In einem ärmlichen Viertel von Tokio leben O-Some (Masako Tsutsumi) und ihre Schwester Chieko (Ryuko Umezono) im Haus ihrer strengen, altmodischen Mutter (Chitose Hayashi), zusammen mit zwei adoptierten, jüngeren Schwestern. Die älteste Schwester O-Ren (Chikako Hosokawa) hat das trostlose Elternhaus bereits hinter sich gelassen und lebt mit einem Musiker zusammen. Während die jüngeren Schwestern sich gehen lassen und die Herrschaft ihrer Mutter schweigen akzeptieren, bemüht sich O-Some sowohl um die Gunst ihrer Mutter als auch um persönliche Freiheit- um letztlich doch immer wieder die eigenen Bedürfnisse zurückzustecken…
Der innere Konflikt, durch dessen Unterspielung die Protagonistin O-Some im Verlauf der Handlung mehr und mehr zerbricht tritt in einer Schlüsselsequenz zu Beginn des Films zutage: Wie jeden Abend schwärmen sie und ihre Schwestern, von der Mutter befehligt, aus um sich als Musikantinnen in Bars und Lokalen anzubieten. O-Some gerät in eine verrauchte Bar voller betrunkener Männer, die ihr höfliches Angebot mit anzüglichen Gesten und ihren Gesang mit unwirscher Ablehnung erwiedern. Als O-Some auf Wunsch eines einzelnen Gasts weiter singt, betätigt ein anderer Gast die Jukebox aus der ein Schlager von der Schallplatte erklingt. Resigniert lässt O-Some ihr Instrument sinken um in der nächsten Szene bereits wieder freundlich zu lächeln. Das erzwungen traditionsbewusste Mädchen wird hier brutal mit dem „Fortschritt“ konfrontiert, der ihre Tätigkeit erübrigt, die von dem Zeitgeist nicht weiter geschätzt wird.
O-Some könnte eigentlich im Japan der 30iger Jahre eine als moderne junge Frau leben, würde sie ihre eigenen Interessen nur mit Konsequenz und einer gesunden Portion Egoismus mehr verfolgen. Sie versucht, sich durch einen Kompromiss mit der gesellschaftlichen Hierarchie, die der japanischen Frau Individualität und Unabhängigkeit erschwert, zu arrangieren. Und dieser Kompromiss sieht bei ihr folgendermaßen aus: Äußerlich die meiste Zeit den konservativen, überholten Vorstellungen der Öffentlichkeit Genüge tun, im entscheidenden Moment aber dennoch den eigenen Willen über alles stellen und sich bestimmten Dingen auch zu verweigern. Ein Spagat, der unmöglich gleichmäßig zu halten ist und zwangsläufig zu Frustration führen muss. Während ihr ersteres also glanzvoll gelingt, bleibt sie sich bei der Durchführung des letzteren nicht treu.
Immer wieder spielt sie für kleine, verständliche „Ungehorsamkeiten“ ihrer Schwestern den Sündenbock, hilft hier und dort aus und steckt dabei stets die eigenen Sehnsüchte und Bedürfnisse lächelnd zurück. Als starke Persönlichkeit mit Profil wird sie nur in zwei Szenen, dort aber mit Nachdruck, gekennzeichnet: Als ein Gast in einer Bar sie sexuell belästigt, ihr musikalisches Angebot aber unwirsch ausschlägt und seinen aufdringlichen Annäherungsversuch wiederholt, geht dabei ihr Instrument zu Bruch. Wütend wirft sie einige Münzen vor dem Mann auf den Tresen und sieht ihn durchdringend an. Als kurz darauf die Wirtin angestürmt kommt und sie hinauszerren will, reißt sie sich trotzig los.
Ebenso die Rückblenden, in denen O-Some ihrer etwas flatterhaften jüngeren Schwester Chieko die als Tänzerin im Theater auftritt und ihre Abende im Gegensatz zu ihren Schwestern mit ihrem Freund verbringt, von der ältesten Schwester O-Ren erzählt und ein leiser Neid um deren vermeintlich freieres, glücklicheres Leben mitschwingt.
O-Some springt nur ihren Schwestern zuliebe nie über den eigenen Schatten. Die Mädchen brauchen einen Ausgleich zu der kaltherzigen Autorität der Mutter und O-Some fühlt sich dazu verpflichtet, als gütigere Mutter-Figur ein herzliches, äquivalentes Gegengewicht zu bieten. Das sie über dieser Rolle konsequent den Schaden ignoriert, den ihre eigene Seele dabei nimmt, ist Teil ihrer selbst auferlegten Lebensaufgabe.
Was sich nun wie ein erschütterndes Psychogramm liest, erscheint auf der Leinwand tatsächlich als bittersüßes Melodram und trotz seiner tiefen, vom Zuschauer intensiv nachempfundenen Traurigkeit erstaunlich leichtfüßig und auch modern.
Denn unter Berücksichtigung der Entstehungszeit und auch für sein Herkunftsland Japan, das noch heute mit den Schatten der Vergangenheit und einer Ungleichheit der Geschlechter zu kämpfen hat, ist Mikio Naruses „Drei Schwestern mit reinem Herzen“ mit Sicherheit ein wichtiger und ungewöhnlicher Film der 30iger Jahre und stellenweise auch deutlich liberaler als westliche, zeitgleich entstandene Auseinandersetzungen mit dieser Thematik.
Die zwischenmenschlichen und sozialen Vorgänge werden von Naruse oft über einfache, spielerische Symbole zum Ausdruck gebracht – in einem ebenfalls auffälligen Ausmaß. Bei dem ersten gezeigten Treffen von Chieko und ihrem Freund schwenkt die Kamera auf die Füße der beiden – und ihre modernen Stöckelschuhe sowie seine ärmlichen, klobigen Holzpantoffeln. Jene werden in Chiekos Familie von allen, auch von O-Some getragen, nur sie – die lebenslustigste der Schwestern – verwehrt sich der Tradition, stellt sich schon durch ihre Kleidung, vor allem aber ihre keckes Auftreten, gegen ihr Elternhaus und verbringt nur wenig Zeit dort. „Ich bin glücklich wenn du nur glücklich wirst“ sagt O-Some in einem Gespräch, das sich um ihre Beziehung der Schwester dreht, zu Chieko. Wenn sich die eigene Sehnsucht für die Schwester erfüllt, glaubt O-Some auch einen Teil des verdienten Friedens zurückgewinnen zu können.
Gleichzeitig kann Chieko den Idealen ihres Elterhauses nicht sang- und klanglos entkommen. Den Weg versperrt ihr Freund - eben diese Holzpantoffeln die er trotz angedeuteten Wohlstands trägt – deuten an, das er so selbstlos, nett und fortschrittlich dann doch nicht ist. Später fragt er Chieko „Brauchst du Geld?“. Ein unwilliger Unterton scheint in dieser Frage mitzuschwingen.
Das erneute Treffen mit O-Ren wirkt schließlich als desillusionierender Katalysator auf O-Some. Die Erkenntnis das sie bisher keinen ihrer Träume verwirklichen konnte und stets nur darauf bedacht war, die ihrer Mitmenschen zu verwirklichen sowie die Abhängigkeit, die daraus erwachsen ist – schließlich erwartet jeder von der engelsgleichen O-Some selbstlose Hilfsbereitschaft deren Ausbleiben auch ihre Beliebtheit mindern würde – ist bitter. Und wird doch, genauso wie alle anderen misslichen und betrüblichen Ereignisse zuvor von ihr mit stoischer Ruhe hingenommen. Doch unbewusst zieht sie einen Schlussstrich den sie kurz darauf, bei der Abreise O-Rens in das Heimatdorf ihres todkranken Ehemanns – noch einmal nachfahren wird.
Eine starke Schlusseinstellung schließt einen starken Film. Mikio Naruse schenkt seiner Protagonistin viel Verständnis, ein Kopfschütteln des Zuschauers ob ihrer beachtlichen, lächelnd akzeptierten Selbstverleugnung bleibt aus – weil Naruse ihm Respekt gegenüber dieser starken, letztlich aber doch zu schwachen Frau beibringt. Sowohl dank der erfrischend locker und auch kurzweilig erzählten Geschichte als auch der Inszenierung, die selbst heute keinesfalls angestaubt wirkt, ein überraschend moderner Film über Frauen, die auf unterschiedliche Art und Weise und unterschiedlichem Ergebnis versuchen, sich in einem rückständigen und emotionslosen Umfeld zu behaupten. Auch die beachtlichen Leistungen der lebendigen Hauptdarstellerinnen und die melodiöse, zurückhaltende Filmmusik sind positiv hervorzuheben.