Jack Ketchum´s Evil
(Galileo Media)
Es gibt Filme, die erwischen einen kalt und unvorbereitet. Man lehnt sich zurück, freut sich auf einen spannenden Filmabend und wird einfach nur gepackt, durcheinander gewirbelt und ausgelaugt zurückgelassen. Vielen unvorbereiteten Zuschauern wird es so wohl bei Jack Ketchum´s Evil ergehen. Ich hatte vor einiger Zeit dieses Erlebnis, als ich das Buch las, welches ich ohne Vorwissen begann, und erst aufhörte, als ich es ausgelesen hatte. Umso gespannter war ich, als ich erfuhr, dass dieser dort beschriebene Fall nicht nur einmal, sondern sogar zweimal verfilmt werden soll. Hier gehe ich nun detaillierter auf Jack Ketchum´s Evil ein, welcher sich an dem Roman orientiert.
Die Geschichte spielt Ende der 50´er, und der Zuschauer erlebt die Ereignisse aus der Sicht des 12 jährigen David, welcher uns zu Beginn des Filmes als mittlerweile erfolgreicher erwachsener Mann vorgestellt wurde. Dieser erinnert sich an die Ereignisse aus seiner Jugend, als er in einem kleinen idyllischen amerikanischen Dorf aufwuchs, wo jeder jeden kennt. Die Gruppe der Jungs um David treffen sich in ihrer Freizeit entweder am Fluss zum Krebse fangen oder bei der allein erziehenden Ruth, welche latent frustriert mit ihren drei Söhnen den Jungen eher als Ansprechpartner denn als Erzieherin vorkommt. Neben der eher lockeren Art des Umganges mit den Heranwachsenden gestattet sie ihnen den Genuss von Bier, beantwortet Fragen unkonventionell offen (man befindet sich in den 50´ern), und gibt ihnen Freiräume, die den Jungen in ihren tatsächlichen Familien verwehrt bleibt. Als Ruth zusätzlich ihre zwei Nichten aufnimmt, deren Eltern bei einem Autounfall umkamen, wächst die unterschwellige Überforderung schnell in ein offen aggressives Auftreten gegen die beiden Mädchen. Kleinste Verfehlungen werden schnell extrem sanktioniert, Hass auf ihre Situation auf die Mädchen übertragen, und diese letztendlich für ihr persönliches Scheitern verantwortlich gemacht. Hierzu missbraucht sie die Jugendlichen, diese durch gezielte Manipulation soweit zu treiben, dass diese ihr treiben decken, später sogar mitmachen. Dabei entgleist das bestrafende Verhalten schnell zu einem offenen Sadismus, bei dem eines der Mädchen im Keller gefangen gehalten und gefoltert wird.Die Situation eskaliert zunehmend und zieht alle Beteiligten in einen katastrophalen Sog. Regisseur Gregory Wilson liefert mit seinem zweiten Spielfilm einen wirklich intelligenten, aufrüttelnden jedoch schwer verdaulichen Brocken von einem Film ab. Die hier aufgezeigte Thematik schafft es, den Zuschauer fassungslos und nachdenklich vor dem Bildschirm verharren zu lassen. Da auf jegliche stylische Effekthascherei verzichtet wurde, besteht an keiner Stelle des Filmes die Gefahr, ihm einen beschönigenden oder plakativen Hintergrund vorzuwerfen. Die Brutalität und Aggression der Beteiligten ist roh, unverfälscht und ungeschönt, findet aber oftmals auch nur im Hintergrund statt, so dass der Zuschauer gezwungen ist, was noch viel intensiver wirkt, sich die Ereignisse vorzustellen. Da es sich bei der vorliegenden Version um einen Promo - Screener handelte, war hier natürlich kein Bonusmaterial vorhanden. Die Kaufversion wird allerdings mit einem Making of, diversen Interviews mit Cast und Crew und einigen Audiokommentaren (unter anderem von Autor Jack Ketchum) ausgestattet sein. Interessant ist, dass innerhalb eines sehr kurzen Zeitraumes zwei verschiedene Versionen derselben realen Geschichte filmisch aufgearbeitet wurden. Ist der Film An American Crime eine auf die Originalakten basierende Aufarbeitung, so ist Jack Ketchum´s Evil die Verfilmung des Romans. Unterschiede findet man bei der Veränderung der Namen als auch bei der einen oder anderen Ungenauigkeit der historischen Fakten, ansonsten liefern beide Filme ein eindringliches Plädoyer. Geht An American Crime zum Ende des Filmes auch auf die gesetzlichen Konsequenzen für die Beteiligten ein, liefert Jack Ketchum´s Evil eher einen psychologischen Blick auf die wirkenden Mechanismen während der Ereignisse. Jack Ketchum´s Evil ist ein beeindruckender, fesselnder und aufwühlender Film, der in keiner Sekunde den moralischen Zeigefinger hebt, sondern den Zuschauer als mündige Person sieht, die sich selber eine Meinung über das Gesehene bilden muss. Eine psychologisch- sozilogische Charakterstudie, wie man sie schon lange Zeit nicht mehr im filmischen Bereich geboten bekommen hat!
CFS