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Wer sich von Shane Meadows "This is England" einen realistischen Skinheadreißer erwartet, wird wunderbar auf die Schnauze fallen, denn Meadows geradezu aufreizend entspannt moderne Sozialdramen tragen neben dem kritischen Kern auch immer eine Menge für die dargestellten Figuren zur Schau und vermeiden komplette Schwarz-Weiß-Zeichnung.

Tatsächlich stellt "This is England" einen kleinen persönlichen Blick zurück dar, zeigt Figuren in einem zeitlichen Zusammenhang, der längst vergangen ist. Ein Personendrama mit politischem Hintergrund also, das sich aber nicht nur an den kritischen Tönen abarbeitet, sondern auch stets mit einer nostalgischen Note verbunden ist.
Im Zentrum steht natürlich die "verlorene Jugend" des zwölfjährigen Shaun, dessen Vater im 1983 noch immer aktiven Falklandkrieg gefallen ist und der mit seiner Mutter in ein Küstenstädtchen in den Midlands gezogen ist. Dort ist der eh schon schweigsame und nachdenkliche Junge so lange allein zwischen der Anfang den 80er Jahre aufblühenden Jugendkulturen, bis eine Gruppe von Skinheads ihn in ihre Mitte aufnimmt, erst als eine Art Maskottchen, dann als vollwertiges Mitglied. Dabei werden allerdings noch keine Klischees aufgewärmt, sondern die Bezüge zu den 60er Jahren, als die Bewegung entstand noch benannt. Skinheads sind hier noch eine akzeptable Gruppe zwischen anderen, die Ska und Raggae hören und ansonsten eher aus ironischem Protest zum Gammeln, Herumalbern und fröhlichen Zerstören neigen, teenagerhafte Nichtstuer mit einem ausgeprägten Freundes- und Klamottenkodex.

In diesen Gruppenstrukturen, wo Können und Wissen weniger zählt als Kameradschaft - die handelnde Gruppe setzt sich hauptsächlich aus der Arbeiterklasse zusammen, mit mäßigen Jobs und einer eher gesellschaftskrischen, aber nicht feindlichen Einstellung - findet auch Shaun den nötigen Anschluß, den ihm nicht mal seine Mutter verwehrt, als sie die Freunde ihres Sohnes kennenlernt. In der Folge wird sogar eine sich anbahndende Romanze mit der wesentlich älteren Smell (hier mischen sich einmal die Skins mit der New-Wave-Gruppe) toleriert, die im Laufe des Films bereits volljährig wird.
Daß sich die Figuren alles in allem nicht eben immer durch angewandte Intelligenz auszeichnen, ist Meadows dabei bewußt, aber nie egal, er wirft einen eher liebevollen Blick auf den naiven Umgang mit den Umständen, schließlich sind einige der Filmepisoden autobiographisch gefärbt.

Doch schlußendlich handelt "This is England" ja vom Ende einer Kindheit, von ihrem Verlust, was die notwendigen negativen Veränderungen bedingt, ausgelöst durch den aus dem Gefängnis entlassenen Combo, der mit rassistischen und fremdenfeindlichen Gedankengut in die Gruppe zurückkehrt und diese alsbald spaltet. Für Shaun findet Combo, der weniger selbst politisch, als vielmehr vom Leben und seinen Gefühlen enttäuscht ist, jedoch die richtigen Worte, so daß er dessen Anti-Ausländerhaltung annimmt, weil er damit dem Tod seines Vaters einen Sinn geben will.
In einer Schlüsselepisode fährt Combo mit den verbliebenen Anhängern zu einer politischen Versammlung im Hinterland, wo britischen Nationalisten sie für ihre Zwecke einspannen wollen, eine Szenerie die man sich auch in deutschen Landen mit Stammtischphilosophen und Neonazis problemlos vorstellen kann.

Interessant ist, daß Meadows mit dem Nationalismus in der Thatcher-Ära nicht abrechnet, sondern ihn einfach als historisches Ereignis präsentiert, seine Figuren sind dann auch keine strammen Anhänger, sondern eher von den Anforderungen und der Gewaltbereitschaft irritierte Jugendliche, die zwar einigen Frust transportieren, aber deswegen noch lange nicht von heute auf morgen gewaltbereite Schläger sind. Ambivalenteste Figur bleibt der brodelnde Combo (Stephen Graham), der neben einer Portion kaum gezügelter Agressionen auch demagogische Fähigkeiten besitzt, jedoch seine Gefühle (speziell für ein Mädchen der Gruppe) kaum unter Kontrolle hat, weswegen ein finaler Gewaltausbruch, der Shaun schließlich zu einem resignativen Umdenken (?) bewegt, auch eher persönlicher denn rassistischer Natur ist.

Meadows Film ist trotz brisanter Thematik nicht eben ein komplexes, dichtes Drama, sondern mehr eine Meditation über den Verlauf der Jugend. Die Handlungselemente und Plotstücke sind eher Schlaglichter oder Vignetten, immer wieder unterbrochen durch entspannte Musikeinlagen und Zeitlupenaufnahmen der Darsteller, wie sie durch ihre längst vergangene Zeit schlendern. Die Dialoge wirken meist improvisiert, natürlich und ungezwungen, die Reaktionen dementsprechend genauso natürlich und die Erwartungshaltungen an ein rassistisches Drama wird immer wieder unterlaufen, was dem Vergnügen jedoch keinen Abbruch tut, außer man legt Wert auf eine enorm stringente Spannungskurve, die es hier nicht gibt.
Hier liebt der Regisseur noch seine Figuren, auch die Dummen und die Schlechten, weil sie echt und voller Leben sind, bar jeder Fremdschämmentalität. Gleichzeitig dokumentiert er beiläufig die Entwicklungen in der Szene, die dazu führten, daß Leumund und Ansehen der Szene einen starken Niedergang durchmachten, der bis heute breitenwirksam nie korrigiert werden konnte.
So ist "This is England" nicht mehr und nicht weniger als ein lakonisches und liebevolles Zeitdokument, daß man an Originalschauplätzen auch 20 Jahre später noch problemlos nachstellen konnte: eine verlorene Jugend im anonymen Nirgendwo einer erstarrten Gesellschaft. Die vier Jahre später erstellte Fortsetzung war da praktisch schon programmiert, denn die Geschichten wurden hier nicht zuende erzählt. (8,5/10)

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