Review

Einen Film mit seiner literarischen Vorlage zu vergleichen ist immer schwer und auch ein wenig ungerecht. Dazu kommt auch die meist unverhältnismäßig große Verehrung der literarischen Vorlagen gegen die Filme meist eh nur verlieren können. Jack Ketchum's Buch "Evil" (OT: The Girl next Door) schildert die Geschichte des leider wahren Fall von Silvia Likens, die brutal zu Tode gefoltert wurde. Zwar verpackt der Roman diesen ganzen schrecklichen Fall in eine geradlinige und den Regeln der Dramaturgie folgende Geschichte, macht aber überdeutlich, dass als Grundlage die authentische Geschichte aus Indianapolis aus dem Jahre 1965 diente. Das Buch wie der Film wird aus der Sicht eines Kindes, dass zwar nicht direkt an den Taten teilnahm aber durch seine Untätigkeit ebenfalls nicht frei von Schuld ist, erzählt. Das Buch ist geradezu konventionell geschrieben, mit typisch King'scher Kleinstadtidylle, einem der Norm entsprechendem Storyaufbau und einer recht simplen wenn auch um Differenzierung bemühten Gut/Böse Zeichnung. Das einzige was nicht der Konvention entspricht, ist das Thema selbst und die daraus resultierende furchtbare Gewalt. Jack Ketchum versuchte eine, meiner Meinung nicht aufgehende, Verquickung aus einer der Realität entliehenen Gewaltstudie mit einer in jeglichem Sinne herkömmlichen Ausführung.

Man möchte weinen angesichts der verpassten Möglichkeiten. Buch wie Film schöpft nicht einmal ansatzweise diese sehr verstörende aber auch versteckt faszinierende Geschichte aus. Es beginnt schon bei der Wahl des Hauptprotagonisten, dass durch ein eher passiv bleibendes Kind repräsentiert wird. Wie mutig und auch interessant wäre eine Inszenierung aus der Sicht der Täter gewesen. Es mag vielleicht nicht wünschenswert sein solche Taten psychisch zu erfassen oder nur ansatzweise zu verstehen aber eine direkte Konfrontation mit einer so verachtenswerten Täterin wie Ruth Chandler hätte Potential für eine entlarvende wie unbequeme Gewaltstudie über Täter- und Mittäterschaft gehabt. Voraussetzung, ein fähiger Regisseur. Aber gut, ich möchte den Film nicht für etwas kritisieren was er nicht ist, bzw. für etwas was ich gerne in ihm gesehen hätte.
 
"Evil" macht es sich einfach zu leicht, er ist nicht einmal ansatzweise in der Lage dieses schwere wie komplexe Thema adäquat umzusetzen. Die Charaktere bleiben schlicht zu blass und wirken in jeglicher Hinsicht schablonenhaft und austauschbar. Das ist ein Problem über das man bei "gewöhnlichen" Filmen nur zu gerne hinwegsieht, aber hier wirkt es geradezu fahrlässig. Nicht nur dass sie uninspiriert gezeichnet wurden, sind sie auch noch von eher untalentierten Schauspielern verkörpert, so das man sich bald an stümperhafte Soap-Operas erinnert fühlt. So bleiben als einziges Dramaturgie- und Spannungselement die immer ausufernderen Demütigungen und Folterungen die der Film fast genüsslich zu zelebrieren scheint. Es ist ein Dilemma dass sich der Film bzw. das Buch aber auch selbst auferlegt hat. Wie kann man mit Hollywood-typischen und herkömmlichen narrativen Mitteln ein solch auffallend sensibles Thema anpacken ohne in die fragwürdigen Sphären von Exploitationfilmen abzudriften? Entweder man blendet die eigentlichen Taten aus (z.B. Polanski's "Der Tod und das Mädchen), oder versucht eine direkte Konfrontation mit der Gewalt bzw. den Tätern ("Clockwork Orange"). "Evil" schafft (oder will) weder das eine noch das andere. Um auf das direkte zeigen der Taten zu verzichten, müsste der Film zumindest in der Lage sein das Thema anderwärtig zu bearbeiten, etwa mittels ausgefeilter Dialoge, subtilen Spiel der Schauspieler oder auf surrealer Ebene, sprich in Metaphern und Symbolen verbleibend. Eine direkte Gewalt- bzw. Täterkonfrontation findet angesichts der schwammig gezeichneten und sich zum Publikum opportunistisch verhaltenden Identifikationsfigur sowieso nicht statt.
 
Also folgt Regisseur Gregory Wilson den ausgetrampelten wie einfallslosen Pfaden des klassisch erzählten Hollywooddramas. Versucht aber seine vorgezeigte biedere Kleinstadtidylle zu demaskieren um eine brodelnde, latent Gewaltbereite Gesellschaft bloßzustellen. So richtig funktionieren will das allerdings nur in der Szene, in der David seinen Vater um ein Gespräch ansucht. David, der durch die schrecklichen Vorfälle nach moralischem Halt sucht, versucht seinem Vater die Geschehnisse mitzuteilen, doch bekommt neben einigen halbgaren Sprüchen sogar noch eine Legitimation bezüglich Gewalt gegenüber Frauen zugesprochen. In jener Szene merkt man deutlichsten das verschenkte Potential. Die Frage nach scheinbar legitimer und akzeptierter Gewalt in unserer Gesellschaft wird zwar kurzzeitig laut, versandet aber trotz gutem Ansatz im biederem wie mutlosem Inszenierungsstil. Auch die filmische Auseinandersetzung mit der Täterin bzw. den Tätern bleibt in seiner eindimensionalen Durchführung stecken. Durch die schlichte Dämonisierung der Täterin Ruth, entmenschlicht sie der Film zusehend und macht eine psychologische haltbare Auseinandersetzung gänzlich unmöglich.
 
Richtig ärgerlich wird es aber wenn Gregory Wilson, nachdem er bei Charakterisierung und gesellschaftskritischen Ansätzen versagt, die Folter als reißerischen Aufhänger benutzt. Zwar immer um Betroffenheit pochend, haftet ein eklig voyeuristischer Blick an jenen Szenen. Wie im Buch gibt es hier eine konstante Steigerung in den gezeigten Gewaltszenen. Wenn man nur durch solche Szenen den Zuschauer bei der Stange halten kann, dann ist durchaus Zweifel angebracht. Nicht das mir das alleinige Zeigen dieser Taten so aufstoßen wurde, nein, es ist vielmehr das unreflektierte, mit Spannungsbogen versehene zelebrieren jener Szenen. Dabei spielt es auch keine Rolle, dass das Buch wesentlich expliziter zur Sache geht und der Film im direkten Vergleich geradezu harmlos aussieht. Und es stimmt auch, "Evil" verzichtet weitgehendst auf detailliertes Draufhalten der Gräueltaten, doch ändert dies nichts an der fragwürdigen Inszenierung. Bei einem solchem (authentischen) Thema wünscht man sich schlicht, ein bißchen mehr als eine stetig an Intensität steigende Zurschaustellung diverser Folter und Demütigungspraktiken, mag dahinter auch eine noch so wohlwollende Absicht stecken.
 
"Evil" ist schlicht nicht in der Lage mit den seinen zu Verfügung stehenden Mitteln dieses komplexe wie aufwühlende Thema zu tragen. Tragischerweise wird durch jenes Unvermögen, die entsetzliche Begebenheit der Geschichte trivialisiert und auf Publikumskonforme wie effektvolle Schauwerte reduziert. Dem Film muss man allerdings zu Gute halten, dass er auf das furchtbar unpassende, Rachegelüste befriedigende, Ende des Buches verzichtet hat und im Vergleich eher unaufgeregt ausklingt.

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