Die Dixie Chicks, gegründet 1989, sind die kommerziell erfolgreichste Frauenband aller Zeiten. Mit Auszeichnungen und Lob überschüttet, kam die Musik immer schon bei einem großen Publikum an und überzeugte durch die facettenreiche Instrumentierung auch die Kritiker. Von jeher hauptsächlich in der Country-Szene zuhause entwickelte sich der Stil der Band in den letzten Jahren immer mehr in Richtung Pop, weg von den Bluegrass-Einflüssen der frühen Tage und weg vom Cowgirl-Image.
„Shut up and Sing“ ist keine herkömmliche Musikdokumentation. Der Werdegang und die persönlichen Geschichten der Bandmitglieder bleiben weitest gehend außen vor, viel mehr beschränkt man sich auf einen entscheidenden Einschnitt in der Karriere der Band. Leadsängerin Natalie Maines gab auf einem Konzert im Jahre 2003 ein Statement ab, welches das Ansehen der Band stark in den Schmutz zog. Maines ließ verlauten, dass die Dixie Chicks sich schämen weil der amerikanische Präsident George W. Bush ein Texaner sei. Solche Aussagen ist man von Prominenten gewohnt, warum also spielt es eine Rolle, wenn sich nun auch die Chicks in die Riege der Bush-Gegner einreiht?
Ganz einfach: Bruce Springsteen, Madonna oder Schauspieler wie Sean Penn können es sich leisten die amerikanische Rechte anzufeinden, zu mannigfaltig ist das Publikum dieser Menschen. Doch die Dixie Chicks fanden nach wie vor (obwohl sie sich schon seit dem Ende der 90er von ihrem klassischen Stil weg bewegten) die meisten Fans in der Country-Szene. Und diese ist nun mal patriotisch, kronloyal und republikanisch veranlagt. Nur wenige Musikrichtungen sprechen derartig den typisch amerikanischen Geschmack an, mit ein Grund, warum die Dixie Chicks in Europa nicht den riesigen Erfolg aufweisen konnten wie in den Staaten.
Und so kam es zu einem beispiellosen Boykott. Tausende Fans schlossen sich kollektiv zusammen um ihren Unmut auszudrücken. Öffentlich zerstören sie ihre CDs und beleidigen die Band, bedrohen sie sogar ernsthaft in hasserfüllten Briefen. Radiosender boykottieren ihre Songs, Auftrittsmöglichkeiten werden in großem Maße gestrichen. Das Ende einer Ära schien gekommen. Grund hierfür war eine salopp ausgesprochene, spontane Äußerung, die dem konservativen Publikum einfach zu weit ging. Sogar Bush selbst sah das Ganze nicht eng, tat es als lapidar ab. Umso überraschender, dass die amerikanische Bevölkerung viel härter mit der Band ins Gericht ging. Natalie Maines entschuldigte sich im Fernsehen für ihre Wortwahl, doch stieß fast ausschließlich auf taube Ohren. Damit enttäuschte die Band jene Anhänger, die ihre Aussage für mutig und wichtig hielten, Inkonsequenz und Unehrlichkeit waren die neuen Vorwürfe aus dem gegenseitigen Lager.
Den Löwenanteil des Films nimmt aber die Auferstehung der Dixie Chicks ein. Nach mehr als zwei Jahren des herben Rückschlags orientierten sich die selbstbewussten Frauen endgültig neu und schwören dem Country, dem Genre das die groß machte, anscheinend vollständig ab. Verständlich, denn eine glaubwürdige Rehabilitierung des ehemaligen Images hätte wohl kaum geklappt. Unter der kreativen Leitung des Erfolgsproduzenten Rick Rubin entstand parallel zu den Dreharbeiten des Films das 2006er Album „Taking The Long Way“, bei dem man schon mit der provokativen Covergestaltung mit der amerikanischen Scheinheiligkeit abrechnete. Wer politische Korrektheit erwartet sollte sich von nun an nicht mehr die Alben der Dixie Chicks kaufen.
„Shut Up and Sing“ bietet einen intimen Blick auf die schwierigste Zeit der Dixie Chicks. Obwohl man sich deutlich auf die Seite der Band stellt ist der Film nüchtern inszeniert, wartet nicht mit unnötig verklärendem Selbstmitleid auf. Eben dieser unverfälschte Eindruck unterstützt die Wirkung aber genau richtig: Die befragten Fans aus dem rechten Lager sprechen für sich,
Einen emotionalen Höhepunkt stellt die Geburt der Zwillinge von Emily Robinson dar. In jener Szene wird deutlich, wie tief die emotionale Bindung der Bandmitglieder zueinander ist. Ihr starker Zusammenhalt ermöglichte ihnen schließlich auch ein fulminantes Comeback, nach über 15 Jahren ist die Band näher zusammengewachsen als je zuvor. Auch die stärken als Live-Band werden in verschiedenen Konzertausschnitten überdeutlich, die Erfahrung und den ungebrochenen Enthusiasmus versprühen die Damen geradezu, ganz zu schweigen von der immer ausgereifteren musikalischen Bandbreite.
Dementsprechend abwechslungsreich gestaltet sich der schön zusammengestellte Soundtrack, der einen Einblick gibt die verschiedenen musikalischen Stärken der Band, seien es flotte Folk-Nummern, gefühlvolle Balladen oder erfrischend kreative Popmusik. Da es nur Musik der Chicks zu hören gibt kann sich der unerfahrene Zuschauer ein gutes Bild machen über die musikalische Ausrichtung. Dennoch verkommt der Film niemals zu einem dumpfen Werbefilm: Das liegt einerseits in der Tatsache begründet, dass sich die Band selbst nicht in eine eindimensionale Opferrolle begibt, andererseits sorgt die versierte Regie von Oscar-Gewinnerin („American Dream“, „Harlan County USA“) Barbara Kopple für den richtigen, distanzierten und doch hautnahen, Grundton. Schon in „Wild Man Blues“ ermöglichte sie einen persönlichen Blick auf die musikalische Seite Woody Allans und sammelte unter anderem beim neu aufgelegten Woodstock-Festival von 1994 bereits ausreichende Erfahrung als Konzertfilmerin.
Der Unterhaltungswert bleibt über die gesamte Spielfilmlänge von knapp 90 Minuten auf einem konstanten Niveau und schafft es ohne plakative Übertreibungen den Zuschauer zu fesseln. Allenfalls das Backstage-Material, welches die Frauen privat zeigt, ist etwas zu ausführlich vorhanden, zumindest im direkten Vergleich zu den Sequenzen, die die Protestaktionen zeigen. Wer sich aber ernsthaft auf den Film einlässt, wird verstört sein angesichts der unverhohlenen Intoleranz, mit der die Konservativen Amerikas auf diese klitzekleine Provokation reagierten.
Fazit: Interessante Dokumentation über die freie Meinungsäußerung. Unglaublich, welch ein Hass entstanden ist unter den ehemaligen Anhängern der Band, und das für ein verhältnismäßig harmloses Statement. Aufgrund intoleranter Starrköpfigkeit verlor die Country-Szene einen ihrer wichtigsten Vertreter – das interessant aufbereitete und abwechslungsreich erzählte Thema ist nicht nur empfehlenswert für Country-Fans sondern für alle die sich für moderne Popkultur interessieren.
7,5 / 10