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Furchtbar, wie sehr man im Laufe der Jahre bei den täglichen Nachrichten aus aller Welt abstumpft. Sobald einmal mehr eine Kinderleiche in einer Tiefkühltruhe gefunden wird, weicht das anfängliche Entsetzen nach einiger Zeit der Alltäglichkeit. Dabei werden die Abstände kürzer. Und dann muss man erst von einem Geisteskranken hören, der seine Tochter 24 Jahre im Keller gefangen hielt und mit dieser auch noch sieben Inzest-Kinder zeugte.
Das unbegreifbare des Abscheulichen hält nun länger an, die Realität ist doch grausamer als jeder Horrorfilm. Mit diesem Wissen, angelehnt an das Schicksal der Sylvia Likens, die in den 60ern in Indiana ein unvorstellbares Martyrium erlitt, stellt „Jack Ketchum´s Evil“ eine verdammt harte Zerreißprobe des Erträglichen dar.

Wenn man nahezu ohne Vorwissen an diesen Film herangeht, wähnt man sich zu Beginn eher in „Stand by me“ –Stimmung. Der mittlerweile über 50 Jahre alte David sinniert an seinem Schreibtisch, merkwürdig kalt lässt ihn die Tatsache, dass fast er statt eines alten Mannes auf der Straße angefahren worden wäre. Mit dem Sommer 1958 veränderte sich sein Leben entscheidend, zu jener Zeit, als die Waisenmädchen Meg und Susan Laughlin bei Pflegetante Ruth in der Nachbarschaft einzogen.
Nachfolgend steht die Retrospektive im Vordergrund, mit jenen Begebenheiten, die Davids Leben für immer verändern sollten.

Dabei ist vom späteren Terror zunächst kaum etwas zu spüren als David und Meg beim ersten Zusammentreffen am Ufer eines Sees nach Flusskrebsen fischen.
Die Welt scheint in Ordnung, Meg ist ein aufgewecktes hübsches Mädchen und David findet seinerseits spontan Gefallen an ihr.
Auch die etwas groben Umgangsformen von Ruths Söhnen lassen anfangs noch nicht erahnen, welche Eigendynamik ihr Treiben unter der Fuchtel der selbstgefälligen und verbitterten Frau entwickeln wird.
Geschickt wird an der Terror- und Spannungsschraube gedreht, die sich latent enger zudreht und beim Zuschauer ein Unbehagen auslöst, welches sich schleichend in mitfühlende Qual und erdrückende Machtlosigkeit wandelt.

Diese Sicht verdeutlicht gleichzeitig, wie sich der Junge David seinerzeit gefühlt haben muss. Stets unter der Fuchtel der teilweise älteren Jungs aus der Nachbarschaft, den Missbrauch und die Entwürdigungen gegenüber den Mädchen hilflos beiwohnend, vertraut er sich seinem Vater an, ohne ihm überhaupt auf den Punkt mitteilen zu können, was in ihm und vor allem in der Nachbarschaft vor sich geht.
Wie kann jemand helfen, der in seinen jungen Jahren noch keinen Plan davon hat, ein derartig menschenunwürdiges Verhalten einzuordnen und in Worte zu fassen, zumal die Medienpräsenz solcher Gräueltaten in den 50ern so gut wie gar nicht vorhanden war.
David wird, ebenso wie der Zuschauer, mit einer erschreckend gleichgültigen Kälte dem Leidensweg der jungen Mädchen ausgesetzt.

Reflektiert werden die Ereignisse der Täter nicht, was die Taten im Einzelnen noch viel grausamer erscheinen lassen. Auch über Ruth Motivation lässt sich lediglich spekulieren. Sie hat den Kindern ihre eigenen, total verqueren Moralvorstellungen aufgedrückt, in einer Mischung aus Eifersucht und dem Projizieren des eigenen Versagens innerhalb des familiären Gefüges, denn Mädchen sind grundlegend Schlampen und verdienen es, wie solche behandelt und infolgedessen erniedrigt zu werden.
Wie selbstverständlich raucht und trinkt sie in Gegenwart der Kinder und spornt sie zu gleichem an, verteilt in den frühen Morgenstunden Bierdosen und kontrolliert, wann und in welcher Form ihre Söhne und deren Freunde das gepeinigte Mädchen behandeln dürfen.
Stunden, Tage, Wochen erleidet Meg Qualen, mit den Armen an den Holzleisten im Keller befestigt, die Augen zugebunden, nichts ahnend, welches Leid sie als nächstes treffen wird.
Derweil ist David machtlos, die kontrollierende Präsenz von Ruth erschlagend, der zunächst kontaktierte Polizist viel zu arglos und Möglichkeiten zur Flucht oder gar Gegenwahr nahezu aussichtslos.

Es schnürt einem die Kehle zu. Die Folter wird nie explizit gezeigt und doch im Geiste des Betrachters das Schlimmste ausmalend fast unerträglich, denn es sind Kinder, die Kindern Gewalt antun und deren Phantasie kann, auch im Negativen, verflucht schmerzhaft ausfallen.
Es staut sich eine ungeheure Wut gegenüber den Peinigern an, die gegen Ende, - im Gegensatz zum realen Fall – nur zum Teil entladen werden kann, wobei auch nachfolgend keine weiteren Hintergründe erwähnt werden.
Der Zuschauer wird intensiv mit der Thematik konfrontiert und sieht sich auch danach einigen Fragen hilflos ausgesetzt, was unweigerlich zu nachhaltigen Diskussionen führt.

Dieses Sozial-Drama hat es in sich. Es bietet schwer verdaulichen Stoff, intensiv und schockierend und zugleich die Frage stellend, ob denn die zeitgenössische Medienpräsenz nicht schlicht darüber hinwegtäuscht, dass es schlechte Menschen mit noch schlechterem Einfluss nicht auch schon vor Jahrzehnten gab.
Im Märchen „Aschenputtel“ beispielsweise findet sich eine ähnliche Konstellation, - geschundenes Mädchen in der Obhut einer Niederträchtigen -, doch anders als in der Fiktion, das möchte man am liebsten ganz weit von sich abschirmen, sieht die Realität tatsächlich manchmal weitaus grausamer aus.
9 von 10

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