Eines Tages kommen die drei Musiker Koen (Norman Baert), lispelnd, Jan (Gunter Lamoot), schwul, und Ivan (Sam Louwyck), schwerhörig, zum etablierten Schriftsteller und Schlagzeuger Dries Van Hegen und bitten ihn, in ihrer Band mitzuspielen, damit sie bei dem bevorstehenden Wettbewerb gute Karten haben, zu gewinnen. Nach einer geringen Bedenkzeit willigt Dries ein und startet damit einen Streifzug durch das niedere, belgische Dorfmilieu. Nicht nur kann er die sozialen Missstände (Jan hält seinen Vater ans Bett gefesselt, Koen schlägt Frauen blutig und schläft mit Jans Mutter, Ivan gibt seinem Kind Drogen) in sein nächstes Buch einbauen, sondern sich auch mal auf ein ganz anderes Niveau herablassen und sich von dieser niederen Lebensart berieseln lassen.
Koen Mortiers Regiedebüt kommt äußerst strukturiert daher; wo sich andere Filme ob der Vielzahl an Figuren bereits in der Einführung verhaspeln, begleitet einen hier der Off-Kommentar des Protagonisten und beschreibt Besonderheiten, die ansonsten erst vom Zuschauer entdeckt werden müssten. Das spart Zeit und ermöglicht dem Film, sehr schön gezeichnete Charakterportraits zu erstellen - eine Milieustudie sozusagen. Während man als Zuschauer anfangs noch eine gewisse Distanz zum Film wahren kann, was unter anderem an den vor Witz und Originalität sprühenden Dialogen liegt, nimmt er einen im weiteren Verlauf doch immer härter ran. Spätestens als Ivans Kind stirbt, kann man sich nicht mehr entspannt zurücklehnen. Genauso scheint es auch Dries zu gehen, der sich immer weiter in der neuen Lebensweise verliert und am Ende zur Selbstjustiz greift, um den status quo zumindest ein Stückchen näher in Richtung Normalität zu bringen. Der Film bricht hier absichtlich im Stil, unterlässt den Off-Kommentar des Protagonisten, damit man sein Handeln unvoreingenommen in Frage stellen kann. Der Film geht sogar soweit, einige der vielen Figuren zu Wort kommen zu lassen, damit neue Blickwinkel auf das Geschehen geworfen werden können - ein Wechsel der Erzählstruktur, der hinterfragt werden sollte, aber welcher auch einen notwendigen Kompromiss darstellt, denn sowohl Dries Off-Kommentar als auch jene persönlichen Einblicke in die Denkweisen der Nebenfiguren sind essentiell.
Nonkonformistisch und hochgradig kreativ gestaltet sich dabei die Inszenierung: Schon die rückwärts abgespielte Einführungssequenz wird durch die stilvoll eingebetteten Credits spannend und unterhaltsam präsentiert; später läuft Koen in seiner Wohnung stets an der Decke. Dazu kommen noch ein paar teils witzige Übertiebenheiten wie die Innenaufnahme einer übergroßen Vagina. Man kann sich an Ex Drummer definitiv nicht allzu bald satt sehen, so vollgepackt ist der Film mit Ideenreichtum. Auch der handwerkliche Aspekt vermag zu überzeugen; die Kameraarbeit ist qualitativ hochwertig und fängt zu jeder Zeit sowohl Stimmung als auch Tempo optimal ein. Das Ambiente verzichtet auf Sonnenscheinoptik und passt sich dem Thema mit nüchternen Dorfaufnahmen unter Regenwolken an. Dazu gibt es einen passenden und gelungenen Soundtrack.
Ex Drummer ist harter Tobak: Als ob der schonungslose Einblick in die belgische Unterschicht nicht schon ausreichen würde, verliert sich Mortier nicht in Melancholie: Überall, wo es Sinn macht, wird Gewalt gezeigt (ergo ziemlich häufig), ohne aber zu überteiben und den realitätsnahen Stil zu brechen; dies würde auch nur von den wahren Werten des Films ablenken. Die verwendete Sprache ist dazu aggressiv und reich an Schimpfwörtern. Und als I-Tüpfelchen (obwohl in entspannter Atmosphäre) gibt es sogar eine leicht verfremdete Hardcore-Szene, wobei sich die Verfremdung auf einen schwachen Transparenzfilter beläuft. Erstaunlich ist dabei die FSK 16 Freigabe, aber für die KinoKontrovers-Reiche wird offenbar gerne mal ein Auge zugedrückt...
Um noch ein Wort zu den Schauspielern zu verlieren: Zwar kannte ich vorher keinen der Belgier, die hier auftreten, aber da ich außer Van Damme nicht wirklich viele Belgier kenne, muss das nichts heißen. Durch die Bank weg sind alle Darsteller fantastisch und spulen das niedere Leben virtuos ab. Allesamt sind sehr glaubhaft, was einen Großteil der Atmosphäre ausmacht!
Insgesamt kann ich beinahe ausschließlich positive Worte über Ex Drummer verlieren: Tolle Inszenierung und Darsteller und ein fesselndes Thema, wenn auch die Geschichte kein Überhammer sein mag. Die Charakterstudien sind gelungen, denkwürdige Situationen gibts zuhauf. Nur verwundert in einem so gut konstruierten Film die eine oder andere unpassende Szene (Wozu die Hardcore-Einstellungen?). Ansonsten ein super Film!