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Das Selbstbewusstsein der Produzenten, so viel sei schon mal verraten, scheint grenzenlos zu sein. Denn:

Im Jahr 2007 steigen die vier ehemals als Parodie auf asiatisch inspirierte Superheldencomics erschaffenen Mutanten-Schildkröten endlich wieder aus der Kanalisation empor. Nun, nicht ganz; genau genommen entschlüpfen sie diesmal einer wesentlich sterileren Location als der Kanalisation, nämlich dem Computer. Und dies geschieht volle 14 Jahre nach dem dritten und bis dato letzten Realfilm-Abenteuer, das man noch im Kino bewundern konnte.

Dabei wird so getan, als sei der 90er-Jahre-Boom um die Kreation der Comiczeichner Peter Laird und Kevin Eastman nie abgekühlt. Die Eröffnung von “TMNT” erinnert frappierend an den zweiten “Ghostbusters”: das ehemalige Team ist in alle Windesrichtungen verstreut, einige arbeiten noch zusammen, andere haben sich selbstständig gemacht. Es fehlt nicht einmal die Selbstparodie um den Figurenkult... wo Ray und Winston am Anfang von “Ghostbusters II” in Dienstkleidung auf Kindergeburtstagsparties erscheinen, um zu Ray Parker Jr.s Titelsong lustlos die Hüften kreisen zu lassen, geht die orangefarben maskierte Schildkröte Michelangelo exakt der gleichen Berufung nach, nur mit der Übersteigerung, auf den echten Schildkrötenschädel eine Schildkröten-Latexmaske setzen zu müssen. Wider Erwarten beginnt der Turtles-Film für das Postmillennium nicht mit einer behutsamen Einführung in die alten Gewohnheiten, etwa durch eine im Zeitraffer erzählte “Was bisher geschah”-Pretitle-Sequenz, sondern mit Selbstreflexion. Ein gnadenloser Wurf ins kalte Wasser - als habe sich der Zuschauer gefälligst an die überlebensgroßen “Teenage Mutant Ninja Turtles” zu erinnern.

Wie gesagt, das Selbstbewusstsein der Produzenten scheint grenzenlos zu sein.

Und es ist zunächst mal gerechtfertigt, denn dieser Film nimmt sich vor, die von Pixar, Dreamworks & Co. zelebrierte Honigkuchenwelt aufzubrechen. Für den Computeranimationssektor bedeutet der neue Turtles-Film in zweierlei Hinsicht eine Horizonterweiterung. Erstens hinsichtlich der Optik, die eine gewisse Düsternis zu generieren imstande ist, weil lobenswerterweise versucht wurde, den Comics mehr Tribut zu zollen als es die Kindertrickserie aus den späten Achtzigern tat. Zweitens hinsichtlich der Tatsache, dass nun eine etablierte Franchise in die autarke Welt der digitalen Geschöpfe eindringt. Und das bedeutet, dass von außen Regeln eingeführt werden, die nicht unbedingt mit der Allzweckformel “sprechende Tiere in heiterer Welt + lustige Dialoge in rührseliger Story = Erfolg auf ganzer Linie” kompatibel ist. Das hier dargestellte New York ist von schwarzen Schatten verschluckt und von zwielichtigen Gestalten bevölkert und es entstammt der Dimension anspruchsvoller, in New York spielender Comicadaptionen: Spider-Man, Daredevil, aber auch die Ghostbusters und eben die Real Movie-Turtles leben im hier dargestellten New York, demjenigen, das eben auch auf einem Abwassersystem erbaut ist.

Schade, dass die ansprechende Ausgangskonstellation allzu fahrlässig verspielt wird. Denn bei aller zur Schau getragener Düsternis, obwohl allzu kindgerechte Schwarzweißzeichnungen vermieden werden und sogar ein Bündnis vorkommt, das an “Blade 2" erinnert, im Herzen ist dieser Film eben doch nur ein Kinderfilm, beginnend beim Animationsstil.

Der nämlich ist allenfalls bei den vier Protagonisten als gelungen zu bezeichnen. Auch geht es nicht einmal um die Animationsqualität per se, denn Schatten- und Regeneffekte werden ebenso professionell eingesetzt wie eine dynamische Kamera, der es gelingt, sehr schnelle Sequenzen ausgesprochen ästhetisch einzufangen. Ein in der Laufzeitmitte stattfindender Kampf zwischen Leo und Raphael auf einem Hausdach bei prasselndem Regen setzt sogar ein echtes Highlight, dessen Zusammenspiel von Schnitt, Kamerafahrt und aufwendigen Regeneffekten absolut beeindruckend ist. Das Problem liegt in erster Linie bei den menschlichen Akteuren, die derart reduziert und vor allem kindlich animiert sind, dass die Barbie-CGI-Filme erschreckenderweise nur noch einen Schritt weit entfernt sind. Die extrem vereinfachten menschlichen Gesichter passen ganz einfach nicht zur charakterlichen Ambivalenz der meisten Figuren, was zur Folge hat, dass der komplette Film unter einer unausgewogenen Animation zu leiden hat insofern, als dass der düstere Look und die inhaltlichen Grauzonen sich nicht mit den menschlichen Wonneproppen vertragen, die eher als Interieur in die Märchenwelt von “Shrek” passen würden.
Wie angedeutet, kann man die vier Schildkröten ob ihrer physischen Präsenz und aerodynamischen Ästhetik von der Kritik ausnehmen, nicht jedoch ihren Sensei Splinter, der äußerlich wiederum von “Over the Hedge” in die Kanalisation gelangt zu sein scheint, geht man nach dem kubistischen Design seines Gesichtes. Eine gelöschte Szene auf der DVD verrät, dass die Gefahr bestand, Splinter auch in Sachen Figurenzeichnung einem Dreamworks-Abenteuer anzunähern; seine Würde und Weisheit durfte er allerdings letztendlich, wie immer mit einem Schuss Selbstironie (offenbar steht der Sensei auf die “Gilmore Girls”), behalten.

Gerne jedoch hätte man noch mehr Ansichten aus dem Innenleben der - man kann es wohl so ausdrücken - dysfunktionalen Familie aus der Kanalisation gesehen. In seiner kurzen Laufzeit konzentriert sich “TMNT” allzu stark auf seinen (ziemlich schwachen) Plot, der hauptsächlich über rasante Außenverfolgungsjagden vorangetrieben wird; zu wenig Zeit jedoch wird auf die kleinen Dinge des Lebens verwendet: Pizzen, Fernsehen und Computerspielautomaten. Die Gruppendynamik zwischen den vier Schildkröten ist das eigentlich Interessante an der Reihe, das lässt auch der vierte Kinofilm spüren, denn die Auseinandersetzungen zwischen Leonardo und Raphael sind, wenngleich im Grunde nur ein alter Hut, das mit Abstand interessanteste Element in der ganzen Storyline. Vielleicht wirkt der erwähnte Regenkampf in erster Linie auch deswegen so stark nach, während die Geschichte um die dreizehn Monster abgesehen von einem guten Gag (“Weißt du, was ich an euch unsterblichen Steintypen so hasse? Ihr seid unsterblich und aus Stein.”) schnell vergessen ist, inklusive der Blitz- und Donnereffekte und der sterilen Gegenspieler. Die stellen übrigens unter Beweis, wie sehr die “Turtles” dann doch abhängig sind von ihren Erzfeinden Shredder und Krang. Bei aller Eigenständigkeit.

So wäre ein zweiter Teil (wie schon mal kurz vor Schluss rotzfrech angekündigt) sicherlich eine tolle Sache, aber es würde gelten, einige Baustellen auszubessern. Es bräuchte passendere Animationen der menschlichen Gesichter, mehr Platz für Nichtigkeiten (man wünscht sich die Diskussionen über den Pizzabelag geradezu herbei), markantere Gegenspieler (falls möglich aus der dunklen Comic-Vergangenheit) und eine spannendere Geschichte, die deutlich weniger Luftblase ist. Die düstere, ambivalente Grundausrichtung hingegen sollte weiterhin verfolgt werden, dann könnte die Franchise endgültig auf ein neues Level durchstarten.

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