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Die gar schaurige Moritat zweier britischer Gangster

Das Erinnerungsvermögen ist so eine Sache, und gerade bei Filmen trügt es gewaltig, und zwar in zweierlei Richtung. Filme, die man einst verdammte und gar furchtbar fand, entpuppen sich Jahre später als durchaus akzeptabel, nun, dies könnte auch dem persönlichen Reifungsprozeß geschuldet sein. Auf der anderen Seite aber trägt man eine stille Liste mit Favoriten der frühen Neunziger im Kopf herum, freut sich, einen dieser Filme als Sonderedition mit umfangreichem Bonusmaterial beim Stöbern im Internet zu finden, schlägt sofort zu und wird bitter enttäuscht, denn der Film entpuppt sich als öder Reinfall. Hier ist die Filterfunktion des Gehirns verantwortlich zu machen, denn aus Erlebnissen früherer Tage behält man auch nur die Annehmlichkeiten in guter Erinnerung, das gleichzeitig einhergehende äußerst Mißliche wird still und heimlich verdrängt. Bestes Beispiel hierfür sind die Zeiten an Schule und Universität oder bei der Bundeswehr. Dumm aber ist es, wenn gerade dieser interne Filter zum Geldausgeben verführt, man sich am stillen Abend im Kämmerlein an einem jener alten Favoriten zu erfreuen denkt und dann jedoch bitter enttäuscht wird.

Dabei hätte alles so schön sein können…Gangsterfilme im allgemeinen mag ich sehr, die von der Insel noch viel mehr, man denke dabei an solche Kleinoder wie „Gangster No.1“ oder „Sexy Beast“. Die Gebrüder Kray, deren Leben dem Film zugrunde liegt, haben sich während ihres steilen Aufstiegs nach dem Ende des zweiten Weltkriegs auch mit viel Blut bekleckert, die DVD ist ab 18, was also sollte schiefgehen? Alles, denn statt eines straffen Ganovenstücks mit vielerlei Auseinandersetzung ist der Film eher ein Sozialdrama mit einer Menge weiblicher Hauptrollen, ganz besonders hervorzuheben die Mutter der Zwillinge Reggie und Ronnie Kray, diese beiden nur mehr schlecht als recht verkörpert durch die Spandau Ballett – Musikerzwillinge Martin und Gary Kemp. Es geht bedächtig zu, schon von Beginn an, die Damen der kleinen Siedlung putzen brav ihre Häuschen und servieren Tee, sitzen gerne bei einem Schwätzchen zusammen und sind possierlich anzusehen. Man wartet darauf, daß sich die Buben zu Gangstern entwickeln, doch da wartet man vergebens, denn auf einmal sind sie es einfach, noch dazu ganz vorn in der Hierarchie. Klar, kleinere Dramen dürfen auch nicht fehlen, so geht Reggies Ehe zu der süßen Frances durch deren Selbstmord in die Brüche, Ronnie ist schwul und würde am liebsten seinen Bruder vernaschen, und irgendwann kommt auch ein Widersacher namens Cornell daher. Doch niemals sehen wir einen Gangsterfilm, wir wissen nicht, womit die Krays ihr Geld verdienen und warum sie so gefürchtet sind. Und am Ende der Geschichte sind die beiden so bösen Buben im Gefängnis, die liebe Mutter tot und wir kennen die Moral: Verbrechen lohnt sich nicht.

Es ist eigentlich eine typische Story, die Martin Scorsese in „Good Fellas“ ähnlich auf Zelluloid gebannt hat – die Geschichte von Aufstieg und Fall eines Gangsterduos. Aus demselben Entstehungszeitraum kennen wir auch die wirklich guten „Scarface“, „Es war einmal in Amerika“ oder etwas später dann „Mobsters“. Diese Filme zeigen, wie man es richtig machen kann, Peter Medak indes als Regisseur beweist uns, daß ein Gangsterfilm auch langatmig, langweilig und spannungsarm möglich ist. Alles nur Mögliche wird involviert, das Leben der Trümmerfrauen in London, Jazzmusik, Tablettensucht, selbst die Schwindsucht ist als Todesursache der geliebten Tante mit dabei. Da fragt man sich, warum hier Etikettenschwindel betrieben worden ist, denn der Film sollte eigentlich den Lebensweg eines angeblich äußerst brutalen Brüderpaares abbilden – statt dessen serviert die Mutter den liebevoll „Boys“ genannten Gangstern Tee und Plätzchen und bittet darum, daß die Boys doch bitte ihre Schuhe abstreifen mögen. Wenn man sich also für eine detaillierte Schilderung der englischen Unterschicht kurz nach dem Ende des zweiten Weltkriegs interessiert, dann kann man hier fündig werden – den Liebhaber von harten Gangsterepen jedoch treibt der Film zur Verzweiflung. Gut gedacht, handwerklich nicht aber sonst schlecht gemacht, kein Werk für die Ewigkeit, indes als Einschlafhilfe zu empfehlen. 4/10.

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