gleichzeitig lässt er sie nicht im Stich und will sie auch an dem frisch erworbenen Reichtum teilhaben lassen.
Die Coens gestalten die Figur des Llewelyn Moss als eine Person im Umbruch, die noch nicht die letzte Konsequenz gezogen hat. "No Country for old Men" ist zeitlich korrekt zu Beginn der 80er Jahre angesiedelt, das als Jahrzehnt des aufkommenden Hedonismus in die Geschichte eingangen ist, und sie stellen Moss einen Mann der Vergangenheit und einen der Zukunft zur Seite.
Zum Einen Ed Tom Bell (Tommy Lee Jones), der als hiesiger Sheriff mit einer großen Anzahl von Toten - darunter einer seiner Mitarbeiter - konfrontiert wird. Immer wieder wird seine Stimme aus dem Off eingeblendet, die nur die eigenen Zweifel im Anblick der Realitäten vermitteln kann. Bell ist der alte Mann, der nicht mehr mitkommt, aber er ist keineswegs skurril. Im Gegenteil verfügt er über einen klaren Verstand, dem zu Folge er auch die Spur des Killers aufnehmen kann, aber er ist immer zu spät und kann nur noch die Folgen der Geschehnisse aufnehmen.
Zum Anderen Anton Chigurh (Javier Bardem), dessen Hedonismus von den Coens auf die Spitze getrieben wird und der als einzige Figur überzeichnet wirkt. Er scheint keine Vergangenheit und keine Intentionen zu besitzen, sondern regelt sein Verhalten nur nach eigenen Gesetzen, die er konsequent befolgt, deren Zustandekommen aber nicht erklärt wird. Kontakte oder Sozialisation kommen bei ihm nicht vor - als eindeutige Person der Zukunft wird er hier zum sarkastischen Spiegelbild der Gegenwart.
Die Coens entwerfen in ihrer sehr spannend erzählten Geschichte um eine Verfolgungsjagd ein komplexes Zeitgebilde, dass die Vergangenheit, den Umbruch Anfang der 80er Jahre und die Gegenwart umfasst. Ergänzt wird das Geschehen von einigen zeitgenössischen Typen wie Carson Wells (Woody Harrelson), der eine Figur mimt, die nicht im Geringsten weiß, was gerade los ist, aber entscheidend sind die drei Protagonisten Chigurh, Bell und Moss, deren Zusammenspiel die Coenschen Intentionen verdeutlicht.
Moss ist in seiner Ambivalenz sicherlich die sympathischste Figur, aber seine fehlende Konsequenz wird ihm zum Verhängnis. Bell spürt, dass das Land sich in einer Art verändert hat, mit der er nicht mehr mitkommt, und er zieht sich zurück in sein funkionierendes Familienleben. Chigurh gehört die Zukunft und er sieht keinen Grund, irgendetwas an seinem Verhalten zu ändern. In einer einzigen Szene begegnen sich Vergangenheit und Zukunft direkt und wie die Coens diese Szene atemberaubend inszeniert haben, verdeutlicht ihre Erkenntnis. Es passiert - nichts.
"No Country for old Men" erinnert in vielen Ingredenzien an frühere Werke wie "Fargo", aber die Coen-Brüder nutzen nur ihren Stil, um hier eine sehr klare Definition des inneren amerikanischen Zustands abzuliefern - doch gleichzeitig wird ihnen die Verwendung ihrer Stilmittel auch zum Verhängnis. Die interpretatorische Flucht in die angebliche Skurrilität, sollte schon immer davon ablenken, sich selbst mit einer Figur identifizieren zu müssen, und die thrillerartige Story, die ganz bewusst den Boden der Logik zugunsten innerer Abläufe zwischen den Protagonisten verlässt, scheint vordergründig eine übliche Geschichte zu erzählen. Doch vor allem die Figur des Anton Chigurh ist in ihrer Ausgestaltung Fluch und Segen zugleich.
An diesem Punkt schließt sich der Kreis zu "There will be Blood", denn dieser stellt mit dem von Day-Lewis verkörperten Ölbaron eine Figur in die Mitte, deren Zerrissenheit offensichtlich ist und die nicht zur Identifikation taugt, was dem Film letztlich einen unbefriedigenden Anstrich gibt.
Chigurh dagegen erzeugt die übliche Faszination vor einem "Übermenschen", dessen geradezu unmenschliche Konsequenz mehr anerkannt wird, als das dessen völliges soziales Versagen, dass problemlos über Leichen geht, kritisch betrachtet wird. Doch das dieser Mensch bewundert wird, ist ein Kennzeichen des heutigen Empfindens und in dem sie diese Reaktion in ihrem Film erzeugen, setzen die Coens dem Betrachter unmerklich, aber bewusst, den Spiegel vor (9/10).