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Nachdem die Presse übereinstimmend darüber schrieb, dass die Coen-Brüder wieder zu ihren alten Wurzeln zurückgefunden hätten, war ich um so gespannter auf die deutsche Premiere von "No Country for Old Men". Und tatsächlich: Was sich mir präsentierte, war ein ebenso spannungsgeladener wie aber auch gewöhnungsbedürftig anmutender Thriller. Und wenn es zutrifft, dass das Kino die Wirklichkeit reflektiert, dann steht es nicht gut um diese Wirklichkeit. Oscar-Preisträger Javier Bardem, der den sicher beeindruckendsten Filmübeltäter der Saison, Anton Chigurh, spielt - den neuen Virtuosen des Wahnsinns -, drückt das so aus: "Ich bin das Schicksal, das du gerufen hast." Der Autor der Romanvorlage, Cormac McCarthy, erzählt, dass er den absonderlichen Namen der Figur erfand, um sie jedes menschlichen Zuges zu entledigen. Und genau das ist es auch, was Bardem so bravourös gelingt. Die Coens ließen ihn Chigurh gewissermaßen erschaffen - als eine Art Naturgewalt, subtil und emotionslos. Wenn Chigurh, um zu entkommen, beispielsweise den jungen Sheriff mit dessen Handschellen erwürgt, so sehen wir viel mehr als einen bloßen Mord, wir sehen einen qualvollen Todeskampf. Ebenso prägnant ist das druckluftbetriebene Bolzenschußgerät, das für die industrielle Kälberschlachtung bestimmt ist, und mit dem Chigurh Türschloßzylinder aufschießt, aber gelegentlich auch mal unschuldige Zivilisten aufs Korn nimmt - und sei es auch nur, um an ein Fluchtauto zu kommen.
Manchmal scheint er seinen Opfern - uns allen! - in Form eines kleinen Kopf-oder-Zahl-Spielchens noch eine Wahl zu lassen und reduziert das Leben auf den puren Zufall, dem wir uns stellen müssen. Chigurh ist ein Dämon, ohne nachvollziehbare Biographie, dessen Strafgericht niemand entkommt - er ist der umherwandelnde Henker, mit ausdruckslosem Blick und gleichgültiger Stimme. Spaß oder Lust sind ihm völlig fremd!
"No Country for Old Men" ist ein Western im modernen Stil, erzählt in opulenten, eindringlichen Bildern. Er ist ein Kinoerzeugnis, das sich nicht unbedingt durch sich selbst erschließt - im Gegenteil: Hier ist auch der Zuschauer ein bißchen gefordert, und wer sich auf dieses Meisterwerk einläßt,
den beschleicht sehr schnell das ungute Gefühl, dass auch er lebendiger Bestandteil einer untergehenden Zivilisation ist.
9 von 10 Punkten!

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