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Der elfte Fall des komödiantischen Münsteraner „Tatort“-Duos aus Hauptkommissar Frank Thiel (Axel Prahl) und Rechtsmediziner Dr. Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers) war der vierte Beitrag des Regisseurs Manfred Stelzer („Irren ist sexy“) zur TV-Krimireihe und entstand nach einem Drehbuch Stefan Cantz‘ und Jan Hinters. Erstausgestrahlt wurde er am 18.03.2007.

Ein Unbekannter verschafft sich Zutritt zur Pathologie und drapiert Lilien auf den Leichen. Wie sich herausstellt, macht er dies in schöner Regelmäßigkeit, fotografiert sein Werk und stellt die Fotos in einem Internet-Blog online. Kommissar Thiel interessiert dies jedoch weniger, er will seinen Urlaub antreten und muss dringend zum Flughafen. Das Taxi seines Vaters jedoch erweist sich auf offener Strecke als fahruntüchtig, weshalb er sich im von Dr. Boerne gestoppten Leichenwagen chauffieren lässt – um dennoch seinen Flug zu verpassen. Kurz darauf segnet ein Bestatter das Zeitliche, sodass an Urlaub kaum noch zu denken ist. An Thiels Nerven zerrt jedoch zusätzlich der Umstand, dass er seine Wohnung für die Zeit seines Urlaubs an Boerne untervermietet hat, der nun auf Einhaltung der Absprache besteht – seine eigene Wohnung hat er dem aktuellen Objekt seiner Begierde (Marion Mitterhammer, „Callboys - Jede Lust hat ihren Preis“) zugesagt, einer österreichischen Kollegin, die aufgrund des Rechtsmediziner-Kongresses in der Studentenstadt weilt. Doch auch Boerne hat wenig Zeit für seinen großen Auftritt auf eben jenem, wo er zudem mit einem Preis ausgezeichnet werden soll, denn der undurchsichtige Mordfall verlangt auch seinen Einsatz. Die Spur führt zunächst zum Bruder des Toten, der Streit mit ihm hatte und, wie sich herausstellen wird, ein amouröses Verhältnis zu seiner Schwägerin pflegte. Oder haben doch die Anhänger der Gothic-Szene damit zu tun, zu denen die Ermittlungen die Leichendekorationen betreffend führen? Selbst Teil dieser Szene ist die Jugendliche Lucie (Alice Dwyer, „Baby“), Halbwaise und Tochter des sich in Afrika sozial engagierenden Dr. Wulfes (Hansa Czypionka, „Tatort: Kinderlieb“)…

Klar, Dr. Boerne ist eine überkonstruierte Figur unterschiedlicher Einflüsse und ihre Rolle als hautnah Ermittlungen unterstützender Rechtsmediziner in Deutschland in der Realität wohl kaum anzutreffen. Mich erinnert sie an eine Mischung aus Quincy, Monk, Dr. House und anderen sozial auffälligen Vorbildern aus internationalen Serien. Dennoch sorgen der Dialogwitz zwischen ihm und dem mürrischen, unterkühlten FC-St.-Pauli-Fan Thiel in Screwball-Manier für den einen oder anderen Lacher. Die Slapstick-Einlagen hingegen sind Standard bis überflüssig und Boernes Arroganz derart überspitzt, dass sie ständig Gefahr läuft, nicht mehr zu amüsieren, sondern regelrecht zu nerven – wenngleich Liefers offenbar voll in seiner Rolle aufgeht und sie mit viel Leidenschaft interpretiert.

Weit weniger lustig soll indes der eigentliche Fall sein. Für diesen greift man ganz tief in die Klischeeschublade, indem man eine Clique „Grufties“ sich auf dem Friedhof versammeln und Gedichte rezitieren lässt. Mind. einer von ihnen hat dann auch schwerer einen an der Waffel, er ist der – ansonsten harmlose – Lilien-Fotograf und -Blogger, der bereits in der Klapse saß. Und extrem doof scheint er auch zu sein, denn obwohl die Polizei nichts gegen jemanden in der Hand hat, als sie die traute Literaturrunde auf dem Friedhof stört, ergreift er plötzlich die Flucht. Ein Schelm, wer dabei denkt, dies diene lediglich einer dann doch wieder komödiantischen Verfolgungsjagd über den Friedhof, bei der Boerne als Pointe in ein ausgehobenes Grab stürzt…

Auch abgesehen von der Darstellung der Gothic-Szene taugt die Handlung leider nicht viel: Das Drehbuch schlägt eine Kapriole nach der anderen, als versuche es, sich ständig selbst in unglaubwürdigen Entwicklungen zu übertrumpfen: Da werden ein falscher Obduktionsbericht ausgestellt, Dr. Boerne von der Staatsanwältin (Mechthild Großmann) umgeboxt (ohne dass dies irgendein Nachspiel hätte, von komplett ausbleibender Selbstkritik der kettenrauchenden Dame ganz zu schweigen), eine Leiche entführt, ein leerer Sarg verbrannt und Boerne unter Waffengewalt zum erneuten Besuch auf dem Friedhof gezwungen. Das Motiv des Täters bleibt unterdessen vollkommen auf der Strecke, spielte fürs Drehbuch offenbar keinerlei Rolle. Diese Abfolge hanebüchenen, an den Haaren herbeigezogenen Unsinns ist der Todesstoß für diesen „Tatort“, der einmal mehr neben dem idiotischen Drehbuch daran scheitert, eine ernste Handlung in einen komödiantischen Rahmen voller Running Gags pressen zu wollen.

Immerhin „darf“ sich die oft zu kurz kommende Nadeshda Krusenstern (Friederike Kempter) diesmal stärker in die Ermittlungen einbringen, wird jedoch auf fragwürdige Weise zum verliebten SMS-süchtigen Teenager degradiert. Positiv aus dem Ensemble heraus sticht Alice Dwyer, der der übertriebene Gothic-Look nicht nur recht gut steht, sondern die ihre Rolle zwischen aufmüpfigem Backfisch und todtrauriger Halbwaise mittels schauspielerischen Talents sensibel und sympathisch ausfüllt.

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