" Warum lässt du dich nicht von deinem Mann scheiden und heiratest einen Anderen ? - Du bist doch hübsch ! "
Tuya (Nan Yu), die junge mongolische Frau ist sogar sehr hübsch, aber im Gegensatz zu Sen'ge, der ihr diese Frage stellt, ist das für den unkundigen Beobachter kaum festzustellen. Denn Tuya, die auf dem Kamel sitzend ihre Schafherde nach Hause treibt, ist immer dick angezogen und trägt ihr Kopftuch weit in ihr Gesicht gezogen. Die karge mongolische Landschaft leuchtet in der Sonne und lässt die Eiseskälte von minus 25 Grad Celsius nicht erkennen, denn die Luft ist so trocken, dass man den Atem nicht sieht.
Immer wieder muß man sich diesen Umstand vor Augen führen, der die Bewegungen verlangsamt, der fließendes Wasser zum höchsten Gut werden lässt und der für Jeden, der nicht wieder rechtzeitig ins Warme kommt, den sicheren Tod bedeutet. Deshalb vernachlässigt Tuya ihre Schafe, als sie Sen'ge bewußtlos auf dem Boden liegen sieht, nachdem er betrunken von seinem Motorrad gefallen war. Sofort transportiert sie ihn nach Hause und reibt ihn mit Alkohol ein, um seine Lebensgeister wieder zu wecken.
Sie kennt seine Eskapaden schon, denn seine Frau hat ihn zum wiederholten Mal verlassen, weil er ihr finanziell nicht genug bieten kann. So ursprünglich das spartanische Leben in der hinteren Mongolei auch wirkt, so stark dringen die modernen marktwirtschaftlichen Tendenzen auch in diesen hintersten Winkel Chinas. Die Geschichten ,die in "Tuyas Hochzeit" von gescheiterten Ehen erzählt werden, handeln nie von einer unglücklichen Liebe, sondern immer nur von mangelndem wirtschaftlichem Erfolg. Deshalb wird Tuya geradezu mit Verwunderung begegnet, weil sie noch nicht die Konsequenz gezogen hat, sich von ihrem Mann Bater scheiden zu lassen.
Dieser hatte sich vor drei Jahren beim Bau eines Brunnens in der Nähe ihres Hauses so schwer an den Beinen verletzt, dass er nicht mehr laufen kann und Tuya seitdem die gesamte Arbeit machen muss. So sorgt sie nicht nur für ihre beiden Kinder, sondern auch für ihren Mann und beweist dabei eine unglaubliche Stärke. Doch ihr Körper kann damit nicht mithalten, so dass ihr der Arzt jegliche schwere körperliche Arbeit verbietet. Gemeinsam mit ihrem Mann beschliesst sie gezwungenermaßen ,sich scheiden zu lassen, um damit frei für einen neuen Ernährer zu werden.
Wie hoch Tuyas Attraktivität bekannt sein muss, ist daran zu erkennen, dass die Freier sich kurz danach die Klinke in die Hand geben. Die Szenen sind von einer Direktheit und derben Komik, dass es eine Freude ist, die verschiedenen Typen ,die mit Pferden, Motorrädern oder einer Mercedes-Limousine kommen, dabei zu beobachten, wie sie teils verlegen, teils durch einen älteren Verwandten vertretend um Tuyas Hand anhalten. Die Gespräche sind immer von Pragmatismus geprägt, aber Tuya hat eine wesentliche Forderung, die die Verhandlungen erschweren - sie will, dass ihr Zukünftiger für ihren früheren Mann mit sorgt.
"Tuyas Hochzeit" ist nicht nur ein äußerst lakonischer, auf jegliches Lokalkolorit verzichtender Film über die Veränderungen in einer archaischen Struktur, wie sie hier in der Mongolei noch bei den trotz Sesshaftigkeit nomadenhaft lebenden Hirten besteht, sondern auch ein Film über die Sozialisation, die die Menschen zwingt, in anderen Zusammenhängen zu denken, um ihre Familien zu schützen. Und damit gelingt Regisseur Wang Quan'an eine Thematik, die trotz des sehr abgeschiedenen Drehortes, von allgemeiner Gültigkeit ist.
Tuya entscheidet sich dann auch folgerichtig für den Reichsten der Kandidaten, einen ehemaligen Schulkameraden, der schon damals heimlich in sie verliebt war. Sie muss dafür ihre Heimat verlassen und ihr ehemaliger Mann kommt in ein Heim, für das der neue Mann bezahlt. Die Fahrt in dem Mercedes, die Übernachtung in einem Hotel und das zukünftige Dasein in einer chinesischen Grossstadt bedeuten schon starke Veränderungen zu Tuyas bisherigem Leben, aber sie wäre trotzdem dazu bereit. Diese Konstellation scheitert letztlich an den fehlenden Emotionen und damit leistet sich Tuya einen Anachronismus, denn sie verlässt den fähigen Ernährer zugunsten des Mitleids und der Liebe für ihren früheren Mann, der sich in dem Heim versucht umzubringen.
Wie selbstverständlich und souverän Tuya auf diese Ereignisse reagiert, zeigt sich stellvertretend in einem Satz, den sie sagt, nachdem ihr Möchtegern-Ehemann sie in dem Hotelzimmer zum Sex zwingen wollte. Er verteidigt sich mit dem Satz, dass er kein richtiger Mann wäre, wenn er es nicht vehement fordern würde. Sie sagt ihm nur, nachdem sie ihn abgewehrt hatte und aus dem Zimmer geht : " Das was du da gerade wolltest, macht mehr Spaß, wenn die Frau es auch will ". Einfacher und stimmiger kann man es nicht ausdrücken. Doch das Leben geht weiter und Tuyas Probleme haben sich nicht verringert, nachdem selbst der 15 Kilometer entfernte Brunnen versiegt ist. Doch da taucht ihr alter Feund Sen'ge wieder auf, der versucht den Brunnen am Haus weiter in die Tiefe zu bohren...
Regisseur Wang Quan'an, der hier zum dritten Mal mit dem deutschen Kameramann Lutz Reitemeier zusammenarbeitet, versucht gar nicht erst, den Eindruck zu erwecken, dass die gesellschaftlichen Veränderungen noch irgendwie aufzuhalten wären, aber er präsentiert mit der unglaublich intensiv agierenden Tuya eine Identifikationsfigur, die noch hoffen lässt, dass dadurch nicht sämtliche sozialen Empfindungen verloren gehen. Doch auch sie muß erkennen, dass das Glück nicht zu erzwingen ist und es für Jeden schwer sein wird, sich auf seine neue Rolle einzulassen, die die alten Vorstellungen von Stolz und Selbsterhalt nicht mehr befriedigt.
" Tuyas Hochzeit " endet mit der in dieser Situation besten Lösung, die auch dem Zuschauer Hoffnung gibt, aber gleichzeitig macht sie auch bewusst, dass es ein Optimum nicht mehr gibt und so hinterlässt der Film einen melancholischen Eindruck, der noch durch die mongolische Violinenmusik während des Abspannes betont wird.
Fazit : So archaisch das hier gezeigte Leben in der hinteren Mongolei auch anmutet, so modern ist "Tuyas Hochzeit" und so unbedingt ansehenswert auch für Menschen unseres Kulturkreises.
In seinem jederzeit spannend und abwechslungsreich erzählten Film, wirft Regisseur Wang Quan'an Fragen nach den Veränderungen in unserer Zivilisation und unseres Rollenbildes in der Gesellschaft auf, die Jeden betreffen. Anrührend, unprätentiös, mutig und wunderschön (9/10).