Seit einiger Zeit ist Shion Sonos neuester Streich "Exte" bei uns zu haben und schon häufen sich die hilflos-irritierten Kritikversuche, die sich im Gerede von "diesen verrückten Asiaten" erschöpfen, als ob wir es nicht erstens mit einem typisch japanischen Film und zweitens mit einem typischen Sono zu tun hätten.
Daher auch die Schwierigkeit, den Film in die übervolle J-Horror-Schublade zu stopfen. Ebenso wie "Strange Circus" und "Suicide Club" erlaubt dieser Film das einfach nicht, wenn er auch das bereits in vielen Filmen dieses Genres zu beobachtende, sich überall verbreitende schwarze Haar als Symbol für das unfassbare Grauen weiblicher Natur aufgreift und in wahrhaft haarsträubenden Bildern auf die Spitze treibt. Inmitten dieser Bilder sehen wir Chiaki Kuriyama in ihrer vielleicht ersten wirklichen Hauptrolle, ganz ungewohnt nicht als verschlagenes Teufelsweib (wie in Kill Bill, Azumi 2, Krieg der Dämonen usw.), sondern als gutherziges Mädchen Yuko, das sich und seine Umwelt glücklich machen möchte, und dies durch ihren Traumberuf "Stylistin" umzusetzen gedenkt. Da der Film aber den problematischen Hintergrund dieser vermeintlichen Idylle aufdeckt und die traurige Vergangenheit Yukos thematisiert, ohne sie breitzutreten, ist er ebenso auch Familiendrama. Yukos Schwester, die den völligen Gegenpol zu ihr darstellt und ihr ihre kleine, misshandelte Tochter namens Mami achtlos zur Pflege überlässt, nur um sie wenig später wieder brutal zurückzufordern, gibt eine augenscheinliche Hassfigur ab - später jedoch erkennt man, dass auch sie nur ein Opfer einer sinnleeren hedonistischen Lebenswelt ist. Genauso wenig wie diese sich betäubende Spaßgesellschaft einen Platz für familiäre Verantwortung bietet, ist dies in der Arbeitswelt des Friseursalons "Gilles de Rais" der Fall, wo Yukos Konfliktlage von ihrer Chefin lediglich mit der Aufforderung beantwortet wird, ihr Leben in den Griff zu kriegen.
Bereits die erste Szene, in der Yuko liebevoll ihre kleine Stadt vorstellt, macht sie sehr liebenswert und lässt kaum ahnen, dass sie eine traurige Vergangenheit mit diesem Gebaren vor sich selbst verbergen möchte. Ihre egoistische Schwester, die Yuko offenbar ihr ganzes Leben tyrannisiert hat, legt diese Vergangenheit unbarmherzig offen, nur um damit ihre eigenen, gegenwärtigen Verfehlungen zu rechtfertigen. Der tatsächliche Horror in diesem Film sind weniger die sich in anständiger Computer-Animation überall verbreitenden Haare, sondern die Momente, wenn Yukos Schwester schemenhaft hinter der Glastür erscheint und wütend dagegenpocht, während ihre Tochter ängstlich vor der Tür zurückweicht - und in anderen Situation Mami die erstaunte Yuko aufgrund von bitteren Erfahrungen anfleht, sie nicht zu schlagen.
Sono macht es also ein weiteres Mal den Zuschauern, die es genretechnisch immer am liebsten ganz einfach und eindeutig haben, recht schwer. Ist ihm das als Manko anzukreiden? Wohl kaum. Vielmehr zeigt sich hier der Mut, sich keiner Seite anzubiedern. Der Film ist sowohl (augenzwinkernder) Horror als auch Familiendrama, hält aber m. E. hervorragend die Balance zwischen den beiden Schwerpunkten. Wie in Strange Circus spielt wieder Fetischismus eine gewichtige Rolle, und es gibt wieder ein tolles vom Regisseur komponiertes Lied ("Hair, hair, my hair, hair" - einfach wunderbar), mit dem sich Ren Osugi in einer unglaublichen Rolle als durchgeknallter Haarfetischist profilieren darf. Origineller als seine Rolle ist nur noch sein irrwitziger Abgang, bei dem wir Shion Sono endgültig verschmitzt durch den ganzen haarigen Horror hindurch lächeln sehen. Chiaki Kuriyama überzeugt auch außerhalb ihres bisherigen Rollenklischees vollkommen, was zumindest bei mir aber auch recht einfach ist - mich lassen diese Augen ohnehin einfach nicht los.