Längst als unumstrittener Klassiker der Filmgeschichte und Hommage an den Film Noir anerkannt, drehte Roman Polanski („Rosemary's Baby“, „The Ninth Gate“) mit „Chinatown“ sein Meisterstück, das bei 11 Nominierungen immerhin einen Oscar für das brillante Skript Robert Townes („Days of Thunder“, „Mission: Impossible“) erhielt. Unwahrscheinlich stilsicher und spannend inszeniert, treibt der Filmemacher seinen exquisiten Cast zu Höchstleistungen an, die sich in einem Netz von Lügen, Intrigen, Halbwahrheiten, Tod und Verderben verfangen.
Dreh- und Angelpunkt der Geschichte ist der herrlich starrköpfige Zyniker Jack Gittes (Jack Nicholson, „The Shining“, „About Schmidt) – natürlich ein Privatdetektiv. Klassisch wird er von einer geheimnisvollen Frau, die sich (natürlich) als wenn auch nur sekundär wichtige Femme Fatale entpuppen soll, darauf angesetzt ihren Ehemann Hollis I. Mulwray (Darrell Zwerling) zu observieren. Das Delikate an seinem Auftrag ist der Beruf seines Zielobjekts. Mulwray ist Chef der Wasserbehörde von Los Angeles und die Stadt steckt gerade jetzt in einer Dürreperiode. Als Gittes belastende Fotos schießt und am nächsten Tag einschlägige Überschriften mit entsprechenden Fotos die Boulevardblätter schmücken, weiß Gittes noch nicht, dass er nur eine Marionette gewesen ist. Denn nur wenig später steht Mulwrays wahre Ehefrau Evelyn (stark: Faye Dunaway, „Bonnie and Clyde“, „The Thomas Crown Affair“), mit Anwalt und Klage im Schlepptau, in seinem Büro und begeht Mulwray scheinbar Selbstmord...
Der eigentliche Routinefall entpuppt sich erst als gefährlicher Boomerang mit Negativpublicity für Gittes und dann zu einem verworrenen Spiel um Korruption, Erpressung, Mord und ein düsteren Familiengeheimnis, in das Gittes gnadenlos hineinschliddert.
Mehrmals wird dem Schnüffler geraten sich herauszuhalten, doch das entspricht nicht dem Wesen des Privatermittlers, der seine eigenen Regeln folgt und nun auf Gedeih und Verderb wissen will, wer ihn wofür missbraucht hat. Da können ihn auch regelmäßige Prügel, eigentlich als Einschüchterung gedacht, nicht aufhalten. Ganz im Gegenteil, auf ihn wirken sie wie ein Ansporn und er kommt der Sache auch tatsächlich näher, während die Polizei mit ihren falschen Vermutungen eigentlich zwei Stunden im Dunkeln tappt.
Wunderbar konzentriert, temporeich und mit einem Gespür für die schwüle Atmosphäre Los Angeles’ zieht Polanski das komplizierte Drehbuch so schlüssig auf, dass aufmerksame Zuschauer nicht den Leitfaden verlieren, sondern gemeinsam mit Gittes Licht ins Dunkel bringen. Seine Nachforschungen stoßen meist auf taube Ohren, Ablehnung oder gar körperliche Verstümmelung und schließlich muss er irgendwann auch um sein Leben fürchten, wobei der kaum einzuschüchternde, neugierige Typ seinem Publikum schnell ans Herz wächst, was vor allem dem grandios agierenden Jack Nicholson zu verdanken ist, der so leidenschaftlich süffisant und zynisch seiner Arbeit nachgeht.
Der grundsätzlich von Pessimismus durchtränkte Gittes nimmt dabei einiges in Kauf und kommt der Wahrheit trotzdem nur langsam näher. Wohl dosiert, um sich der Interesse des Publikums ständig sicher zu sein, gibt das Skript nur portioniert neue Informationen und Wahrheiten frei, die Gittes lügend, unverfroren und oft auch sehr direkt mehr illegal als legal erfährt, so dass dem Geschehen eine ständige Aufmerksamkeit zuteil wird. Den teilweise unscheinbaren Nebenfiguren kommt dabei eine wichtigere Funktion als zunächst gedacht.
Exquisit ist natürlich auch die Ausstattung des Films, denn nur mit ihr kann „Chinatown“ die Luft Los Angeles’ im Jahr 1937 atmen. Von den Kostümen bis zu den Fahrzeugen steckt viele Liebe im Detail und wurde alles akkurat umgesetzt, während über dem Geschehen die unbarmherzige Sonne Kaliforniens gnadenlos brennt, die Akteure ausdörrt und sie zunehmend reizbarer macht als sie ohnehin schon sind. Polanski taucht die sonst so schillernde Großstadt in ein unheilvolles, negatives Licht, das maßgeblich zur stimmungsvollen Bildkomposition beiträgt.
Dem zähen und unnachgiebigen Gittes fällt es nicht immer leicht die Übersicht zu behalten und deswegen resümiert er für sich und den Zuschauer regelmäßig laut, bevor er den nächsten Schritt wagt. Denn wo er anfangs nur auf eine Mauer des Schweigens stößt, können später unliebsame Zeitgenossen auf ihn warten, was Gittes aber wenig abschreckt, obwohl er sich, anfangs noch hart wie Stein, später immer emotioneller der Sache hingibt und nur notfalls die Brechstange herausholt.
Einen wirklichen Gegner findet er jedoch trotzdem nicht, denn der unangreifbare, machtgierige Noah Cross (Regisseur John Huston), als Symbol omnipräsenter Macht, nimmt sich wunderbar zurück und wird nicht zum unmenschlichen Schmierlappen stilisiert, sondern gibt zum Schluss sogar einen verstörten alten Mann.
Je näher Gittes der Wahrheit kommt, desto zerstörerischer wirken sich seine Ermittlungen auf ihn und sein inneres Wesen aus, denn so sehr ihm auch an der Wahrheit gelegen war, zum Schluss übernehmen doch die Gefühle die Kontrolle über ihn, um den Mann ein zutiefst nihilistisches Schicksal zu bescheren, das sich so allerdings auch anbahnte und passgenau in das Geschehen der letzten Minuten einfügt, denn das politische Ränkespiel im Hintergrund stellt sich gar nicht als eigentliche Katastrophe heraus.
Bis in das letzte Detail, ja bis in den letzten Ton, mit Hingabe konstruiert und umgesetzt, ergreift der intensive Film so bedrückend, melancholisch und düster schon während der Exposition von den aufgeschlossenen Zuschauern Besitz und lässt sie bis zum Abspann nicht wieder gehen. Hier hat jeder Moment seinen Zweck zu erfüllen.
Dieses ständige Abfordern von Aufmerksamkeit und die so geschickte Erzählweise, die das Publikum jeweils so sehr fesselt und nicht mehr von der Leine lässt, ist vielleicht Polanski größte Leistung, gerade weil die verzwickte Situation bis zum Schluss kontinuierlich komplexer wird und man immer leichter die Übersicht verlieren könnte – vor allem als Regisseur.
Fazit:
Roman Polanskis souveräner Einblick in die von ihm so negativ formulierte Upper Class beziehungsweise das so machtlose Gesetz behauptet sich formvollendet als ein wahrer Filmklassiker, indem alles zusammenpasst, was zusammenpassen muss. Starke Darstellerleistungen, insbesondere von Jack Nicholson und Fay Dunaway, geben sich die Hand mit einem brillanten Skript und einer ungemein kompetenten wie versierten Regie Roman Polanskis. Großes Kino!