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"SHE´S NOT GONNA LET US OUT" - MÄNNER UND FRAUEN UND DAS WEITE MEER

Für Das Boot ist Wolfgang Petersen über Deutschlands Grenzen hinaus bekannt - insbesondere in Amerika. Und mit Der Sturm kehrte er ins Wasser zurück, diesmal mehr an der Oberfläche - was ruhig wörtlich verstanden werden darf - aber dennoch einprägsam.

Die Story lässt sich reduzieren auf die Begriffe "Mann" und "Natur": der Mann, vielmehr die Männer stellen sich der Gefahr, die ebenso abschreckt wie lockt, wollen ihre Familie ernähren oder gründen oder verdrängen, dass da etwas im Argen liegt. Der einsame Mann, vielmehr die einsamen Männer im Kampf gegen Urgewalten: so muss das sein. Dementsprechend gibt es auch stets und mehrfach ein großes Hallo der Männerfreundschaft sobald ein schwieriges Unterfangen im Zuge der großen Fischfangmission gemeistert ist. Die (übrigens an Kriegspathos-Filme und -Games erinnernde) vordergründige Musik von James Horner wird nicht müde, den Zuschauer zu versichern, dass da jetzt nicht einer nach dem anderen das nasse Grab findet. Das ist relativ clever, bedenkt man das Ende des Films. Bis zuletzt und immer aufs Neue gelingen die Anstrengungen im Kampf mit Wind, Wetter, Wasser, Technik, Hai und internen Animositäten. Hai? Nun, in gewisser Weise ist Der Sturm ein strukturelles Abziehbild des Spielberg-Klassikers. Nachdem der lange Auftakt die Figuren und die Notwendigkeit einführt, erneut und diesmal in größerer Gefahr auf Fischfang zu gehen (die Kritik am wirtschaftlichen Denken, wie es bei Spielberg an der Figur des skrupellosen Bürgermeisters des Touristenstädtchens Amity geübt wurde, ist bei Petersen auf den Chef der Reederei übertragen worden), ähnelt der Überlebenskampf auf dem Hochseefischkutter durchaus dem Drei-Mann-und-der-Hai-Unternehmen in Spielbergs Film. Bloß macht Der Sturm den Hai nachträglich zu einem Pars pro toto und gewährt ihm einen kleinen Gastauftritt: wo die Spielberg-Bestie, lange Zeit ungesehen, plötzlich auftaucht und angreift, ist der endlose Ozean, bald ins Gigantische vom Sturm aufgepeitscht, allgegenwärtig und dabei dennoch unberechenbarer als der Monsterfisch: von dem lässt sich zumindest im Kino nichts Anderes als ein tödlicher Angriff erwarten, das Meer jedoch ist ruhig und schön, rau und schrecklich je nach wechselhafter klimatischer Stimmungslage. Übersetzt in traditionelle Geschlechterrollen und Erzähltopoi bedeutet das: das Meer ist dem Manne die unberechenbare Frau, wetterwendisch und phaszinierend. Daher auch die geradezu mythische Liebe zu diesem menschenfeindlichen Lebensraum, aus dem doch alles Leben entspringt. Wenn auch die Frauen in Der Sturm, die sich der Liebe ihrer Kerle gewiss sein können (daran lässt der Film keinen Zweifel), daheim im Fischerdorf bang auf ihre Männer auf Feindfahrt warten: so groß kann offenbar keine Liebe sein, dass der Skipper oder Matrose dafür sein Meer und den Fischfang ließe. Im Film klingt das dann so:

Bobby: I got a woman who I can't stand to be two feet away from.
Tyne: Congratulations.
Bobby: Then again, I love to fish.
Tyne: Son, you've got a problem.
Bobby: Yeah. I know.

Und nachdem der abgekämpften Crew endlich wieder klares, warmes Sonnenlicht entgegenstrahlt, nur für einen Moment, dann schlagen Sturm und Meer wieder zu (eine schöne und starke Szene, die indirekt mit den Gesichtern und dem sich wieder auf sie legenden Schatten erzählt), da erkennt Skipper Tyne: "She's not gonna let us out." Die See ist eine Frau, der Mann ist ihr verfallen und folgt ihr bis in den Tod.

Wie gesagt: die Story lässt sich reduzieren darauf. Leider hat Petersen sie aber nicht wirklich darauf reduziert. Er will stattdessen auch noch das historische Ereignis des Hurricane "Grace" im Jahre 1991 im Kino nachspielen. This film is based on a true story. Neben dem bereits erwähnten Aspekt des für den schnöden Mammon riskierten Lebens und die mal problematischen, mal anrührenden Beziehungskisten an Land versteigt sich Petersens atlantischer Survivalfilm zu mehreren Parallelhandlungen, die ihn zu einem umfassenderen Katastrophenfilm der Nautik machen sollen. Oder ihn auf eine vernünftige Länge bringen, wenn der Begriff hier erlaubt ist. Weder der Meteorologe an seinem Arbeitsplatz, noch die unbedarften Segeltörner auf ihrer Nussschale und der Rettungshelikopter mit seiner Proficrew tragen außer weiteren Filmminuten wirklich Nennenswertes bei, zumal die Action auf Tynes Schiff "Andrea Gail" allein durchaus sehenswert, furios und mehr als ausreichend für einen spannenden Abendfüller ist. Millionen und Abermillionen Liter an Wasser und Pixel an Bildinformation wurden hier durcheinander gewirbelt und den Darstellern um die Ohren geblasen. Da stört es regelrecht, wenn man durch Schauplatzwechsel von Deck gezerrt wird und der Film seine große Intensität dann immer wieder neu aufbauen muss. Petersen hat da die tragische Geschichte und seine kraftvolle Inszenierung zugunsten einer unnötigen Zerfaserung untergraben und nun kann es leicht angehen, dass der Filmgenuss des Zuschauers ins Wasser fällt. Mehr Verdichtung auf die sechs Hauptfiguren und eine Konzentrierung auf den schwankenden Ort des Geschehens - und Der Sturm wäre ein Meisterwerk geworden, bei dem die Besprechung mythischer Dimensionen (s.o.) nicht ein wenig lächerlich gewirkt hätte.

Dennoch: der Film ist kein kompletter Reinfall, er ist trotz allem überraschend gut, nämlich fesselnd. Petersen hat schon beängstigendere Machwerke vorgelegt. Um es mal so zu sagen: Der Sturm umschifft mit Ach und Krach und Müh und Not so gerade seine eigenen Klippen - für das Auge grandios und für den anspruchsvolleren Zuschauer weniger, für die nächste Kreuzfahrt gar nicht zu empfehlen.

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