Basierend auf der Autobiographie eines realen Polizisten drehte Sidney Lumet „Serpico“ der sich des Themas der Polizeikorruption annahm.
Zur Spannungssteigerung beginnt der Film „Serpico“ beinahe mit dem Ende der Geschichte. Der Cop Frank Serpico (Al Pacino) ist im Dienst schwer verwundet worden, wird mit einer Schusswunde im Gesicht ins Krankenhaus eingeliefert und dort bewacht. Gerüchte über sechs Kollegen, die ihn tot sehen wollen, machen die Runde, Vorgesetzte und Reporter erfahren staunend von dem Vorfall. Wer ist dieser Serpico? Wieso schlägt sein Fall solche Wellen? Und wer hat denn nun auf ihn geschossen? Das sind die Fragen, mit denen Lumet den Zuschauer in den Film schickt.
Ein Zeitsprung geht zurück zum Karriereanfang Serpicos, der als glattrasierter, idealistischer Cop bei der Polizei anfängt, von den alten Hasen lernen will und sowohl aus Ehrgeiz als auch aus Gerechtigkeitssinn handelt. Gerade den Karriereaspekt blendet „Serpico“ nicht aus, vor allem in der Anfangsphase nicht, sondern zeigt seinen Helden auch als ambitionierten Typen, der auf der Suche nach einem höheren Rang und einer Beförderung mehrmals Reviere und Abteilungen wechselt.
Später ist Serpico ein durchaus erfolgreicher Zivilfahnder, dessen hippieartiges Aussehen teilweise schief beäugt wird, aber Fahndungserfolge liefert. Allerdings will er im Gegensatz zu seinen Kollegen keine Schmiergelder annehmen, was ihm den Unmut selbiger einbringt…
Lumets Polizeifilm ist ein ruhiges Exemplar seiner Sorte, kein Reißer über Dirty Harry oder einen seiner Artgenossen, sondern eine nüchterne Erzählung von einem, der die mafiösen Strukturen nicht hinnehmen will. Schon allein die Verweigerung der Geldannahme macht Serpico zum Außenseiter und zum potentiellen Anschlagsziel, was seine Schritte gegen die Korruption auch als Selbstschutz, nicht bloß als reinen Idealismus wirken lässt. Diesen besitzt Serpico freilich auch, beteiligt er sich doch nicht an der Misshandlung von Verdächtigen, riskiert bei der Verhaftung von Vergewaltigern ohne Verstärkung sein Leben und kassiert dafür noch einen Tadel, weil er die Verhaftung ohne den bearbeitenden Officer gemacht hat. Gleichzeitig besteht Serpico immer darauf, dass seine Leistung anerkannt wird, fast schon kleinlich.
Denn Serpico ist kein einfacher Mensch, das macht Lumet klar, vor allem in den Szenen seines Privatlebens. Frauen halten es an seiner Seite nicht aus. Nicht, weil er ihnen keine Liebe und keine Zuneigung entgegenbringen würde, sondern weil der Job immer noch wichtiger für ihn ist als eine Hochzeit, weil er seine beruflichen Probleme heimbringt, weil er zu wenig auf sie eingeht. Es ist ein Punkt, den Lumet machen will, gleichzeitig aber etwas überstrapaziert, zumal er die Facetten und Widersprüche seiner Figur, die gleichzeitig Bürgerlichkeit und Gegenkultur verkörpern will, nur bedingt einzufangen weiß und gerade in den häuslichen Szenen dadurch immer wieder Längen entstehen.
Wesentlich spannender, wenn auch von langsamer Natur ist die langsame Zuspitzung der Ereignisse im Polizeialltag. Serpico wird von den Vorgesetzten vertröstet, die selbst im Sumpf der Korruption eingesunken sind oder diese zumindest vertuschen wollen, während die Kollegen immer aggressiver werden. Beliebt war der ehrgeizige Pedant eh selten und selbst wenn ein direkter Vorgesetzter mal mit ihm klarkommt, dann kann der als kleines Rädchen in einer Maschine, die im wahrsten Sinne des Wortes wie geschmiert läuft, nur wenig ausrichten. Konsequent fängt Lumet die Aura der ständigen Bedrohung ein, auch wenn der Film sich in seinen rund zwei Stunden da manchmal etwas wiederholt, zum Ende aber noch einmal dramatisch die Fallhöhe von Serpicos Anliegen aufzeigt.
Sein Hauptdarsteller ist dabei Fluch und Segen zugleich, letzteres glücklicherweise mehr als ersteres. Al Pacino spielt den verdeckten Ermittler facettenreich, meist glaubwürdig und intensiv, doch kann seinen Hang zu großen Gesten nicht lassen. Immer wieder muss er aufdrehen, was im sonst eher nüchternen, fast dokumentarischen Gestus des Films leicht unpassend wirkt, „Serpico“ manchmal seiner Wirkung beraubt. Was nicht ganz unproblematisch ist, ist der Film doch komplett auf seinen Hauptdarsteller zugeschnitten, ähnlich wie Lumet späterer Thriller über Polizeikorruption, „Prince of the City“, in dem das Nebendarstellerensemble, ähnlich wie hier, nur Stationen eines Weges beleuchtete, dabei aber nur begrenzte Screentime bekam.
Das bedeutet nicht, dass „Serpico“ seinen Klassikerstatus nicht zurecht besäße, gewisse Längen und die eine oder andere Übertreibung fallen in dem sonst so realistischen Kontext dann aber umso störender auf. Ein spannendes, eingängiges Portrait von organisierter Polizeikorruption, die von allen Beteiligten nicht nur geduldet, sondern generalstabsmäßig organisiert und freudig gerechtfertigt wird, bietet Lumets Film aber trotzdem.