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Mit "Arthur und die Minimoys" hat Besson sein Wirken als Filmregisseur eingestellt. Es ist sein 10. Film und da Luc Besson sich von vornherein nur 10 Werke vorgenommen hatte, um nicht in die Gefahr der Massenproduktion und Beliebigkeit zu geraten, ist er mit 47 Jahren fertig. Gut, er läßt sich noch ein kleines Hintertürchen offen, sollte ihm ein herausragendes Projekt angeboten werden, aber seine eigene Zielsetzung hat er erfüllt.

Betrachtet man sein bisheriges Ouevre, so erkennt man, daß er schon immer eine Vorliebe dafür hatte, unterschiedliche Stilrichtungen extrem auszuloten. Schon sein erster Film "Der letzte Kampf" ist in Schwarz-Weiß gehalten und kommt ohne Dialoge aus, sein zweiter Film "Subway" spielt größtenteils in der U-Bahn und mit "Im Rausch der Tiefe" verarbeitet er seine Jugenderfahrungen als Sohn von zwei Tauchlehrern. Auch seine Dokumentation "Atlantis" verdeutlicht seine Begeisterung für das Meer und die Tiefe. In der Mitte seines Schaffens entstanden seine berühmtesten Werke "Nikita", "Leon" und "Das 5.Element" ,die auf Grund ihrer Erzählweise auch ein großes Publikum erreichten, bevor er zuletzt mit dem Schwarz-Weiß Film "Angel-A" wieder auf seine Anfänge zurückkam, nur mit dem Unterschied, daß dieser Film am sprachintensivsten ist.

Alle diese Werke verbindet der Hang zum Erzählen, der Darstellung ungewöhnlicher Charaktere und eine Überspitzung der Handlung, die an die Comicliteratur erinnert - Besson hat daraus nie einen Hehl gemacht. Auf die von ihm häufig explizit dargestellte Gewalt angesprochen, äußerte er, daß er irgendwie Alles aufsaugt, Alles an ihm hängen bliebe - und damit eben auch die Gewalt. Er sammelt Geschichten und so überrascht es nicht, daß es viele Filme gibt, die von ihm produziert wurden oder auf einer Idee von ihm basieren wie die "Transporter"-Reihe. Um diese selbst zu drehen, waren sie wohl nicht anspruchsvoll genug für seine persönliche Zehner-Bestenliste.

So stellt sich die Frage, was ausgerechnet "Arthur und die Minimoys" dafür qualifizierte, sein Opus als letzter Film abzurunden ? - Vordergründig könnte man die Wahl als Animationsfilms nennen, da dieses Genre noch fehlte, genauso wie die Konzentration darauf, seinen ersten Familien tauglichen Film zu schaffen. Für einen 5-fachen Vater eine nachvollziehbare Intention.

Doch tatsächlich ist "Arthur und die Minimoys" so etwas wie die Zusammenfassung aller Ideen, wie ein Konglomerat aus Erfahrungen seit seiner eigenen Kindheit bis heute, ein Sammelsurium der Erinnerungen aus Comics, Märchen, Spielzeug, Abenteuerlust, Träumen von fremden Welten, technischen Phantasien und Jugendliebe, aber auch Diktatur, Gewalt, Vernachlässigung und Einsamkeit. Luc Besson war in keinem seiner Filme vordergründig gesellschaftskritisch oder politisch, immer interessierte ihn nur die Erzählung. In seinen früheren Filmen hat er sich aber immer auf ein Thema konzentriert, hier quillt er stattdessen geradezu über vor Geschichten und Zitaten.

Filmtechnisch und ästhetisch ist die Beschränkung auf eine Sache immer von Vorteil. Gerade Besson hat das besonders vorbildlich gezeigt ,denn seine Werke waren immer eine überzeugende Einheit aus Form und Sprache - sie wirkten regelrecht designed. Dagegen scheiterten schon viele Filme daran, daß sie zu viel wollten. Sie überfrachteten den Zuschauer mit so viel Informationen und Abläufen, daß sie gerade dadurch ermüdeten. Doch hier zeigt sich Luc Besson wahre Meisterschaft, indem er die Fülle sehr genau strukturiert. Die Idee einen Realfilm mit einem animierten Film zu kombinieren ist nicht neu, aber durch die lange Zeit strikte Handlungs-Trennung der beiden Stilarten behält er eine ordnende Hand, die den Zuschauer trotz der Fülle der Ereignisse immer auf der Höhe des Geschehens sein läßt.

Konsequenterweise spielt die Realhandlung in der ersten Hälfte der 60er Jahre, also der Zeit von Bessons frühesten Erinnerungen und als Arthur (Freddie Highmore) zu seinem 12.Geburtstag von seiner Großmutter (Mia Farrow) das Modell eines Ferrari GTO geschenkt bekommt, kann man sich vorstellen, daß Besson früher selbst so ein Spielzeugauto hatte. Allein die Darstellung der US-amerikanischen Kleinstadt mit ihren Autos, das alte Farmerhaus von Arthurs Großeltern, die Räumlichkeiten seines seit Jahren verschwundenen Großvaters mit allerlei Erinnerungsstücken aus Afrika sind reinstes Deja Vu - nichts ist hier neu - die Farben, das Licht, die Kleidung, sogar die Menschen wirken vertraut, so wie im Grunde die gesamte Geschichte.

Arthur ist ein einsamer Junge, der das Jahr über in England im Internat erzogen wird und im Sommer bei seinen geliebten Großeltern lebt, während seine Eltern sich ausschließlich um ihre Karriere kümmern und ihn nicht einmal an seinem Geburtstag besuchen. Besson stellt die Eltern satirisch überzogen als lächerliche Gestalten dar, während die Großmutter geradezu das Idealbild einer liebevollen, auch im Alter noch liebreizenden Oma ist (phänomenal wie Mia Farrow mit über 60 noch aussieht). Auch der später auftauchende Großvater ist als intelligenter, warmherziger und immer noch abenteuerlustiger Mann nicht zu übertreffen.

Luc Besson arbeitet konsequent mit sämtlichen vertrauten Klischees, keine Sekunde denkt er an eine vielschichtige Charakterisierung - so sind denn auch die nacheinander auftretenden windigen Geschäftemacher und Gerichtsvollzieher, die Arthurs Großeltern das Haus wegnehmen wollen, rein bösartige und dazu noch strohdumme Kreaturen, die nicht einmal William Shakespeare kennen. Genauso wie die riesigen afrikanischen Stammeskrieger, die plötzlich aus dem Nichts auftauchen ,aussehen, als wären sie gerade aus einem alten "Tim und Struppi" Comic entsprungen. Natürlich ist auch Arthur ein Prachtexemplar eines heranwachsenden Jungen, intelligent und gut erzogen, aber auch sympathisch eigensinnig.

Wie stark autobiographische Details in das Geschehen mit einbezogen wurden, kann ich nicht beurteilen, aber sämtliche handelnden Personen wirken, wie aus der Phantasie eines Kindes entsprungen, daß sich von seinen Eltern vernachlässigt fühlt und eine eigene erträumte Welt um sich herum aufbaut. Die Qualität dieser Handlung liegt darin, daß sie trotz der Klischees und dem damit verbundenen Kitsch authentisch wirkt.

Völlig anders kommt die animierte Welt rüber, in die Arthur dank versteckter Hinweise seines Großvater - Indiana Jones gleich - eindringt. Hier ist Arthur nicht nur als animierte Figur optisch den sonstigen Minimoys angepaßt (ein hervorragender Schachzug, da er dadurch keine Sekunde ein Fremdkörper ist, wie seit "Gullivers Reisen" üblich, wenn Jemand in eine fremde Welt eintritt), sondern er wirkt deutlich erwachsener. Die Minimoys selbst erinnern an Figuren aus Comics in ihrer koboldartigen Menschengestalt und führen ein quirliges Zwergenleben unterhalb der Grasnarbe.

Alles hier ist modern und hat keinerlei Bezug zur 60er Jahre Welt des "Realfilms". So ist die Prinzessin eine emanzipierte junge Frau, die zusammen mit ihrem kleinen Bruder und Arthur in das "Land" eines schrecklichen Diktators gehen müssen, um die Minimoys zu retten und um die vom Großvater versteckten Rubine zu finden, mit denen Arthur den Großeltern das Haus vor den Aasgeiern retten kann. Sämtliche Gespräche sind hier locker und cool, aber auch hier verwendet Luc Besson unendlich viel Zitate von Märchen, Sagen und Filmen ("Matrix" läßt grüßen), so als Arthur als Einziger das Zauberschwert aus dem Felsen ziehen kann.

Sehr schön auch die Szene in der dunklen Bar mit den schwarzen Rappern. Hier kommt es zu Tanzszenen auf einer Schallplatte, bei der dann auch "Staying alive" zum Besten gegeben wird - äußerst witzig und wie man erkennt, völlig zeitunabhängig von der oberen Welt. Dabei ist die Gleichzeitigkeit der Ereignisse von oben und unten eine der wichtigsten Komponenten der Story. So vermuten die Minimoys einmal ein Ungeheuer in einer Höhle, weil "oben" Arthurs Oma so laut schnarcht, genauso wie auch die Wiederverwendung des Ferrari GTO zu den Höhepunkten der Story gehört.

Alleine daran erkennt man deutlich Bessons Intention, der ganz bewußt auch im animierten Teil seines Films eine völlig bekannte Story erzählt mit klassischen Strukturen von Gut und Böse. Überraschend ist hier nicht das Geschehen, die Charaktere oder Details, sondern die Art der Umsetzung. Besson verknüpft immer stärker die "reale" mit der "animierten" Welt ,ohne dabei durcheinander zu kommen, selbst die Kamerafahrten von oben nach unten wirken stimmig. Alles wird immer mehr zu einer Einheit und verdeutlicht damit das, was Besson hier letztendlich darstellen will - die wunderbar komplexe Fantasiewelt eines Erwachsenen, der sich an seine Gefühle aus der Kindheit zurück erinnert - einfach strukturiert, Erwartungshaltungen erfüllend und glücklich machend.

Fazit : abschließendes Werk zu Luc Bessons Ouevre, daß wie eine Zusammenfassung aller seiner Ideen, Kindheitserfahrungen, Erinnerungen und Beeinflussungen aus Comics, Märchen und Filmen wirkt. Vertraut, vorhersehbar, klischeehaft, manchmal kitschig, spannend, witzig, abwechslungsreich und sehr unterhaltend.

Luc Besson gelingt es in diesem Sammelsurium die Ruhe und den Überblick zu bewahren - niemals wirkt sein Werk hektisch oder überzogen, niemals opportunistisch oder anbiedernd und auch wir deutschen Zuschauer sollten uns an Hand dieser offensichtlichen Qualitäten nicht mit irgendwelchen Synchronstimmen beschäftigen.

Besson schafft hier tatsächlich den Spagat zum altersübergreifenden Familienfilm. Die einfache, kindgerechte Struktur und das authentische Lebensgefühl gerade mit den klischeehaften Charakteren (wie z.B. in jedem Astrid Lindgren Buch) wird auch jüngere Zuschauer begeistern, die die Fülle an Zitaten und die unterschiedlichen Zeitebenen nicht erkennen können.

Für einen Erwachsenen ist es notwendig, sich an ähnliche Gefühle und Erlebnisse zurück erinnern zu können und vielleicht an seine Träume. "Arthur und die Minimoys" verweigern sich dem rationalen Verstand, der hier vielleicht eine coole oder neu erzählte Story verlangt. Luc Bessons Intention war ganz eindeutig eine phantasievolle Geschichte zu erzählen, die uns für einen kurzen Moment in unsere eigene Jugend zurückführen kann (9/10).

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