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Wolfgang Petersen, den man nach „Air Force One“ schon auf der Roland-Emmerich-Schiene wähnte, traute sich 19 Jahre nach „Das Boot“ wieder aufs Meer hinaus und verfilmte mit einem Riesenbudget einen Roman, der auf Tatsachen beruhte und beim Zuschauer einschlug. Doch betrachtet man das Effektspektakel näher, entpuppt sich sein Werk als typischer Mainstreamschnellschuss.

Die Höllenfahrt der 1991 gesunkenen „Andrea Gail“ besitzt leider eindeutig zu wenig Substanz, so dass sich Petersen einiges einfallen lassen musste, um einen zweistündigen Film zu bewerkstelligen. So werden in den ersten 45 Minuten, nicht nur Fischerklischees breitgetreten, sondern auch jedes Crewmitglied bis in die kleinste Ecke ihrer Seele durchleuchtet. Captain Billy Tyne (George Clooney) fehlt seit einiger Zeit der richtige Riecher für die großen Schwärme, Bobby Shatford (Michael Wahlberg) ist der Fischernoob, mit hübscher Freundin. Der Rest der Crew ist entweder mit Dauervögeln, anstrengenden Versuchen eine Frau zu finden oder der getrennten Ehefrau nebst gemeinsamen Kind beschäftigt. Komprimiert auf eine Hafenkneipe hören wir uns ihre Schicksale auf GZSZ-Niveau an, ohne wirklich Interesse zu entwickeln, versprach der Trailer doch noch einen großen Sturm und keine Daily-Soap.

Froh in zurück an Land zu sein, verkündet Billy Tyne, der im Verlauf des Films immer deutlicher Kapitän-Ahab-Züge annimmt, dass er noch eine letzte Fahr wagen will, um seine Pechsträhne zu beenden. Froh gerade an Land gekommen zu sein und wenig begeistert nimmt die Crew an, da die um ihre Arbeitsplätze fürchtet und das Geld benötigt wird. Warum Tyne einen Streithahn ins Boot holt, nachdem ein Crewmitglied abgesprungen ist, wird wohl ewig sein Geheimnis bleiben. Oder war es etwa nur ein dramaturgischer Kniff Petersons?

Endlich auf See wird der Film immerhin etwas interessanter, denn Meteorologen kündigen den großen Sturm an, den Tyne ignoriert. Doch die Fische beißen wieder nicht und den Zuschauer ereilt die lange Weile, die nur durch Mann über Bord und Hai an Bord unterbrochen wird.

Da wird die parallel verlaufende Rettung eines Hobbyseglers mittels Rettungshubschrauber schon fast interessanter als der eigentliche Hauptplot, denn hier wird endlich geboten, worauf man gewartet hat und Peterson enttäuscht den Zuschauer nicht. Die Effektorgie, die im Kino aber noch weit intensiver faszinierte, hat schon fast biblischen Ausmaße und spielt mit den Rettungskräften wie mit den Schiffbrüchigen, bringt beide in Gefahr und lässt schließlich die Retter ins Meer stürzen. Industrial Light & Magic zeigt hier einmal mehr, warum sie zur Elite gehören, denn so realistisch und atemberaubend toste das Meer noch nie.

Während dessen ist man auf der „Andrea Gail“ immer noch beschäftigt persönliche Differenzen zu klären, an Frauen zu denken und endlich den großen Fischfang zu machen. Leider gibt aber just in diesen Moment die marode Eismaschine ihren Geist auf, was die Crew vor eine Entscheidung stellt: Durch den Sturm fahren und abkassieren, oder warten und den Fisch vergammeln lassen. Man entscheidet sich für die lukrative Variante und findet sich schon bald in einem Hurrikan wieder, der neben Böen von 190 km/h auch 30 Meter hohe Wellen zu bieten hat. Man kämpft, man fightet und obwohl das stark lädierte Boot eigentlich schon 20 Mal voll gelaufen sein müsste und Clooney sich Ahab-like mit einem Schneidbrenner am Mast hoch angelt scheint es der Crew nicht zu gelingen dem Sturm zu entkommen. Da drehen sie bei…

Grundsätzlich kann man den Film in zwei Abschnitte(n) unterteilen und bewerten: Mit Sturm und ohne. Die schon erwähnte fehlende Substanz, versucht Peterson mit der detaillierten Darstellung der Figuren wieder wett zu machen, in denen er ihnen Gründe unterschiebt, warum sie diesen riskanten Trip mitmachen. Nur leider interessiert das den Zuschauer genau so wenig wie das Fischen und die Differenzen an Bord. Der Star ist „Der Sturm“, welcher während der ersten Hälfte durch die Meteorologen auch oft genug angekündigt wird, aber sich einfach nicht zeigen will und die Geduld der Zuschauer auf eine harte Probe stellt.

Dafür entschädigt die zweite Hälfte für viel, obwohl es im Endeffekt auch nur Eyecandy ist. Peterson zelebriert hier ein Ungewitter, dass seines gleichen sucht. Non-Stop-Action verbindet er mit atemberaubenden, riskanten Rettungsaktionen, schnellen Schnitten und Klasseeffekten, die für den Oscar nominiert worden sind. Als Zuschauer wird man mitten ins Geschehen gerissen, fiebert den Kampfs ums Überleben und traut bei der finalen Riesenwelle seinen Augen kaum.


Fazit:
Die beiden Filmhälften stehen im krassen Gegensatz zueinander. Ist der erste Teil eine langweilige, uninteressante Charaktervorstellung ohne nennenswerte Höhepunkte, dafür aber mit viel Leerlauf, so ist die zweite Hälfte pures Adrenalinkino, das den Zuschauer das Meerwasser schmecken lässt und nach wie vor eine Referenz ist.

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