"Zardoz" ist ein harter Brocken; kein Wunder, dass der Erfolg im Mainstream ausblieb. Der Film führt nicht durch eine zwingende Handlung, er nimmt dem Zuschauer nicht das Denken ab, er deutet durch archetypische Bilder nur an, wie ungefähr eine "perfekte" Welt aussehen könnte, in der sich die Menschen in ihrer eigenen Unsterblichkeit verfangen haben. Um diesen Film zu verstehen, sollte man sich schon ein paar Gedanken über philosophische Fragestellungen gemacht haben: Was ist Freiheit? Was ist Wille? Wozu dient der Tod?
Zed ist ein "Jäger" in der "Aussenwelt". Als Reaktion auf die Überbevölkerung der Erde hat sich eine ausgesuchte Elite in abgeschottete Bereiche zurückgezogen, um für sich die Segnungen der Zivilisation zu erhalten und weiter zu entwickeln, während in der weitgehend zerstörten Außenwelt alles zusammenbricht und Not und Gewalt regieren. Die Jäger sind Männer, die von Zardoz - einem schwebenden Steinkopf, den die Elite der Aussenwelt zynisch als eine Art Gott vorgaukelt - mit Waffen versorgt werden, um die "zu viel" gewordene Menschheit systematisch zu dezimieren.
Später wird der verbliebene Rest - wiederum durch die Jäger - brutal zur Feldarbeit versklavt, um mit den Erzeugnissen einen Teil der Elite zu versorgen. Doch die Jäger bekommen bei dieser Tätigkeit Zweifel; sie sind zum Töten erzogen worden. Zed lässt sich von seinen Kameraden mit einer Getreidelieferung in den Steinkopf schmuggeln und gelangt so in eine der Sphären der Elite.
Dort angekommen, wird Zed nicht etwa als Feind betrachtet, sondern als eine Art Tier, an dem man wissenschaftliche Studien betreibt. In völliger Verkennung seiner geistigen Fähigkeiten gibt man dem "Primitiven" einfache Sklavenarbeiten, bei denen Zed Stück für Stück den Aufbau dieser Gesellschaft kennenlernt.
Die Elite hat sich in ihrer eigenen Abschottung und Perfektion gefangen: man hat Alterung und Tod überwunden, man kommuniziert telepathisch, man reproduziert sich nicht mehr, sondern repariert sich - die Menschen sind unsterblich geworden. Um diesen vermeintlichen Fortschritt abzusichern, hat die Elite sich selbst den Weg zurück in die Evolution - und damit auch in eine sinngebende Umwelt - verbaut, indem sie den Tod unwiederbringlich verbannt hat. Abweichler werden mit Alterung bestraft, aus der sie kein Tod mehr erlösen kann, oder sie verfallen in eine unheilbare Apathie. Gedankenfreiheit gibt es wegen der telepathischen Fähigkeiten nicht mehr: jeder weiss von jedem Anderen, was er oder sie denkt. Meinungsverschiedenheiten werden streng demokratisch ausgemerzt. Demokratie als ultimative, totalitäre Diktatur.
Die blosse Anwesenheit des "Brutalen" Zed erweist sich schließlich für diese Gesellschaft als Sprengstoff: seine sexuelle Attraktivität als Mann, seine Wildheit und seine Fähigkeit zu sterben bringt einem wachsenden Teil der Elite ihre eigene Begrenztheit, Unfreiheit und Sinnleere zu Bewusstsein. So wird ausgerechnet er, dessen Motiv Misstrauen und Rache gegen die Ausbeutergesellschaft war, ironischerweise zum Retter dieser Menschen, indem er sie aus der selbstgewählten Falle befreit und ihnen den im Stillen längst ersehnten Tod bringt, den sie sich selber nicht mehr holen können.
Die Frage eines dahinter stehenden Willens und Lebenssinnes bleibt offen: letztlich ist Zed genauso wenig Herr seiner selbst wie alle diejenigen, die ihn zum Instrument gemacht haben. Der Sinn und der weltenlenkende Wille ziehen sich um so weiter zurück, je mehr wir danach in uns selbst und in unserer eigenen Erkenntnis- und Einfluss-Sphäre suchen. Wohin? In die Welt der Götter, die die Elite so voller Ironie in einem Gipsfiguren-Panoptikum in Unehren gehalten hat?
Eines bleibt als Fazit: Zeds Lebenssinn erfüllt sich endgültig erst in seinem eigenen, friedlichen Tod, nachdem er mit seiner ehemals ärgsten Feindin zusammen einen gemeinsamen Sohn großgezogen und ins Leben entlassen hat.
Sean Connery als "Zed" bleibt in dieser anspruchsvollen Rolle merkwürdig starr, er wirkt über weite Teile des Films wie von aussen ferngelenkt. Man identifiziert sich erst sehr spät mit ihm - und das ist wohl auch so gewollt. Lebendiger dagegen Niall Buggy als "Zardoz": ein zynischer, selbstverliebter Gaukler, der seinen Bezwinger bewusst selbst herbeigeholt hat und sich bei all dem doch immer noch am meisten in die eigene Tasche lügt - die ganze Figur eine Allegorie auf die Gesellschaft, der er enstammt. Auch John Alderton als "Friend", als dessen Sklave Zed die Gesellschaft der Elite kennenlernt, spielt die in ihm selbst aufbrechenden Widersprüche seiner Welt sehr überzeugend.
Herausragend Charlotte Rampling als "Consuella", die dem animalisch-männlichen Reiz Zeds zunächst als eine von wenigen Frauen widersteht und seine sofortige Liquidierung fordert, weil sie die Gefahr für ihre Gesellschaft klar erkennt. Erst als sie bei der Jagd auf Zed ihn schließlich persönlich stellt und töten will, kann sie es nicht mehr: der Zerfall ihres Elite-Gefängnisses ist schon zu weit fortgeschritten, in ihr selbst erwachen in dieser überrraschenden, neuen Freiheit längst tot geglaubte, menschliche Empfindungen, die sie umkehren lassen.
John Boormans Regie ist wohl die größte Meisterleistung an diesem Film, der über weite Strecken an Fellinis tiefgründig-absurde Filmkunstwerke erinnert: opulent, erotisch, ironisch, gewaltsam, grotesk, voller überraschender Wendungen und geistreicher Bezugnahmen, ein Feuerwerk des Unterbewussten.
Kritik? Ja: es waren wohl größtenteils die falschen Leute drin. "Zardoz" ist kein Film für Durchschnittskonsumenten.