Review

Ex Drummer
"Vier behinderte Kerle aus Ostende - The Feminists"

"Wo ist dein Vater?" - "Der hat wieder in die Hose geschissen" - [Pause] - "Die alte Drecksau"

Story:
Jan, Koen und Ivan, drei geistig fast-Behinderte mit Handicap. Jan, dessen linker Arm seit er von der Mutter beim Wichsen erwischt wurde steif ist, lebt in einem kleinen verkommenen Zimmer zusammen im Haus mit seiner Mutter, die seit dem Ertappen Jans durch einen Anfall plötzlichen Haarausfalls eine schmucke Perücke trägt, und seinem Vater, der in einer Zwangsjacke ans Bett gefesselt in seinem Zimmer vor sich hinvegetiert. Koen, politikloser Skinhead, dessen mal latent mal platt durchblitzende faschistische Art mehr auf Dummheit als auf tiefer Überzeugung basiert, verspürt im Gegensatz zu seinem homosexuellen Bandkollegen Jan, nur Befriedigung beim Misshandeln von Frauen. Einzig die fettleibige und ebenso glatzköpfige Mutter Jans zieht ihn immer wieder an - sein Lispeln kommt ihm als Sänger der Band ebenso ungeschickt wie der steife Arm des Bassisten Jan. Dritter der Runde ist der halbtaube Ivan als Gitarrist und zweiter Sänger. Ivan lebt zusammen mit seiner Frau, die gerne von ihrer stinkigen Fotze erzählt und dem Gärtner dessen Schwanz nach Taubekacke stank, in einem zugemüllten Abstellraum in dem zu allem Übel ihr Kind im Dreck mit vollgeschissenen Windeln spielt.
Die Katastrophe nimmt ihren Lauf als diese drei Individuen eines Tages beim erfolgreichen Autoren Dries vor der Türe stehen und ihn darum bitten die Band als Drummer zu vervollständigen. Da Dries kein Handicap, noch nicht einmal ein Muttermal vorzuweisen hat, wird seine Unfähigkeit die Drums zu beackern eben als Behinderung eingestuft. Fasziniert vom vor ihm stehenden untersten Prekariat der Gesellschaft und der Neugier hineinzusehen und bei Not ebenso schnell wieder verschwinden zu können willigt er ein und tauft die Band kurzerhand "The Feminists". Es geht um einen Auftritt der ihr Leben verändern soll. Das erste Rockfestival von Ostende und dafür gibt die skurille Ansammlung von Freaks und Losern, die sich gerne als "Vier behinderte Kerle aus Ostende - The Feminists" ankündigen lassen, alles. Ihre Hoffnung liegt auf ihrem Cover Smash Hit "Mongoloid"...

Meinung:
Das soll es erst einmal gewesen sein mit dem Plot, der mit dem Festival, das in seiner animalischen Art kaum noch zu überbieten ist, noch lange nicht seinen Höhepunkt gefunden hat, sondern sich in einer ebenso tiefsinnigen wie auch liebenswerten und doch verabscheuenden Finalszene entlädt.
Wie auf kaum einen anderen Film habe ich mich gefreut und bin dennoch in meinem Erwartungen nochmals überboten worden. Ich versuche es mal etwas strukturiert wiederzugeben.
Die Optik: phänomenale Bilder, die in leicht sepiafarben Tönen gehalten wurden, was dem ganzen Dreck eine seltsam warme Betonung verleiht die Optik aber wunderbar stützt. Bilder, wie das auf dem superschönen Plakat gezeigte, sind keine gestellten Szenen, sondern kommen auch so im Film vor. Wenn Koens Welt auf dem Kopf steht, dann tut sie das sprichwörtlich auch im Film, in dem er nicht nur in einer Szene an der Decke entlangläuft. Auf eine skurille, da sehr natürlich inszenierte Weise, werden diese Szenen durchaus auch mit einem Besuch der Bandkollegen, die auf dem Boden der Tatsachen stehen, kombiniert, was zu schwindelerregenden Einstellungen führt. Ebenso phänomenal ist der komplette Beginn des Filmes geraten, der im Trailer zu Anfang erkennbar ist und in dem der Film sehr lange Zeit rückwärts abgespielt wird - eine wahre Augenweide, was Koen Mortier uns hier in seinem Debut präsentiert.
Der Sound ist natürlich extreme Geschmacksache. Doch wer wie ich auf dreckigsten Trash-Rock direkt aus der Garage steht, verzerrte Instrumente und einen Gesang, den man nicht mehr als Gesang bezeichnen kann sondern, als einen einzigen verzerrten und beinahe fern von dieser Welt klingenden Krach, der wird diesen Sound lieben. Im Vergleich zu The Feminists dürfte sogar noch Guitar Wolf auf einen Award für saubere Mischung und klaren Sound hoffen. Der Mongoloid Song, den The Feminists an mehreren Stellen im Film performen und der auch im Trailer zu hören ist, beschreibt das Feeling des Filmes sehr gut, wenngleich er auch einen etwas aggressiveren Film erwarten lassen würde.
Denn das ist er nicht nur: der Film ist eigentlich ähnlich Trainspotting ein Film, der nicht permanent anekeln will, gleichwohl die gezeigten Dinge nichts anderes beim Zuschauer erreichen. Doch er will auch nicht (nur) kritisieren, denn er vermittelt wie Danny Boyles frühes Werk ein Gefühl für diesen Teil der Gesellschaft. Sie haben Ziele, Hoffnungen, ja sogar Träume und wenn der Schluß aus dem im Vergleich zum bis dahin gezeigten, sehr gegensätzlich wirkenden positiven und belustigenden Gesamtbild des Filmes herausbricht und die Menschen hinter der dreckigen Fassade zeigt, dann kann das sehr verstörend wirken. Wenn die bisher als besonders zum Belustigen geeignete Mutter Jans von ihrer Kindheit voller Kinderarbeit erzählt, oder Koen, der vorzugsweise Frauen auf Grund ihrer Art einzuparken, telefonieren oder zu rauchen mit Backsteinen die Visage zertrümmern würde, davon erzählt, wie wichtig ihm die Affaire mit Jans Mutter war, er im Prinzip nur eine Schulter zum anlehnen brauchte, dann stimmt das sehr nachdenklich. Überhaupt ist man die gesamte Zeit am hadern, wie man das Bild nun aufnehmen will, das Koen Mortiers hier zeichnet, bzw. wie er es gerne darstellen will. Will er nun den Menschen hinter der fehlenden Bildung, hinter dem ganzen Dreck und hinter dem vulgären Slang zeigen, will er "nur" Menschlichkeit zeigen oder will er mehr? Will er doch kritisieren, nimmt er doch die Position Dries' ein, der inmitten dieser Welt voll Drogen, Dreck und anstößigem Sex, wie ein Fremdkörper hinabsteigt um zu (wie es sehr schön auf der Homepage von Legend Films steht) kommentieren, manipulieren und intrigieren, bis er sich schließlich derart selbst überhöht und sich als engelsgleiche Erlöserfigur hochstilisiert um anschließlich in seinem cleanen Apartement Bilderbuchsex mit seiner schönen und sexuell völlig offenen Frau zu haben? Ich bin mir noch unschlüssig, letzten Endes ist es jedoch egal, was Koen erreichen will, denn was bei mir ankam sollte schlußendlich entscheidend sein. Doch genau darüber bin ich mir noch nicht ganz sicher. Es bleiben die Charaktere, die in ihrer einfachen Art durchaus sympathisch erscheinen, es bleiben aber auch Bilder des mit Kot spielenden Kindes im Kopf, nach dessen Tod Dries nur drakonisch zu sagen hat, dass solche Art von Menschen sich einfach nicht fortpflanzen sollten.Bei einem bin ich jedoch absolut sicher: Ex Drummer ist ganz großes Kino und zwar in jederlei Hinsicht: Sound, Optik, Inhalt und vor allem Darsteller (zu denen ich bisher nichts gesagt habe, sie aber nicht unerwähnt bleiben sollen, da sie durch die Bank hinweg ganz groß sind). Legend Films wäre blöd gewesen, diesen Film nicht in die Kino Kontrovers Reihe zu stecken, denn dass der Film bei Weitem mehr kann als nur zu unterhalten (denn das tut er ganz hervorragend - man kann sich den Film über konstant tot lachen, oder besser gesagt belustigen, über Dummheit, vulgären Humor, der so noch nie dagewesen ist, und die Charaktere in ihrer hilflosen Art) beweist er nicht nur im nachdenklich stimmenden Schluß.
Die Höchstnote kann ich (noch) nicht geben, da der Film in der Mitte einen (extrem) kurzen Hänger von wenigen Minuten hatte, der aber eigentlich nicht weiters störte.
Wer auf Vergleiche steht: am ehesten lässt sich der Film wohl als ein Trainspotting meets Pusher beschreiben, denn sowohl die Darstellung der Charaktere als auch die positive Darstellung des Verfalls hat er von Danny Boyles Werk, wobei Pusher durch Darstellung des ganzen vergleichbar ist. Auch bei Pusher folgt die Kamera mit einem stark charakterorientierten Plot stark dargestellten Figuren aus der Unterschicht.

9/10 Punkten
mit Potential nach oben (daher schonmal provisorisch hier die 10 eingetragen!

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