Gegen Ende seiner Karriere hatte der große russische Regisseur Andrej Tarkowskij sein Schaffen von der kommunistischen Sowjetunion ins sonnige Italien verlegt. Neben seinem vorletzten Film „Nostalghia" entstand hier auch ein kleiner dokumentarischer Streifen für das italienische Fernsehen, in dem er sich selbst im Dialog mit dem italienischen Regie-Kollegen Tonino Guerra inszeniert.
Wie immer bei Tarkowskij zeigt sich auch „Tempo di Viaggio" als streng durchkomponiertes Bildtableau, das mit einer enorm entschleunigten Kamera Bilder von erlesener Schönheit findet. Ob glühende italienische Landschaftspanoramen oder bis ins Detail orchestrierte Stillleben aus dem Inneren von Wohnungen, mit Unterlagen überhäufte Schreibtische oder schattige Terrassen - die Kamera gleitet hier in bewährter Tarkowskij-Manier in unendlicher Langsamkeit über nur scheinbar alltägliche Objekte und überlässt es dem Zuschauer, die Magie dieser Bilder zu entdecken und auf sich wirken zu lassen. Und tatsächlich entwickelt der Film vor allem in der zweiten Hälfte immer wieder eine Atmosphäre dichter Poesie und stiller Ästhetik.
Auch dürfte es für Fans des russischen Regisseurs durchaus interessant sein, dem Genie beim Sprechen und Nachdenken über Kunst und Film, Schreiben und Rezipieren zuzusehen. Neben entspannten Gesprächen über eigene Ideen, die an italienischen Drehorten umgesetzt werden sollen, gibt es auch zahlreiche Überlegungen über große Künstler der Film- und Kunstgeschichte. Die intellektuelle Schwere der Gespräche wird dabei durch deren sprachliche Einfachheit konterkariert und auch weniger mit den Themen vertrauten Zuschauenden ein Stück weit näher gebracht. Auch wenn ein grundlegendes Interesse an Film- und Kunsttheorie definitiv mitgebracht werden sollte.
Allerdings liegen in diesen langen Dia- und auch Monologen Tarkowskijs auch die Schwächen dieses kleinen Nebenwerks begründet. So kommt man um das Gefühl nicht herum, dass sich hier ein im internationalen Arthouse-Kino hochgradig fest verankerter Künstler ein wenig selbstgefällig von seiner intellektuellen Seite zeigen will. Da wird ihm ein Brief mit der Frage vorgelesen, ob und welche Filmemacher ihn beeinflusst hätten, und nachdem er erst ein wenig (vorgeblich) bescheiden versucht, der Frage auszuweichen, verfällt er in einen zehnminütigen Monolog, in dem er eine ganze Reihe der Größten der Kinogeschichte aufzählt - Bresson, Bergman, Fellini, Antonioni. Auch in den anderen Dialogen mit seinem Regie-Kollegen scheint immer wieder sein Hang zur Selbstinszenierung durch, und natürlich ist „Tempo di Viaggio" nichts anderes als das gefällige Selbstporträt eines intellektuellen Künstlers. Durch diese offensichtliche Einseitigkeit verliert der Film einiges an künstlerischer Tiefe - inhaltlich zumindest kann er kaum etwas bieten, was zu echter Reflexion einladen würde.
Dazu kommen die so offensichtlich gestellten Szenen, nicht nur in den betont freundschaftlichen Gesprächen, die in Wahrheit Interviews sind, sondern auch in kleinen, angeblich alltäglichen Momenten: Schon ganz am Anfang etwa steht Guerra auf seiner Terrasse und eilt beim Türklingeln durch den Raum mit den Worten: „Das wird Andrej sein!" Der Duktus des Films, der vorgeblich nur zwei Künstler-Freunde bei gemeinsamen Gesprächen belauscht, wird durch solche gestellten Handlungen immer wieder empfindlich gestört und bekommt einen leicht heuchlerischen Drall.
„Tempo di Viaggio" ist immer dann am besten, wenn er das in den Mittelpunkt stellt, was Tarkowskij am besten kann: Stille und Schönheit filmischer Bildsprache zelebrieren. Neben solchen mitunter geradezu meditativen Momenten stören die Dialoge im Lauf der Zeit viel mehr, die sich unter ihrer bildungsbürgerlichen Oberfläche bald als intellektuelle Nabelschau entpuppen und dadurch viel von ihrem Reiz verlieren. Wer etwas über den wahren Tarkowsij, den Menschen hinter dem Genie, erfahren will, wird hier jedenfalls nicht fündig.