Review

Gute Filme zu machen kann manchmal so einfach sein: Man nehme drei großartige Schauspieler, beschränke die Handlung auf fast nur einen Raum, füge eine durchschnittliche Krimi-Story hinzu, dreimal umrühren. Fertig. Heraus kommt ein Kammerspiel der Oberklasse...

Silvester in einem kleinen Dorf an der französischen Atlantikküste. Der Notar Jerome Martinaud (Michel Serrault) wird zu einer Zeugenaussage aufs Revier gebeten. Binnen kürzester zeit sind zwei kleine Mädchen vergewaltigt und ermordet worden und immer war Martinaud in der Nähe. Schnell fällt der Verdacht von Inscpector Gallien (Lino Ventura) auf Martinaud. Es entsteht ein psychologisch gekonnt geführtes Verhör, bei dem der Beschuldigte immer wieder auf geschickte Art und Weise ausweichen kann. Erst durch Chantal Martinauds (Romy Schneider) Aussage, die ihren Mann schwer belastet, scheint der Fall klar zu sein.
Doch dann kommt alles anders, als erwartet....

Wie ich oben schon angeführt habe ist die Story nichts wirklich Besonderes. Sie hätte genauso aus einem „Tatort“-Film stammen können. Doch Eines unterscheidet „Das Verhör“ von den üblichen Fernsehkrimis. Zum Einen schafft er es das gesamte Potential der Story herauszuholen und geschickt auf den Punkt zu bringen. Zum Anderen beschränkt sich die gesamte Geschichte im Großen und Ganzen nur auf drei Schauspieler und einen Ort, nämlich das Verhörzimmer. Claude Miller schafft es eine ungeheure, spannende Atmosphäre zu erzeugen, die den Zuschauer ans Bild fesselt. Dazu trägt neben den exzellenten Schauspielerleistungen auch die Ausleuchtung des Raumes bei, der kalt und trist wirkt und so beim Publikum ein Unbehagen hinterlässt. Geschickt wurde hier das Geschehene mit dem aktuellen verbunden. Im richtigen Zeitpunkt wird man durch Rückblenden an die Tatorte geführt, welche einem nie lang aber immer kurz genug gezeigt werden, sodass man sich den Schrecken ausmalen kann. Neben dem kriminalistischen Teil präsentiert uns Miller noch ein zwischenmenschliches Drama und bietet so einen Blick hinter die Oberflächlichkeit der High-Society. Dieser Teil ist quasi auch die Wendung im Film. So bietet der erste Teil, trotz des ernsten Themas, einige Passagen in denen man Schmunzeln, ja sogar Lachen muss, was vor allem an den zynischen Kommentaren des Martinaud liegt. Nach dem Erwähnen des Privaten bzw. des Auftretens von Chantal erlebt der Film einen Umbruch. Das vormals heitere, auflockernde Element verschwindet und dem Zuschauer bleibt die Tristesse, passend zur verregneten Nacht. Gegen Ende wird die Schuldfrage auf zwei Ebenen behandelt. So stellt Miller nicht nur die juristische Schuld in den Raum, sondern auch die moralische Schuld. Letztere ist der Antrieb vor Martinauds Handeln zum Schluss hin. Wie ein Faustschlag ist dann das tragische Ende, was den Verlauf des kompletten Filmes auf den Kopf stellt, und schon fasst wie aus heiterem Himmel kommt.
Dies unterstreicht jedoch die Intention rund um die Schuldfrage und ein Jeder darf sich dann die Frage für sich selbst beantworten. Was ist schlimmer, moralische oder juristische Schuld?

Wie schon einmal angeführt wurde sind es hier hauptsächlich die Schauspieler, die den Film zu dem machen, was er ist. Lino Ventura, Michel Serrault und Romy Schneider, Namen die man sich auf der Zunge zergehen lassen muss, vereint in diesem Kammerspiel.
So ragen hier besonders Ventura und Serrault hervor, die sich ein brillantes Spiel liefern. Ventura auf der einen, Serrault auf der anderen Seite. Es entsteht ein kongenialer Schlagabtausch, wie man ihn selten gesehen hat. Besonders Serraults zynische Darstellung des Martinaud zu Beginn, gepaart mit dessen 180° Drehung zum Ende hin gehören genauso gelobt, wie Venturas Darstellung des hin-und hergerissenen Inspector, der sich nicht daran glauben kann, dass ein so angesehener Bürger zu solch einer Tag fähig sein kann. Als I-Tüpfelchen tritt Romy Schneider auf. Komplett in schwarz gehüllt, meist im Halbdunkel oder komplett im Dunkel ist sie auf eine gewisse Art ein Mysterium, das Zünglein an der Wage. Sie kann hier quasi über Schuld und Unschuld entscheiden und agiert fast wie eine Henkerin.

Für wen ist der Film nun das Richtige? Sicherlich für alle Freunde des Krimis aber auch Leute, die abseits des oft seelenlosen Hollywoodfilms der Neuzeit auf Entdeckungsreise gehen oder einfach mal wieder gute Schauspielleistungen sehen wollen. Der Film ist simpel, verfehlt aber seine Wirkung nicht. Heute wird wohl eher gedacht: „Warum einfach, wenn es auch kompliziert geht?“ Geht’s aber meistens nicht. Deshalb ist dieser Film ein kleines Juwel. 8/10

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