Was möchte man wohl als Allerletztes sehen, wenn man ins Kino geht: vermutlich einen Film über die Qualen des Alterns und die damit verbundene Last der Verantwortung gegenüber der älteren Generation.
Demenz, Inkontinenz, die gewissensbelastende Frage, ob man ein Elternteil in eine Pflegeeinrichtung überstellt und die bange Frage, ob das mit der eigenen, auch nicht makellosen Existenz übereinstimmen kann, sind nicht eben Themen, die man locker so eben im Kuschelsitz nebenbei wegsnackt.
Dennoch können sich aus solchen Themen hochinteressante Filme ergeben, die nicht nur die Stimmung in den Unter-Null-Bereich senken oder träntriefend und beklemmend ein schlechtes Gefühl mit nach Hause geben und den moralischen Zeigefinger schwenken.
„Die Geschwister Savage“ geht das heikle Thema von einem anderen Standpunkt aus an.
Die Story der beiden recht unterschiedlichen Geschwister.Wendy und Jon, beide kurz vor oder kurz nach der magischen 40-Jahre-Midlife-Crisis-Grenze, sie ein Gelegenheitsbürojobber, er ein gefühlsflüchtiger Brecht-Literat, beide ungebunden und mit Beziehungsproblemen, benutzt den absoluten Ernstfall des hinfälligen, zunehmend dementen Vaters zur vorsichtigen Nabelschau, ohne dem Zuschauer etwaige Botschaften oder Meinungen entgegen zu brüllen.
Tamara Jenkins Film geht nicht in die Abgründe des absoluten Einzelfalls, des totalen filmischen Supergaus, sondern schildert schlicht und ohne zwanghaft übersteigerte Gefühle den Ablauf einer notwendig gewordenen Prozedur: der seit Jahren entfernt lebende Vater muß versorgt werden, die Lebengefährtin verstorben.
Daraus ergibt sich für die ausgeprägten Individualisten (und soften Egoisten) ein erhebliches Problem oder gleich mehrere: die finanzielle Absicherung, die medizinische Versorgung, das Übereinkommen mit den eigenen Existenzen, die Überwindung und Selbstfindung.
Das alles setzt Jenkins ruhig und behutsam in Szene, ohne auf den grellen Effekt zu spekulieren.
Hier tritt nicht das Schlimmstmögliche ein, sondern das zu Erwartende entwickelt sich in einem natürlichen Prozess. Der brummige Bücherwurm Jon, ein seit Ewigkeiten an seinem Buch Bastelnder, versucht mit dem ihm eigenen Phlegmatismus die notwendigen Schritte einzuleiten, ohne sich emotional zu sehr darauf einzulassen, während der überemotionalen Wendy, die ebenfalls schriftstellerische Tätigkeiten anstrebt, der Direktkontakt zum fast vergessenen Vater beinahe den Rest gibt.
Während der Werdegang des Vaters, Lenny, fast beiläufig seinen Weg nimmt, von der Ausquartierung aus dem Seniorenparadies über die beschwerliche Reise an die kalte Ostküste bis zur Einrichtung in einem staatlichen Pflegeheim, das der demente Senior als Hotel wahrnimmt, bleibt der Fokus meistens auf den Kindern. Zwar zeigt Lenny deutlich, wenn auch stumm, auf, wie sehr er unter dem Kontrollverlust, der Hilflosigkeit und der Vergesslichkeit leidet, doch es ist ein gehöriges Maß an gesundem Stoizismus in seiner Haltung.
Stattdessen machen sich seine Sprösslinge langsam aber sicher zu emotionalen Wracks. Beide führen nur Beinahe-Beziehungen, entweder durch Bindungsangst gehandicapt oder in der Gesamtkonstruktion (Affäre mit einem wesentlich älteren und noch dazu verheirateten Mann) von vornherein komplett hoffnungslos.
Jenkins eigenes Skript geht dabei niemals in die nötige Tiefe, um den Einzelfall plastisch zu machen. Irgendetwas ist vorgefallen in der Jugend, so kann man an der Lebensführung der Kinder ablesen, am gestörten Verhältnis zueinander, an der gefühlsmäßigen Verschlossenheit. Das läßt den Film bisweilen etwas beliebig wirken, steht doch der konkrete Demenzfall nicht im Vordergrund.
Stattdessen beleuchtet sie aber fast zärtlich die Figuren aus, sucht nach den vielzahligen Schwachstellen, den Brüchen im Charakter und läßt die Geschwister eine behutsame Selbsterfahrung machen – die Verantwortung bringt den Mut mit sich, auch an sich selbst etwas zu ändern.
Damit steht der Film eine Art Spagat zwischen einer semidokumentarischen Aufarbeitung des Themas und einem hollywoodtypischen Familieneinzelschicksal – läßt aber gleichzeitig dem Zuschauer eine Menge Entscheidungsspielraum, wie man das Problem ggf. selbst angegangen wäre. Würde man stillschweigend akzeptieren oder sich bemühen, alles besser zu machen. Inwiefern stand man selbst in der Pflicht oder was muß man noch tun, bzw. tut man es um des Verwandten willen oder um das Gewissen zu beruhigen.
Philip Seymour Hoffman und Laura Linney gelingt dabei eine berührende und sehr zartfühlende Achterbahnfahrt der gebremsten Gefühle, die zugleich tieftraurig und brüllend witzig sein kann, absurd und niederdrückend, hoffnungslos und hoffnungsvoll zugleich.
Es bleibt einem vermutlich eher kleinen Arthaus-Publikum überlassen, wie es diesen In-Between-Film einordnet, als Bastard zwischen dem schonungslosen Dokudrama des Alterns und der stargespickten Dramatisierung eines steril gezüchteten, aber hervorragende Bilder liefernden Falls.
Meine Empfehlung wäre, ihn einfach für seine Dauer mitzuleben, weil das Leben wirklich so sein könnte, so temporär abgründig und ausgebleicht, mit schönen und schrecklichen Momente, in denen man vielleicht etwas nachdenken sollte – über andere und über sich selbst. (8/10)