Mit dem vorangestellten Hinweis auf den angestrebten Realismus dieser Milieustudie mußte ich spontan an Straße ohne Namen denken, bei dem William Keighley einen Undercovereinsatz im dokumentarischen Stil erzählt. Er tendiert dort jedoch auch dazu, die Ermittlungsarbeit zu glorifizieren und läßt so kaum mehr Raum für eine Darstellung des kriminellen Habitus. Bei Razzia in Paris, der Verfilmung eines Auguste Le Breton Romanes, geht Henri Decoin wesentlich subversiver vor. Die in Kommentaren zurückhaltende, fast schon emotionslos kalte Darstellung der pariser Unterwelt entwickelt sich zur wahren Stärke dieses Krimis.
Der Zuschauer lernt die Funktionsweise eines Drogenrings über die Augen des verdeckten Ermittlers Henri Ferré (Jean Gabin) kennen, der sich vom Boss Paul Liski (Marcel Dalio) anheuern läßt, um für ihn den Rauschgiftmarkt zu kontrollieren. Ferré legt dabei kaum moralische Allüren an den Tag. Gabin verschmilzt nicht nur mit seiner Figur. Als Ferré verschwimmen die Konturen zwischen Unrecht und Gesetz. Ruppig und mit harter Hand weiß er sich Respekt zu verschaffen, zuckt kaum mit der Wimper, wenn er ein Urteil im Sinne der Organisation verhängt, welche ironischerweise über ein eigenes, weit weniger humanistisches Rechteverständnis verfügen.
Aus den geschickt ausgearbeiteten, alltäglichen Konflikten innerhalb der kriminellen Struktur bezieht Decoin schließlich seine Spannungsmomente. Es gibt keinen Glanz, keine großen Reden oder theatralisch überspielte Figuren. Es gibt auch keinen lebenden Ausstieg aus der Organisation, welche sich selber hierarchisch überwacht. Die eigene Exekutive ist mit sadistischen Killern besetzt. Ferrés Position ist relativ hoch und seine Funktion deckt sich mit seinen ermittlerischen Interessen. Er läßt sich in die gesamten Vertriebswege der Drogen einführen. Für den Zuschauer waren diese Bilder sicherlich in den Fünfzigern spektakulärer, jedoch beeindruckt Razzia in Paris heute an dieser Stelle mit seiner relativen Sachlichkeit.
Vom Drogenlabor ausgehend, aus dem die Kuriere nur jeweils ein Kilo Koks auf einmal abholen dürfen, damit sie sich mit der wertvollen Fracht nicht aus dem Staub machen, bis hin zu Zwischenhändlern und Endverkäufern werden verschiedene Facetten behandelt. Es ist ein Blick hinter die Kulissen der Gastronomie. Ferré selbst leitet ein Restaurant, in dem nahezu alle Gäste ihre Pistole schnellstmöglich verschwinden lassen, als die Schmiere einen Poliziebesuch ankündigt. In Hinterzimmern anderer Betriebe frönt man dem Glücksspiel oder raucht Opium. An anderer Stelle dient eine Bar direkt als Konsumfläche für Haschisch. Hierarchisch absteigend spielt schließlich auch der Drogenkonsum unter den Verbrechern eine Rolle. Außerdem nähert sich die Organisation hier dem Bürger, zum Beispiel über ein drogenverkaufendes Blumenmädchen.
Als Ferré sich die unauffälligen Übergabetricks erklären läßt, wird immer klarer, wie sich die kleinen Fische der wohl größten Gefahr aussetzen und zugleich unter dem Erfolgsdruck der Organisation stehen, die einen Mindestumsatz verlangen. Ganz leise versteckt sich hinter Razzia in Paris die Information, daß die ganz großen Ganoven kaum ins Netz zu gehen pflegen, denn selbst die Stellung Liskis, zu dem nur die wenigsten Zugang haben, kann Ferré nur vermuten. Dieser ist vielleicht der Boss für Frankreich, doch den obersten Boss, den kennt wirklich niemand.
Razzia in Paris ist so neutral, daß auch die Polizei nicht in ein positives Licht gerückt wird. Ihr Durchgreifen erscheint ebenso hart, wie das der Gauner. Drastische Verhörmethoden oder Ferré, der am Ende kaum mehr persönliche Wandlung zeigt, als er die Pistole nun immer noch primär zum Selbstschutz, sekundär diesmal jedoch in der Funktion des Kriminalisten auf die Kriminellen richtet, wirken als notwendige Übel. Da der Zuschauer abseits von Ferré ansonsten aber kaum Einblick in die Polizeiarbeit erhielt, hat er weder die Menschen, noch deren Alltag kennengelernt. Somit wird auch keine echte Option geboten, sich über eine Identifikation mit den Gesetzeshütern gegen Schurken zu positionieren, die man ja in der dargestellten Parallelwelt viel eher menschlich entdecken konnte.
Nur über die feinen, nahezu unsichtbar gesponnenen dramaturgischen Fäden scheint sich der Sumpf des Verbrechens und der Drogen wie von selbst als ein Lebenstil zu entlarven, welcher nicht erstrebenswert wirkt. Die im Prolog angeführte Absicht erfüllt Razzia in Paris somit erfolgreich. Obwohl ebenfalls dosierte Gewaltdarstellung beeinhaltend belegt Henri Decoin anschaulich, daß es keiner spekulativen Erregung bedarf, einen Sachverhalt in ansprechend photographierten Bildern darzulegen.