Review
von Carbusters
MANDY LANE – Wahnsinn in Texas.
Exquisite Fotographie, traumhafte Zeitlupen und ein wunderbarer Soundtrack (erinnern zwar an eine Jeans-Reklame, aber) schaffen immer wieder eine traumverlorene, magische Atmosphäre, entrückt von Zeit und Raum.
Denn in MANDY LANE geht es um das Abheben aus der Realität, das Davonschweben in himmlische Gefilde, in Verfolgung der engelsgleichen, blondgelockten Heldin, Mandy Lane – verletzlich, scheu, doch zugleich stark. Ein Ideal, ohne Arroganz. Von allen „Jungen“ begehrt, bleibt sie doch unnahbar. So wird sie zum Objekt der Anbetung.
Wenn sie vorübergleitet, dann halten die Menschen inne, O-Ton und Gespräche verstummen, selbst die Zeit verliert ihren Rhythmus und läuft langsamer. „Jesus!“ entfährt einem Anbeter, wenn sie sich zum Baden umzieht. Die Jungen wollen sie, die Mädchen wollen sein wie sie.
Sie selbst sind unsicher, leiden unter kleinen Brüsten, kleinen Penissen, kleinen Leben im entlegenen Texas – und unter dem Jahr 2006, das von Irakkrieg, Klimawandel, dem Texaner George Bush jr., Staatsverschuldung, Peak Oil (der Film kommt aus Austin, Texas, einem Ölstaat) überschattet ist. Alle beneiden Mandy, nicht allein um ihre Schönheit, sondern um ihre Sicherheit.
Schule kommt nur als Ort vor, mit der High School als Thema scheint sie nichts zu tun haben, das Teenager-Milieu perlt an ihr ab, eigentlich wohnt sie verständnislos, wie eine Außerirdische, den Ritualen und Gesprächen bei. Beim Laufen läuft sie allen davon, allein, weit vor den anderen. Weil alle Werbung an ihr abperlt, fühlen sich zugleich alle von ihr bedroht. Denn sie spielt in einer anderen Liga, sie spielt nicht nach den Regeln, denen sich ihre Umgebung unterworfen hat. Erst am Schluß wissen wir endgültig, in welchem Ausmaß sie nach anderen Regeln spielt.
Doch Mandys Status ist nicht alles: In Mandy Lane (Schauspielerin: Amber Heard) konzentriert sich auch die Vielschichtigkeit dieses Films (Danke, Amber Heard). Sie läßt sich flüchtig mit vielen ein, doch niemanden an sich heran. Am Schluß scheint wenigstens Emmet von ihr ausgewählt. Und wird dann doch verstoßen. Um durch Garth ersetzt zu werden? Oder ist auch Garth nur ein Mittel zum Zweck, um als „Retterin“ zu erscheinen? Oder ist er ihr egal?
Warum wählt sie diesen Status?
Der Film liefert keine Erklärung: Alles bleibt in der Schwebe. Der Kunstgriff des Films ist, daß wir Zuschauer, genauso wie Mandys Mitschüler, nie aufhören können, sie enträtseln oder enthüllen zu wollen. Schon in der ersten Szene ist unser Blick der Blick der Mitschüler – auch der weiblichen.
Bevorzugt sie Frauen? Auch dafür gibt Andeutungen, zärtliche Hilfe für Chloe, ein Eindringen - aber das ist auch schon wieder eine Relativierung...
Ist sie traumatisiert? Gewaltopfer? Es drängt uns, solche Erklärungen zu suchen, denn es scheint, als sei es Mandy Lanes dringendstes Bestreben, die Liebessehnsucht ihrer Umwelt abzuwehren. Weil sie erkennt, daß es sich nur um Geltungssucht handelt? Oder weil sie ein Geheimnis in sich trägt? Am Ende erkennen wir, daß sie tatsächlich etwas geheim hielt – doch ein Motiv enthüllt sie immer noch nicht.
Oder will sie sich nur ihre Partner selbst aussuchen? In der Begegnung mit Garth scheint sich das anzudeuten - doch da ist der Film zu Ende.
Das Ende erinnert übrigens an FROM DUSK TILL DAWN (der auch in Texas, nur südlicher, spielt). Auch da bleibt, nach blutigen Kämpfen gegen viele Bösewichter, nach dem Tod aller Good Guys, am Ende ein Paar am Leben, das aus einem erfahrenen Mann und einer starken Jungfrau besteht – und sich doch, wider Erwarten des Zuschauers – trennt. Werden sich auch Mandy und Garth trennen?
Garths abschließender Satz „You saved us“ bleibt ebenso vielschichtig. Mandy hat sie beide gerettet: Vor wem? Vor dem Killer? Oder vor den anderen SchülerInnen? [Was Garth nicht wissen kann.] Schließlich sind die beiden jetzt die letzten Überlebenden der Menschheit – zumindest in diesem Film, an dieser Stelle. Ist dieses Ende möglicherweise ein neuer Anfang, hin zu einer besseren Zeit, ohne Saufgelage, Drogenkonsum, oberflächlichen Sex? Reif genug wären die Beiden sicherlich... dazu hat Mandy sie gerettet.
Wobei in MANDY LANE übrigens, anders als in FROM DUSK... unklar ist, welche der Toten gut oder böse sind. Die gemeine Normalität der „Opfer“ mag Mandy bedroht haben. Doch waren sie damit schon böse Lebenssauger wie in FROM DUSK... und haben sich den Tod verdient?
Einen einzigen Partner hat sich Mandy ausgesucht: Doch auch den verwirft sie. Wie ein Spinnenweibchen – denn auch er will ihr zu nahe kommen.
Was will sie dann? Welche Koalition sucht sie? Etwa gar keine?
Warum eigentlich stellt sie sich als „Mandy LANE“ vor, mit Vor- UND Nachnamen? Was eine extrem unamerikanische Art ist, sich zu vorzustellen? Ein weiteres Mittel zur Distanz? Spielt das „Lane“ (englisch: Weg) auf den Weg an, auf dem sie unterwegs ist und auf dem sie alle anderen hinter sich läßt, wie auf der Aschenbahn?
Es geht den Figuren sowohl um die „Reinheit“ (die Mandy verkörpert), als auch um das „Ausmerzen“ von krankem Getier: Garth erzählt von den getöten Rindern, Mandy fällt zu diesen Kadavern in die (Leichen-) Grube und schließlich ist ein Thema des Films, daß verworfene Jugendliche ausgemerzt werden. (Die Kadavergrube erinnert mich an die Fotoserie THE PIT, einen Teil der DESERT CANTOS, einem monumentalen Werk des Fotographen Richard Misrach – kennt Regisseur Jonathan Levine diese berühmte Serie, die u.a. auch in Texas entstand? THE PIT zeigt tote Tiere im US-amerikanischen Westen, zum Verwesen in offene Gruben geworfen; Todesursache ist z.B. der Fallout sog. „schmutziger“ Atomtests).
Und ein Thema ist die Liebe: Keine/r weiß, was sie ist, keine/r hat eine Beziehung, sicherlich wollen alle Liebe, aber sie wagen nicht mehr als Sex. (Der eine Blowjob, den das Mädchen gibt, wird nicht einmal von dem Jungen erwidert: Weniger Beziehung ist kaum möglich.) Mehr Beziehung schaffen sie nicht, dann sind sie schon tot. Thema ist, was die „Liebe“ der Jungen anrichtet und was dieses zu aggressive Lieben bei Mädchen bewirkt.
Anders als in älteren Splatterfilmen wird die Killerfigur ernster genommen, sie handelt vielleicht auf Grund von Gefühlen, oder gar einer Art „Liebe“, aber doch wohlüberlegt nach einem schriftlich fixierten Plan, der, passend zum neoliberalen Zeitalter, sogar Vertragsform annimmt und sogar das Element „Selbstmordpakt“ in den Splatter einführt. Zeitalter entfernt von den Motiven eines Leatherface oder Michael Myers, integriert MANDY LANE die in „Mode“ gekommenen Selbstmordtäter, seien es einheimische Amokläufer wie in Colombine, oder ausländische Attentäter wie im Irak und Afghanistan.
Auch die örtliche Bevölkerung (Garth) ist für einen Splatterfilm relativ vernünftig, trotz Kriegstrauma „normal“ (eben kein Serienmörder oder verschrobener Unkenrufer in der Wüste) und hilft den Opfern, statt ominöse Warnungen auszustoßen oder gar eine Fleischfabrik (TEXAS CHAINSAW MASSACRE) oder ein Plünderungsunternehmen (WRONG TURN) zu unterhalten. Garth ist sogar Objekt von Chloes Begierde und wird sogar für Mandy Lane ein besserer Partner als all ihre Altersgenossen.
So ist MANDY LANE zwar äußerst spannend, aber kaum noch ein „Splatter“, und der Horror entsteht aus den traurigen, kaputten Beziehungen und Charakteren, die ernster genommen werden als in vielen seriöser wirkenden, „erwachsenen“ Filmen.
PS: Zum Schluß noch ein paar Aussagen von Amber Heard, der Schauspielerin, die sie im Interview auf der DVD macht. Sie spricht von ihrem eigenen Leben, aber es klingt, als erzähle sie von Mandy Lane. Eine geschickte Selbstinszenierung eines Medienprofis?
Amber Heard drehte als Jugendliche Filme mit der Videokamera, zog mit 16 zu Hause aus, machte ihren Abschluß per Fernstudium. Das einzige Schulfach, das sie mochte, war Theater. Sonst hatte sie aber dennoch gute Noten. Sie ist froh, daß sie die Schule schwänzte – dort hätte sie sich doch nur anpassen müssen – und von zu Hause auszog; sie vermisste nicht den Tratsch und das Schulleben, und das, was ihren Mitschülerinnen wichtig war – denn sie mußte Rechnungen bezahlen und ihr Leben organisieren. Als Teenager ging sie in Austin, Texas, allein ins Programm-Kino und guckte manchmal drei Filme hintereinander. Ihre Mutter machte sich Sorgen, wegen der Isolation ihrer Tochter. -- Sie will mit ihrer Arbeit die Welt verändern, eine Botschaft rüberbringen. – Und sie möchte mehr Bösewichte spielen; das mache mehr Spass. - Und schließlich: Zum Dreh des Films kehrte sie heim, nach Austin, Texas.